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24.08.2021 / Bericht / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Katja Völkl

Klimagerechter Wohlstand und mehr soziale Gerechtigkeit

Der ERF-Parteiencheck: Die Grünen.

 

Am 26. September wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Wem gebe ich meine Stimme? Die ERF Aktuell - Redaktion hat Parteiprogramme gewälzt. Auf dem Prüfstand: CDU, SPD, Grüne, Linke, AfD, FDP und einige kleine Parteien wie Bündnis C.

Der ERF-Parteiencheck, heute: Oliver Jeske im Gespräch mit Katja Völkl über das Wahlprogramm der Grünen.

 

ERF: Katja, was wollen die Grünen?

Buchstäblich „alles“, könnte man sagen. So steht es auch auf der Titelseite ihres Wahlprogramms: „Alles ist drin.“ Und in diesem 272 Seiten starken Werk scheinen sie auf nahezu jedes Thema einzugehen, das irgendwie politikrelevant ist. Und das auch noch recht detailliert. Das war jedenfalls mein Eindruck, als ich das wohl umfangreichste Parteiprogramm gelesen habe.

 

ERF: Nur zum Vergleich:

Das SPD-Parteiprogramm hat 66 Seiten. Natürlich können wir auch hier bei den Grünen nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Welche Schwerpunkte setzen denn die Grünen?

Ein ganz großer Schwerpunkt ist natürlich die Klimapolitik. Die zieht sich wie ein „grüner Faden“ in diesem Falle durch nahezu alle Themen durch. Das gesamte Energiesystem soll bis 2035 zu 100% auf Sonnen- und Windenergie basieren. Es soll bessere Bus- und Bahnverbindungen geben, Rufbusse, Carsharing und generell emissionsfreie Autos. Der Klimaschutz soll außerdem sozial gerecht sein.

Alle Kinder sollen gleiche Lebens- und Bildungschancen erhalten. Die Gesundheits- und Pflegeversorgung soll besser werden und die Menschen sollen besser sozial abgesichert sein. Außerdem ist den Grünen die Gleichberechtigung sehr wichtig. Nicht nur zwischen Mann und Frau.

Klimaschutz: „Jahrzehnt der Zukunftsinvestition“

ERF: Wie wollen die Grünen das denn umsetzen?

Die Grünen bezeichnen das als „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“. Und zwar wollen sie jährlich 50 Milliarden € in schnelles Internet, Spitzenforschung, Wasserstofftechnologien, Ladesäulen und moderne Stadtentwicklung investieren. Wie die SPD, setzen auch die Grünen auf ein Tempolimit von 130 km/h auf den Autobahnen und zusätzlich auf 30 km/h in den Städten.

Geringverdiener sollen mit einem Energiegeld entlastet werden, Hartz IV soll durch eine Garantiesicherung ersetzt werden, der Mindestlohn soll auf 12€ steigen, Kinder sollen eine Kindergrundsicherung erhalten.

 

ERF: 50 Milliarden € im Jahr ist viel Geld. Wie soll das finanziert werden – vor allem, da durch die Corona-Krise die Staatskassen sehr belastet sind?

Zum einen wollen die Grünen die Ungerechtigkeit im Steuersystem beenden und die Lenkungswirkung von Steuern für den Klimaschutz nutzen. D.h. sehr wohlhabende und reiche Menschen sowie große Konzerne sollen mehr zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen.

Zum anderen soll für mittlere und kleine Unternehmen der steuerliche Verlustrücktrag ausgedehnt werden und zeitlich begrenzte Abschreibungsbedingungen eingesetzt werden. Für die Rückzahlung von Corona-Hilfen soll es großzügige Konditionen geben und kleine und mittlere Unternehmen können sich mit einem vereinfachten Restrukturierungsverfahren leichter neu aufstellen. Auch die Kunst- und Kulturbranche soll gefördert werden.

Und: Firmen, die Staatshilfen erhalten, dürfen keine Dividenden ausschütten.

Kinder erhalten „Kindergrundsicherung“

ERF: Wie stellen sich die Grünen denn eine zeitgemäße Familienpolitik vor?

Fangen wir mal bei den Kindern an. Ihre Rechte sollen bei staatlichen Entscheidungen größeres Gewicht bekommen. Die Kinderrechte, entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention, sollen ins Grundgesetz.

Die Kindergrundsicherung habe ich eben schon erwähnt. Das soll folgendermaßen funktionieren: Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag, das Sozialgeld für Kinder und die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sollen in eine neue eigenständige Leistung zusammengefasst werden. Jedes Kind bekommt einen festen Garantie-Betrag. Kinder in Familien mit einem geringen oder keinem Einkommen erhalten noch einen zusätzlichen Betrag.

Mit einem Bundesinklusionsgesetz sollen außerdem alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sich auch an Kinder und Jugendliche mit Behinderungen richten.

 

ERF: Was ist mit den Eltern?

Auch da gibt es Pläne: Alle Eltern sollen Elternzeit in Anspruch nehmen können. Mit der sogenannten „KinderZeit Plus“ soll das Elterngeld auf 24 Monate ausgeweitet werden. Und zwar pro Elternteil acht Monate. Weitere acht Monate können sie unter sich aufteilen.

Dann soll das Abstammungsrecht reformiert werden. Dadurch soll in Zwei-Mütter- Lebensgemeinschaften die Co-Mutter analog zu Vätern automatisch als zweites rechtliches Elternteil gelten.

Darüber hinaus wollen die Grünen mit dem „Pakt für das Zusammenleben“ eine Rechtsform schaffen, die das Zusammenleben zweier Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen, unabhängig von der Ehe rechtlich absichert.

Und noch etwas: Für neu geschlossene Ehen wollen sie eine individuelle Besteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag einführen.

Garantiesicherung statt Hartz IV

ERF: Als einen weiteren Schwerpunkt haben die Grünen sich ja auf die Fahne geschrieben, dass sie die „soziale Sicherung auf die Höhe der Zeit“ bringen. Wie wollen sie das machen?

Neben der Garantiesicherung, die Hartz IV ersetzen soll, soll das Rentenniveau bei mindestens 48% liegen. Der Renteneintritt bleibt bei 67 Jahren. Darüber hinaus wollen die Grünen die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung umwandeln. Und sie wollen einen Bürgerfonds einrichten, in den alle einzahlen, die nicht aktiv widersprechen.

Auch im Gesundheitssystem planen sie eine solidarisch finanzierte Bürgerversicherung zu etablieren. Dort sollen auch Beamte, Selbständige, Abgeordnete und Unternehmer einzahlen.

„Einheit in Vielfalt“ – das Leitbild der Grünen

ERF: Mit dem Motto „Alles ist drin“, könnte man da auch sagen: „Alle sind drin“?

Ja, das passt durchaus. Es gibt ein Kapitel, das heißt „Zusammen leben“. Und darin befinden sich mehrere Aspekte des Zusammenlebens. Angefangen mit einer umfangreichen Digitalisierung unserer Ämter und Behörden. Das beinhaltet z.B., dass jede Person mit einer digitalen Identität ausgestattet sein soll. Dadurch soll man sich auch mit seinem Smartphone ausweisen können.

Im gleichen Kapitel betonen die Grünen das Leitbild „Einheit in Vielfalt“.

 

ERF: Was bedeutet das konkret?

Das soll das gesetzlich verankerte Leitbild sein für eine rassismuskritische Einwanderungsgesellschaft. Dazu soll z.B. ein kommunales Wahlrecht gehören für Drittstaatsangehörige. Ein modernes Einwanderungsgesetz soll Einwanderern Zugang zu Bildung und Arbeit ermöglichen.

Angehörige des jüdischen und muslimischen Glaubens sollen besser geschützt und integriert werden.

 

ERF: Was sagen die Grünen denn zum Thema Religion und Menschenrechte?

Generell betonen die Grünen, dass sie das Grundrecht auf Religions-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit weiter stärken wollen und religiös oder weltanschaulich Verfolgte schützen wollen.

Zudem wollen sie das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften wahren und mit denen kooperieren, die das Grundgesetz achten.

Sie unterstützen Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften, die nicht politisch abhängig sind von einem Staat oder einer Partei.

Die Beziehung zwischen Staat und christlichen Kirchen wollen sie erhalten und ggf. der „gesellschaftlichen Realität anpassen“.

 

ERF: Was ist damit gemeint?

Z.B. wollen die Grünen das kirchliche Arbeitsrecht reformieren und die gewerkschaftliche Mitbestimmung fördern. Das Betriebsverfassungsgesetz soll auch für Kirchen gelten. So können Betriebsräte eingeführt werden. Das soll allerdings nicht den Verkündigungsbereich berühren.

Und: Die Grünen wollen den §166 abschaffen. Dieser stellt die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe.

 

ERF: Gehen die Grünen auf das Thema „Lebensrecht“ ein?

Indirekt schon. Allerdings geht es hier um das Recht der Frauen. Die Grünen wollen für umfassende Informationen zum Schwangerschaftsabbruch sorgen. Ob eine Frau die Schwangerschaft abbricht oder nicht, sei allein ihre Entscheidung. Dafür soll es auch ausreichend Ärztinnen und Ärzte geben, die ggf. einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen.

§218 und §219 – insbesondere §219a - soll aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. D.h. Ärztinnen und Ärzte dürfen ausdrücklich darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Außerdem planen die Grünen eine bundesweite Aufklärungskampagne für junge Menschen bezüglich der Vielfalt sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten. Das soll auch in den Lehr- und Bildungsplänen konsequent umgesetzt werden. Ziel ist es, lesbische, schwule, bisexuelle, trans-, inter- und queere Menschen vor Diskriminierung zu schützen.

Klimaschutz in Europa

ERF: Was haben die Grünen denn mit Europa vor?

Kurz gesagt: Europa soll grüner werden. Denn auch hier geht es ganz viel um Klimaschutz. Aber auch darum, Armut und Ungerechtigkeit zu bekämpfen, Menschenrechte zu schützen und sichere und legale Fluchtwege zu schaffen.

Es soll keine Waffenexporte mehr an Diktaturen und in Kriegsgebiete geben.

Und die NATO soll strategisch neu ausgerichtet werden mit einer besseren Lastenverteilung.

 

ERF: Du hast dich durch 272 Seiten lange Wahlprogramm der Grünen gearbeitet. Was ist dein Fazit?

Das Programm ist nicht nur äußerlich sehr umfangreich, sondern auch inhaltlich. Die Grünen sagen zu sehr vielen Themen was und das z.T. sehr detailliert. Und gerade in diesen Details stecken oft die wichtigen Informationen. Dennoch können wir an dieser Stelle natürlich nur einen groben Überblick geben. Deshalb empfehle ich allen, selbst ins Parteiprogram zuschauen und sich eine Meinung zu bilden.


ERF: Danke, Katja für das Gespräch.

 

Der ERF-Parteiencheck – nach dem Parteiprogramm von SPD und CDU haben wir heute das Parteiprogramm der GRÜNEN unter die Lupe genommen. Es folgen bis zur Bundestagswahl die Grünen, die AfD, die Linke, die FDP und einige kleinere Parteien wie Bündnis C.

Alle weiteren Parteienchecks

Weitere Informationen

Die hier aufgeführten Wahlprogramme entsprechen nicht der Meinung oder politischen Auffassung der Redaktion. Wir wollen Sie mit den Beiträgen zu den Parteiprogrammen lediglich dazu einladen, sich jenseits von oberflächlicher Berichterstattung intensiv mit den Inhalten der Parteien zu beschäftigen.

Unsere Liste soll zeigen, dass es neben den großen, derzeit im Bundestag vertretenen Parteien weitere Parteien gibt, die sich mit unterschiedlichen Ansätzen und Gesellschaftskonzepten zur Wahl stellen. Ihnen fehlt eine Partei in dieser Liste – bitteschön, die Liste mit allen 53 Parteien, die zur Bundestagswahl 2021 antreten, finden Sie u.a. in der hier verlinkten Aufstellung von Wikipedia, grundsätzliche Informationen zur Bundestagswahl und ihrem Verfahren finden Sie u.a. auf der offiziellen Homepage des Bundeswahlleiters:

Liste aller Parteien, die zur Bundestagswahl 2021 antreten

Informationen zur Bundestagswahl 2021 beim Bundeswahlleiter

Zum Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2021

 

 Katja Völkl

Katja Völkl

  |  Moderatorin und Redakteurin

Die gebürtige Münsteranerin ist Live-Moderatorin in „Aufgeweckt“ und für aktuelle Berichterstattung zuständig. Von Hause aus ist sie Lehrerin für Deutsch und Philosophie und Sprecherzieherin. Sie liebt Hunde, geht gerne ins Kino und gestaltet Landschaftsdioramen.

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Kommentare (1)

Sonja /

Guten Morgen,
Vielen Dank, dass Sie die Parteiprogramme durchleuchten.
Schön wäre, wenn auch das Parteiprogramm
Team
Todenhöfer, die Gerechtigkeitspartei vorgestellt, bzw. unter die Lupe genommen mehr

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