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© Lance Reis / unsplash.com

26.08.2024 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Wenn der Lack ab ist …

Wie du Gottes Gnade mit Blick auf dein Versagen in der Lebensmitte neu entdecken kannst. 

Der Lack ist ab“ – so beschreibt der Autor Kai Wiesinger selbstironisch seine Erfahrungen in der Lebensmitte: Auf einmal sind gefühlt alle erfolgreichen Kollegen jünger als man selbst, man braucht die erste Lesebrille und die eigene Beziehung eine Paartherapie. 

Was bei Wiesinger ein vergnügliches, aber hintergründiges Lesevergnügen ist, definiert der Duden unter dem Stichwort Midlife-Crisis nüchtern so: „krisenhafte Phase in der Mitte des Lebens, in der jemand sein bisheriges Leben kritisch überdenkt, (und) gefühlsmäßig in Zweifel zieht“. 

Der amerikanische Pastor und Seelsorger Paul David Tripp schreibt in seinem Buch „Lost in the Middle – Midlife and the Grace of God“ ebenfalls über diese Lebensphase, die viele zwischen Mitte 30 und Ende 40 durchmachen. 

Tripp geht dabei auch auf die Frage ein, wie man mit Schuld und Versagen aus der ersten Lebenshälfte umgehen kann: Wie ordne ich eine gescheiterte Ehe in meinen ursprünglichen Lebensplan ein? Wie gehe ich damit um, dass ich meinen Kindern gegenüber versagt habe? Wie konnte ich es zulassen, dass mir meine Karriere wichtiger war als Familie, Freunde oder Gott? 

Gott sieht unser Versagen realistisch 

Kurz: Es geht Tripp um die Frage, wie ich damit umgehe, wenn ich auf einmal merke, dass mein Leben nicht so toll gelaufen ist, wie ich es mir als junger Mensch vorgestellt habe. Seine etwas harsche, aber zugleich befreiende Botschaft lautet:

Es ist geistlich gesund, wenn wir erkennen, dass wir fehlbare Menschen mit einem unvollkommenen Leben sind und das auch bis zu unserem Lebensende bleiben werden.  

Die zweite Botschaft, die der Seelsorger vermitteln möchte, lautet: Gott ist von unserem Versagen und unserer Schuld nicht überrascht. Er schaut mit einem sehr realistischen Blick auf unsere Fähigkeiten und auf das, was wir nicht auf die Reihe bekommen. Er weiß, dass wir in so manchem Bereich nie über ein gewisses Mittelmaß hinauskommen oder sogar dahinter zurückbleiben werden. 

Leben aus Gnade statt aus Selbsttäuschung 

Diese nüchterne Bestandsaufnahme ist für den Autor kein Grund zum Verzweifeln. Im Gegenteil: Tripp geht davon aus, dass es ein Geschenk ist, wenn ich immer mehr begreife, wie sehr Gott mein ganzes Leben mit seiner Vergebung und Barmherzigkeit umfasst, ja umfassen muss. 

Eine ernüchterte Lebensbilanz in den mittleren Jahren muss deswegen nicht zu verbitterter Verzweiflung oder angestrengter Selbstoptimierung führen, nach dem Motto: Jetzt muss ich wenigstens aus den nächsten vierzig Jahren noch so viel rausholen wie möglich.  

Stattdessen kann ich die Ent-täuschungen der Lebensmitte als Einladung zu einem authentischen, demütigen und zugleich frohen Leben aus Gottes Gnade verstehen.

Laut Paul Tripp macht genau das unser Menschsein in Gottes Augen letztlich aus. Gott nutzt eine Midlife-Crisis seiner Meinung nach deswegen gerne einmal dazu, um uns diese verdrängte Wahrheit zurück ins Bewusstsein zu rufen.  

Denn Gott weiß sowieso schon lange, dass bei uns der Lack ab ist. Das hindert ihn aber nicht daran, uns als seine wertvollen Unikate zu lieben und durch seine Gnade zum Glänzen zu bringen – zu seiner Herrlichkeit und zu unserem Besten.   

5 Tipps, um die Miflife-Crisis hinter sich zu lassen 

Tripp nennt fünf Punkte, wie man eine solche Lebenshaltung ganz praktisch einüben kann. Ich möchte sie hier abschließend zusammengefasst vorstellen:1

1. Freue dich an dem Freiraum, deine Schuld zu bekennen

Du hast den Freiraum, über dich selbst das zu sagen, von dem du und Gott sowieso wissen, dass es wahr ist – dass du in deinem Leben Schuld auf dich geladen hast. Das kannst du ohne Angst davor tun, zurückgewiesen, verurteilt oder bestraft zu werden (vgl. 1. Johannes 1,8-9).

2. Ergreife Gottes Vergebung 

In einer unperfekten, vom Egoismus geprägten Welt erwarten wir nicht viel Vergebung von anderen. In einer unbarmherzigen Welt ist es schwer, deine Vergangenheit hinter dir zu lassen. Genau deswegen ist Gottes Versprechen, dass er uns völlig und komplett vergibt, so außergewöhnlich und wunderbar (vgl. Psalm 103,11-12; Jeremia 31,33-34). 

3. Akzeptiere Gottes Souveränität

Im mittleren Lebensalter ist es fast unmöglich, zurückzuschauen und dabei nicht Gottes Zeitplan in Frage zu stellen. Dann ist es wichtig zu erkennen, dass sich nichts Gottes Leitung entzieht. Er ist immer weise, liebevoll, gut, gerecht – und handelt zur rechten Zeit.

4. Werde dir über deine Identität klar

Je länger wir leben, desto mehr neigen wir dazu, unsere Identität von unserer Schuld und unseren Problemen und Schwächen bestimmen zu lassen. Der Apostel Paulus macht seine Identität nicht von diesen Dingen abhängig - obwohl er als junger Erwachsener schwere Schuld auf sich geladen hatte. Er baut seine Identität auf Gottes Gnade auf (vgl. Galater 2,20). Christus ist unsere Identität. Deswegen kannst du mutig in die Zukunft sehen. 

5. Feiere die Ewigkeit 

Das Leben, zu dem Gott dich berufen hat, ergibt keinen Sinn ohne die Perspektive der Ewigkeit. Diese Welt ist ein furchtbarer Ort und nichts in oder um uns herum funktioniert dauerhaft so, wie es eigentlich sollte und wie wir uns das wünschen würden. 

Gottes Versprechen der Auferstehung und unsere Hoffnung darauf ermöglichen es uns aber, weiterhin mutig in dieser Welt zu leben.  

 

1 Das Buch „Lost in the Middle. Midlife and the Grace of God“, von Paul David Tripp, Shepherd Press, Pennsylvania, 2004 ist nicht auf Deutsch erhältlich. Übertragung und Zusammenfassung des Inhaltes ins Deutsche durch die Autorin.

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

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