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Fehler machen

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Fehler machen

Das Unperfekte aushalten.

Schon vor über zehn Jahren begann ein Traum in mir heranzuwachsen. Interessanterweise genau dann, als ich zum ersten Mal Gottes Liebe für mich erleben durfte. Ich wollte seit diesem Zeitpunkt einen Ort schaffen, zu dem Menschen kommen können, um sich selbst, Gott und anderen Menschen ehrlich, tief, nahbar, echt und verletzlich zu begegnen.

Einen Ort, um rauszukommen aus dem Alltagstrott und sich neu auszurichten, um durch Kunst und Tanz neue Wege zu finden Gefühle auszudrücken, ohne irgendwas leisten zu müssen. Einen Ort an dem sie Selbsterfahrung und Heilung erleben. Und vor allem einen Ort, an dem Menschen erleben, wie wertvoll und wie unendlich geliebt von Gott sie sind.

Ich funktionierte, statt zu leben

Ich habe diese Vision mal mehr, mal weniger realisiert, aber losgelassen hat sie mich nie. 2015 hatte ich zum ersten Mal im Alleingang ein Frauen-Retreat organisiert. Das hat etwas in mir lebendig werden lassen, was ich vorher nicht kannte. Diese Freude, dieses Sprudeln. Ich spürte, ich bin auf dem richtigen Weg. In den darauffolgenden Jahren machte ich dies noch mehrere Male und es fiel mir wirklich überraschend leicht! Bekannt war ich ja eher als still und zurückhaltend. Doch in der leitenden Position entfaltete ich mich selbst: lebendig und frei.

Dann folgten ein paar schwierige Jahre, mein erstes Baby, Schwierigkeiten in der Ehe, nach einem Jahr Babyzeit Neustart in einen herausfordernden Beruf, der verzweifelte Versuch alle zufrieden zu stellen: Meine Tochter, meinen Mann, meine Schwester, die 4 Monate extra aus Australien kam, um bei uns in Halle zu leben, meine Arbeitgeber, meine Klienten, die Gemeinde, in der ich war, meine Freunde, meine Eltern und anderen Verwandten …

Kurz vorm Burnout

Selbstverständlich dauerte es nicht lange, bis ich kurz vorm Ausbrennen stand. Zeit für mich und für Gott kam immer zu kurz. Ich funktionierte zwar noch, aber lebte kaum. Somit war auch mein Traum sehr weit von mir weggerückt. Ich war in einem andauernden Überlebensmodus. Dies resultierte dann in einer psychischen Krise, die mich aber an einen so wichtigen Punkt brachte, an dem ich mir selbst ehrlich begegnen konnte.

Ich lernte durch Seelsorge, Therapie, Bücher, Kurse, Weiterbildungen etc. viel mehr über mich selbst und eine weitere Heilungsetappe durfte starten.

Kein Entkommen

Anfang des Jahres kam dieser Traum plötzlich wieder auf. Diesmal wurde es ein regelrechtes Drängen. Als wären die Jahre, in denen ich meinen Traum aus den Augen verloren hatte, aufgestaut worden, um jetzt mit aller Wucht auf mich zuzuströmen. Ich konnte nicht mehr entkommen. Trotzdem zögerte ich lange, so groß war die Angst, Fehler zu machen, andere zu enttäuschen, Erwartungen nicht zu erfüllen, etc. Ich wollte schön in meiner Komfortzone bleiben.

Muster der Vergangenheit

Die Angst davor, Fehler zu machen ist verständlich. Wir versuchen als Menschen so viel wie möglich zu kontrollieren. Das geschieht hauptsächlich unbewusst. Unser Unterbewusstsein wird sehr stark von unseren Erfahrungen als Kind beeinflusst. Wie sind Eltern, Erzieher oder Lehrer mit Fehlern umgegangen? Gab es Bestrafungen, war Beschämung ein Thema, hohe Erwartungen und Leistungsdruck?

Unser Gehirn unterstützt uns nicht unbedingt darin, glücklich, befreit und erfüllt zu leben. Das Nervensystem stützt sich stattdessen auf das bloße Überleben mit so wenig Verletzungen wie möglich. Deshalb ist es so schwer, aus Mustern aus der Kindheit rauszukommen, wenn man dadurch in der Vergangenheit „überlebt“ und sich die Geschehnisse irgendwie selbst erklärt hat.

Ich hatte schon von klein auf Angst, Fehler zu machen. Das hängt auch sehr stark mit der Erziehungsmethode zusammen, unter der ich aufgewachsen bin: Der Mensch sei im Kern böse, sündhaft und rein egoistisch bzw. gegen Gott, deshalb müsse er mit Züchtigung und körperlichen Strafen von diesem Pfad ins Verderben gerettet werden. Wie schlimm und falsch das ist, muss ich nicht weiter ausführen, auch wenn ich nicht das Extrem davon erlebt habe.

Kein Aufgeben - trotz Fehler

Ich habe im Frühjahr angefangen eine Frauen-Selbsterfahrungs-Arbeit aufzubauen. In hängte mich voll in die Organisation ein, doch dabei sind mir einige Schnitzer passiert, weil ich so unter Stress stand. Ich malte und designte alles selbst, schrieb Texte für die Website, musste viele Entscheidungen treffen. Das hat mich alles frustriert. Aber ich wollte mich davon nicht abbringen lassen weiterzumachen, obwohl ich das starke Bedürfnis hatte, mich zu verkriechen und nie wieder blicken zu lassen.

Dankbarkeit für das Gelernte

Jetzt beim Schreiben merke ich auch, wie krass es war. Ich hätte eigentlich langsamer und simpler starten können, ohne Website, Imagefilm, Instagram, Newsletter, Patreon etc.

Alles auf einmal zu stemmen war womöglich ein Fehler, doch ich bin so dankbar für das, was ich gelernt habe. Auch dass ich es aushalte, dass manche Frauen verwirrt oder frustriert waren von meiner Kommunikation. Es ist ok, dass ich auf dem Weg einige Interessentinnen verloren habe bei dem Versuch, alles super fancy und professionell aufzuziehen.

Prokrastination aus Angst

Gerade wegen der Angst was falsch zu machen, habe ich erst die ganzen Fehler gemacht. Denn mein größter Fehler war es, alles zu lange aufzuschieben. Ich sehe Prokrastinieren nicht mehr als Faulheit und Unfähigkeit, sondern als das was es ist: eine Vermeidungsreaktion aufgrund von Angst. Meist eben die Angst, Fehler zu machen, zu versagen, beurteilt zu werden, sich verletzlich zu machen, Verantwortung zu tragen für seine Entscheidungen etc. Doch dem Fehler geht man dadurch ja nicht aus dem Weg.

Das Prokrastinieren hat in mir erst diesen Stress erzeugt, unter dem ich dann impulsartig mit lauter Fehlern Infos verschickt habe, ohne sie nochmal richtig durchzulesen. Aber ich halte es aus, ich akzeptiere die Situation so wie sie ist, ich akzeptiere auch mich mit allen Fehlern. Ich sehe die Angst und ich verstehe jetzt, warum sie da ist: um mich zu beschützen. Doch je mehr mein Gottvertrauen und meine Selbstsicherheit wachsen, desto kleiner wird diese Angst und ich komme ins Handeln, ins Schaffen. Ich sprudle wieder, möchte so viel weitergeben, so viel teilen, aber auch so viel lernen durch Begegnungen mit den Teilnehmerinnen und die Geschichten, die Gott mit ihnen schreibt.

Dieser Text von Claire Gonzales wurde zuvor auf www.keineinsamerbaum.org veröffentlicht

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