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© Alexa Mazzarello / unsplash.com

05.01.2018 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Tanja Rinsland

Nach dem Schlaganfall

Während eines Buchprojekts wird Autor Adrian Plass krank. Nun ist alles anders.

Vor ziemlich genau 30 Jahren erschien „Das Tagebuch eines frommen Chaoten“ des britischen Autors Adrian Plass. Mit viel Humor, aber auch einer gehörigen Portion Realismus beschrieb Plass damals das Verhalten vieler Christen und Kirchengemeinden. Inzwischen sind über 40 Bücher des Engländers erschienen, viele davon wurden ins Deutsche übersetzt. Anlässlich seines neuesten Romans, „Der Schattendoktor“ haben wir mit Adrian Plass in Wetzlar gesprochen.

Leben voller Schatten

ERF: In Ihrem neuesten Buch „Der Schattendoktor“ trifft die Hauptfigur Jack auf eine besondere Art von Doktor. Wer genau ist dieser Doktor?

Autor Adrian Plass (Foto: ERF Medien)
Autor Adrian Plass (Foto: ERF Medien)

Adrian Plass: Das verrate ich nicht, weil das erst im zweiten Roman herauskommt! Aber der Schattendoktor ist in dem Sinne ein Doktor, dass er die Schatten im Leben der Menschen behandelt: Dinge, die sie bedrücken und bekümmern.

Das tut er auf eine exzentrische und etwas willkürliche Art und Weise, die er selbst den „Flow“ nennt. Außerdem redet er ziemlich unfromm. Es ist schwer, an ihn heranzukommen, da er schon lange allein arbeitet. Deswegen braucht er Jack, einen jungen Mann, der gerade an dem Versuch verzweifelt, ein guter Christ zu sein. Sie brauchen sich gegenseitig und beginnen zusammenzuarbeiten. Keine einfache Beziehung!
 

ERF: Was sind das für Schatten, die im Leben der Menschen auftauchen?

Adrian Plass: Da wäre zum Beispiel Jacks Großmutter. Ihr Ehemann ist verstorben und die Trauer ist der Schatten in ihrem Leben. Wie viele, die einen geliebten Menschen verloren haben, scheinen ihr die Tage seitdem nur noch unendlich lang und leer. Deswegen überlegt sie, sich das Leben zu nehmen.

Als sie den Schattendoktor kennenlernt, fragt sie ihn daher: „Sollte ich mich nicht einfach umbringen?“ Zu ihrer Überraschung antwortet er mit „Ja, ich denke schon. Warum solltest du so weiterleben wollen?“ Aber dann führt er aus, dass es eine weitere Möglichkeit gäbe. Das freut die alte Dame, denn sie fand seine Antwort doch etwas kaltherzig. Als sie nachfragt, was diese andere Möglichkeit wäre, antwortet er ihr: „Scrabble“ . Wer wissen will, wie Scrabble sie gerettet hat, sollte das Buch lesen.

Schockdiagnose Schlaganfall

ERF: Als Sie am Schattendoktor arbeiteten, hatten Sie selbst eine persönliche Krise. Was ist passiert?

Adrian Plass: Eines Morgens war ich gerade am Frühstücken. An dem Tag wollte ich nach Wales aufbrechen, um bei einer Konferenz zu sprechen. Plötzlich habe ich bemerkt, dass ich meinen rechten Arm und meine Hand nicht mehr bewegen konnte. Ich rief also eine befreundete Ärztin an und fragte sie, was ich tun sollte. Sie meinte: „Du musst zum Arzt.“ Ich sagte „Ich kann nicht, ich muss nach Wales“ und sie sagte: „Geh sofort zum Arzt“. Ich meinte: „Aber – alle warten auf mich“. Doch sie wiederholte sehr nachdrücklich: „NEIN, GEH JETZT!“

Ich bin also zum Hausarzt gegangen, der mich sofort in ein Krankenhaus schickte, wo man einen Schlaganfall diagnostizierte. Ab da ging es mit meiner Gesundheit bergab. Ich war ständig erschöpft und konnte meinen Arm kaum noch gebrauchen. Außerdem hatte ich extreme Schmerzen: Schon die leichteste Berührung im Gesicht konnte Schockwellen durch meinen Körper jagen. Zum Glück stellte ein Arzt fest, dass ich ein bestimmtes Medikament nahm. Als ich es auf seine Anweisung absetzte, waren die Schmerzen plötzlich weg.

Die Krankheit raubte mir meine ganze mentale Kraft. Ich hatte mit dem Buch gerade angefangen, konnte es aber nicht mehr weiterschreiben. Es ging einfach nicht! Mein Verleger war zum Glück sehr verständnisvoll. Es war das erste Mal in meiner Karriere, dass ich nicht schreiben konnte.
 

ERF: Wie ging es mit dem Buchprojekt weiter?

Adrian Plass: Es war sehr schwer, überhaupt etwas zu Papier zu bringen. Ich fing an, hörte auf, fing wieder an, hörte wieder auf… Ich wollte eigentlich so eine Art Sherlock-Holmes-Buch schreiben, in der Art von „Die Fälle des Schattendoktors“.

Doch plötzlich tauchte Jack auf, den ich vorher nicht auf dem Schirm hatte. Und er eröffnete mir eine ganze Welt neuer Möglichkeiten. Er wurde zu einer Art Vorbild für alle, die sich wünschen, ihrem Christsein eine tiefere Bedeutung zu geben. Plötzlich musste ich viel härter daran arbeiten als vorher.
 

ERF: Jack kam also nach dem Schlaganfall?

Adrian Plass: Er war vorher schon da, aber nicht als Hauptfigur. Ich erinnere mich, wie ich beim Schreiben immer wieder dachte: „Das funktioniert nicht!“ Bis ich endlich die Beziehung dieser beiden Figuren durchblickt habe: Ich bin Jack – so wie ich früher mal gewesen bin. Ich bin aber auch der Schattendoktor – so wie ich gerne sein würde. Das war der Schlüssel.

Mit dem Buch schließt sich für mich ein Kreis. Ich würde gerne so sein wie der Schattendoktor: Menschen so offen begegnen, sein Vertrauen auf Gott setzen. Jack wiederum ist wiederum, wie ich es als junger Mann war: Eine Person, die immer versucht, den anderen zu helfen und stattdessen nur ihre Probleme neu sortiert. Damit erreicht er zwar, dass sie sich besser fühlen — aber es hat sich nichts verändert. Jack muss einen Weg finden, in Kontakt mit diesem realen und aktiven Gott zu kommen.

Gott kann jeden gebrauchen

ERF: Im „Schattendoktor“ verarbeiten Sie also Ihre eigene Glaubensreise. Wie hat sich ihre Beziehung zu Gott konkret verändert, zum Beispiel im Gebet?

Adrian Plass: Heutzutage rede ich einfach mit Gott. Wenn ich meine bevorzugte Gottesdienstform benennen müsste, wären es zwei: Einmal der richtig klassische Kirchengottesdienst, bei dem ich einfach in die Schönheit meiner Umgebung eintauchen kann. Und zweitens: Ich allein mit Jesus. So wie er es gesagt hat: Geh in deine Kammer, schließ die Tür hinter dir zu und rede zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Das sind meine Formen, Gott zu begegnen. Doch auf der ganzen Welt beten die Menschen ganz unterschiedlich. Solange es ehrlich von Herzen kommt, ist die Form egal. Wenn nicht, hat es sowieso kein Sinn.
 

ERF: Welche Reaktionen gab es bisher auf den Schattendoktor?

Adrian Plass: Sehr viele. Anfangs tauchten sehr harte Kritiken auf, aber auch positive. Gefreut haben mich vor allem die vielen E-Mails, die ich von Lesern bekommen habe. Die meisten fragten: „Kann das wahr sein? Kann es sein, dass Gott mein Leben wirklich gebrauchen will?“ Viele Menschen halten sich für ungenügend, um von Gott gebraucht zu werden.

Es gibt in der frommen Welt so viele innere Gefängnisse. Zum Beispiel, wenn man gesagt bekommt: „Du kannst nichts tun, nur Gott kann etwas tun. Aber wenn du nichts tust, ist es auch deine Schuld”. Wie will man aus diesem Gefängnis ausbrechen?

Dabei sagt Gott eigentlich: „Ich will dich gebrauchen, allerdings zu meinen Bedingungen. Wir können eine tolle Beziehung haben und großartige Dinge gemeinsam tun, aber auf meine Art und Weise!“ Es ist wie dieses Gespräch zwischen Jesus und Petrus am Ufer. “Vergiss deine Unzulänglichkeiten und vergiss deine Begabungen. Wenn du nichts mehr hast: Willst du mich immer noch finden?” Das ist die eigentliche Frage.

Interessanterweise ist es für viele schwerer, ihre Unzulänglichkeiten zu vergessen als ihre Talente. Wir Menschen tendieren dazu, wie besessen auf unsere Fehler zu schauen.
 

ERF: Was haben Sie persönlich vom „Schattendoktor“ gelernt?

Adrian Plass: Vor allem, was für ein schlechter Autor ich bin! Ich musste härter arbeiten als je zuvor. Und es gibt immer noch Dinge, die ich gerne anders geschrieben hätte. Aber es hat mir auch Freude gemacht, weil die Geschichte so wahrhaftig ist. Alles, was ich darin geschrieben habe, ist mir oder einem anderen Menschen schon mal widerfahren. Dieses Gefühl von Menschlichkeit ist aufregend — die Perspektive, dass wir authentischere Menschen werden können, die Gott gebraucht, ist so spannend!
 

ERF:  Das ist das, was Jack im Schattendoktor lernt: Einfach er selbst zu sein.

Adrian Plass: Genau! Er lernt, er selbst zu sein. Was für ihn ungewöhnlich ist. Er ist so darauf getrimmt, als Christ zu leben, dass er vergessen hat, Jack zu sein. Also muss er sich selbst neu finden. Aber diese Reise lohnt sich!
 

ERF: Danke für das Gespräch.
 

 Tanja Rinsland

Tanja Rinsland

  |  Unit Lead ERF Plus Redaktion

Tanja Rinsland hat Medienwissenschaften und Organisationsentwicklung studiert. Die Deutschbrasilianerin leitet die ERF Plus Redaktion und verantwortet mit ihrem Team die inhaltliche Gestaltung des Senders. 

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Kommentare (1)

Martin /

Danke für das Interview. Wollte das Buch gerne bei euch kaufen - habe aber kein Ebook gefunden, nur Papier (bin im Ausland). Habe gerade das Original auf Englisch bei Amazon rausgelassen, sorry. Der mehr

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