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© Davide Cantelli / unsplash.com

01.11.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Elisa Meyer

Ja zum Leben trotz Mukoviszidose

Markus Hänni lebt in vollen Zügen, obwohl seine Atemzüge nicht selbstverständlich sind.

„Ich weiß nicht, wie es ist, gesund zu sein.“ Markus Hänni ist mit der Erbkrankheit Mukoviszidose zur Welt gekommen. Häufige Aufenthalte im Krankenhaus, stundenlange Therapien und geringes Atemvolumen erschweren seinen Alltag. Die Ärzte gaben ihm nicht viel Lebenszeit, die meisten Prognosen überlebte er.

Als er an einem persönlichen Tiefpunkt stand, versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Wie durch ein Wunder überlebte er und suchte neue Wege, das Leben zu sehen und zu gestalten. Heute hat Markus eine Familie und ist ein sehr lebensfroher Mensch, der anderen Mut macht.

Was er über seine Identität gelernt hat und wie sich die Krankheit auf seine Beziehungen und seine Lebenseinstellung auswirkt, erzählt er im Interview.
 

ERF: Aufgrund deiner Erkrankung wurde dein Lebensalter nicht sehr hoch geschätzt, manchmal nur ein paar Jahre mehr als dein damaliges Alter. Was hätte dein 13-jähriges Ich geantwortet, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er einmal verheiratet sein und Kinder haben würde?

Markus Hänni: Wahrscheinlich hätte ich das nicht geglaubt. Ich hätte gesagt: Da kann etwas nicht stimmen. Das passt nicht zusammen mit dem, was ich erlebe, und dem, was man mir darüber sagt, wie die Krankheit aussieht.


ERF: Bald bist du 43 Jahre alt. Was hat dich mehr herausgefordert: Waren es die Zeiten, in denen du starke Schmerzen hattest, oder waren es die sich wiederholenden Therapien und die wiederkehrenden Rückschläge?

Foto von Markus Hänni
Markus Hänni wurde mit zwei Jahren mit Mukoviszidose diagnostiziert. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Bern und arbeitet als Schauspieler und Autor. (Copyright: ERF)

Markus Hänni: Es waren schon immer wieder diese Therapien, die mich herausgefordert haben. Dieses dickflüssige Sekret, das ich immer hatte, fand ich selbst eklig und mühsam, ebenso die Atemnot. Aber es waren schon diese Therapien und die Abhängigkeit, die damit verbunden ist.

Man nimmt die Krankheit immer mit sich und kann nicht einfach mal in die Ferien fahren und sagen: Jetzt lass ich die Krankheit mal zwei Wochen zu Hause. Das war eigentlich so das Schwere, nicht die Krankheit selbst, die Schmerzen und was man dabei fühlt, sondern der Umgang damit.

Wenn chronische Krankheit und Ehe zusammenkommen

ERF: Deine damalige Freundin konnte mit deiner Situation nicht fertig werden und hat dich verlassen. Dann hast du deine jetzige Frau kennengelernt. Welche Gedanken hast du dir gemacht, als ihr euch näherkamt?

Markus Hänni: Ich habe gedacht, dass niemand ernsthaft mit mir zusammen sein will. Ich habe es immer gehofft, aber ich habe gedacht, wenn die Krankheit ihr wirkliches Gesicht zeigt, möchte das wahrscheinlich niemand. Ich mochte es ja auch für mich selbst nicht und schon gar nicht jemand anderem antun.

Das habe ich meiner heutigen Frau auch zu Beginn der Beziehung gesagt: „Ich möchte das Beste für dich und vielleicht bin ich das nicht mit dieser Erkrankung.“


ERF: Worin unterscheidet sich eure Ehe zu der von anderen Paaren?

Markus Hänni: Wir sind sehr abgeklärt. Meine Frau ist eine perfekte Organisatorin, das kommt mir zugute. Sie hat eine Pflegeausbildung und hat Mukoviszidose schon vor unserer Beziehung gekannt. Der Unterschied ist, dass wir einen sehr großen Klärungsprozess durchlaufen haben in unserer Freundschaftszeit und bereits so abgeklärt in die Beziehung und Ehe gestartet sind. Das ist ein großer Pluspunkt.

Wir merken auch in unserem Umfeld, dass wir sehr gut organisiert sind. Wir sehen Herausforderungen als Chance. Wir geben einander Freiraum. Meine Frau hat aus gesundheitlichen Gründen zum Beispiel ein höheres Energielevel als ich und da braucht es diesen Freiraum. Wir haben großes Verständnis und Offenheit füreinander und dadurch gelernt, besser zu kommunizieren und unsere Bedürfnisse und Gefühle mitzuteilen.

Wir geben einander Freiraum. Meine Frau hat ein größeres Energielevel als ich und da braucht es das.

Aber ich denke, der größte Punkt ist schon, dass wir uns mit schweren Themen wie Tod, Organspende und Finanzen auseinandergesetzt haben. Es wirkt sich ja auf alles aus, auch auf Kinder.

Kranker, aber präsenter Vater

ERF: Deine Frau und du geht recht offen mit der Krankheit um, auch in Bezug auf eure Kinder. Was hat euch beschäftigt, bevor ihr Kinder bekommen habt?

Markus Hänni: Ganz viel! Der erste Gedanke war: Können wir es weitervererben? Das konnten wir mit einer Blutprobe ausschließen, weil es von beiden Seiten vererbt werden muss. Meine Frau ist keine Erbträgerin dieses Gendefekts, und da wussten wir, dass die Kinder die Krankheit nicht haben werden. Das war sicher einer der größten Punkte zum Abklären.

Das andere ist natürlich die ganze Organisation, die Finanzen und die Frage, ob es unser Wunsch ist und ob Gott das auch möchte. Wir haben dafür ein Gebetsteam ins Leben gerufen und mit vielen Freunden diskutiert. Das Thema Kinder haben wir so extrem geprüft, wie wir das von niemand anderem kennen, weil es viel Klärung benötigte, aber auch für uns Bestätigung brauchte.

Ein Aspekt war zum Beispiel meine Lebenserwartung. Uns war wichtig, dass man zu diesem Zeitpunkt sagen konnte, dass ich das 18. Lebensjahr meiner Kinder erlebe, ist wirklich realistisch. Das muss sein. Wir sind durch ganz viele Phasen gegangen, bis wir unser OK hatten und wir wirklich überall einen Haken drunter setzen konnten.


ERF: Wie unterscheidet sich euer Familienalltag von dem anderer Familien?

Markus Hänni: Es ist so, dass ich sehr oft zu Hause bin. Ich arbeite und lerne von zu Hause. Ich mache noch eine Ausbildung und kann so eigentlich jedes Frühstück mit den Kindern vor der Schule essen. Mittags essen wir oft zusammen, Abendessen ebenso. Ich bin ein sehr präsenter Vater und das ist sicher ein großer Unterschied zu meinen Freunden.

Gleichzeitig betrifft die Krankheit die ganze Familie. Meine Kinder bekommen es mit und kriegen da sicher auch einen Rucksack mit auf den Weg in Bezug auf Empathie, Verständnis und Rücksichtnahme auf andere Menschen. Sie stellen auch sehr gute Fragen, die wir ihnen offen und natürlich ihrem Alter entsprechend beantworten.

Wer definiert, wer ich bin?

ERF: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Leistung sehr wichtig ist, und Männern wird nicht gerade nachgesagt, gerne über Schwächen zu sprechen. Wie geht es dir damit, als Mann durch die chronische Krankheit eine körperliche Schwäche zu haben?

Markus Hänni: Ich habe immer so viel geleistet, wie ich konnte, und bin dann irgendwie in eine Schräglage gekommen. Ich dachte, dass ich weniger wert wäre als andere oder weniger könnte. Dann sah ich es aber so, dass ich ja noch mit einer Krankheit umgehe und dass ich schon alleine weil ich mit dieser Krankheit umgehen kann, eigentlich der Stärkste bin.

Das war sozusagen ein Reframing: Ich muss mit einer so schweren Krankheit zurechtkommen und trotzdem kann ich sehr vieles machen. Ich laufe dadurch eigentlich immer an meinen Grenzen und obschon ich vielleicht in der Gesellschaft viel weniger leiste als jemand, der gesund ist, bin ich doch viel näher an meinen Grenzen.

Wie Bibelvorbilder helfen und was zum Umdenken anregt

ERF: Du glaubst an Jesus. Hat dein Glaube eine Rolle in Bezug auf deinen Selbstwert gespielt?

Markus Hänni: Ja, er hat mich sicher gelassener im Umgang mit der Krankheit gemacht. Ich muss nicht durch mein Tun bestätigen, dass ich jemand bin, sondern ich bin schon angenommen. Die Welt sagt, dass du etwas tun musst, damit du jemand bist. Gott sagt aber: Du bist schon jemand, du bist mein geliebtes Kind und aus diesem heraus kannst du etwas tun und auch sein.

Das ist sicher etwas, was mir immer Frieden gegeben hat: der Glaube, dass ein Gott dahintersteht und dass alles einmal Sinn ergibt, auch wenn ich das jetzt nicht sehen kann.

Es gab mir auch schon immer Kraft, in der Bibel von den Propheten und Jüngern zu lesen, die alle auch gelitten haben. Dieses Vertrauen der Bibelvorbilder zu sehen und dass sie auch ihre Kämpfe gekämpft haben, gab mir Sicherheit. Die Bibel ist für mich ein großer Stärker in Krankheitszeiten und somit auch der Glaube.

Ich würde sagen, dass der Glaube mein Leben und die Einstellung dazu fundamental ändert, in Beziehung auf die Endlichkeit und auf den Wert, den die Bibel mir vermittelt.

Auch die Einstellung „Trachtet zuerst nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit so wird euch alles andere zufallen“, statt einfach das kurzfristige Glück zu suchen, finde ich hilfreich. Da gibt es so viele Impulse, die ich aus der Bibel schöpfen kann, die quasi eine Kehrtwende der Gedanken auslösen können und ein richtiges Reframing bedeuten.

„Meine Krankheit ist eigentlich eine Stärke“

ERF: Wie hat deine Krankheit deine Lebenseinstellung geprägt?

Markus Hänni: Wahrscheinlich viel mehr, als ich mir bewusst bin. Ich glaube, es bringt sehr viel Verständnis für andere Menschen und schafft Verbindung. Man kann sagen, dass meine Krankheit eigentlich eine Stärke ist, nicht eine Schwäche, und dass meine Verletzlichkeiten oder eben die „Schwäche“ die Verbindung zu anderen Menschen stärkt und vertieft.

Ich mag Menschen extrem. Ich liebe die Gemeinschaft. Ich bin extrem dankbar und happy, wenn ich etwas machen kann, wenn ich in der Gesellschaft teilhaben kann. Nicht aus dem Bedürfnis heraus, gesehen zu werden, sondern weil ich weiß, dass es auch anders sein könnte.

Ich habe auch schon Phasen erlebt, in denen ich aus der Gesellschaft entrissen wurde und ins Krankenhaus musste.

Es ist ein wunderschönes Privileg, in der Gesellschaft tätig sein zu können, teilzuhaben und Freundschaften zu leben.

Mein Leben und meine Einstellungen sind geprägt von einer tiefen Dankbarkeit und dem Bewusstsein, auch das Gute betrachten zu können und zu werten und obschon nicht alles gut ist, mehr Wert darauf zu legen.
 

ERF: Was gibst du einem Menschen mit, der aufgrund von Krankheit einen geringen Selbstwert hat oder nicht viel vom Leben erwartet?

Markus Hänni: Natürlich ist mein Ratschlag sehr individuell, aber ich würde ihm wahrscheinlich raten, ein Wunschtagebuch zu führen. Und ein Tagebuch, in dem er nicht nur seine Wünsche aufschreibt, sondern auch das, wofür er dankbar ist. Ich glaube, es kann sehr viel bringen, wenn man aufschreibt, was man alles hat und für was man dankbar ist. Das gibt einem etwas zurück.

Genauso die Wünsche, damit man sich bewusst wird: Doch, ich habe auch Wünsche und ich darf meine Wünsche leben und kann mich dort hingehend entwickeln. Die Dankbarkeit fehlt oft, wenn man keine Erwartungen an das Leben hat und das Gute gar nicht mehr sieht. Das mal aufzuschreiben, bringt einen viel näher zu sich selbst.

ERF: Vielen Dank für das Interview!
 

 Elisa Meyer

Elisa Meyer

  |  Crossmedia-Volontärin

Die crossmediale Redaktionsvolontärin setzt sich im Bereich Online und auf Social Media ein. In ihren Beiträgen gibt sie am liebsten ermutigende und biblische Themen weiter. Die studierte Kommunikationsgestalterin ist auch in ihrer Freizeit gerne kreativ oder in der Natur unterwegs.

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