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© Dmitry Ratushny / unsplash.com

09.01.2018 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Tanja Rinsland

„Gott ist nett“

Der „fromme Chaot“ Adrian Plass über falsche Gottesbilder.

Vor ziemlich genau 30 Jahren erschien „Das Tagebuch eines frommen Chaoten“ des britischen Autors Adrian Plass. Mit viel Humor, aber auch einer gehörigen Portion Realismus beschrieb Plass damals das Verhalten vieler Christen und Kirchengemeinden. Inzwischen sind über 40 Bücher des Engländers erschienen, viele davon wurden ins Deutsche übersetzt. Anlässlich seines neuesten Romans, „Der Schattendoktor“ haben wir mit Adrian Plass in Wetzlar gesprochen.

Seit 35 Jahren am Beichten

ERF: Adrian Plass, Sie sind von Beruf eigentlich Schauspieler und Sozialarbeiter. Wie kamen Sie vor 30 Jahren dazu, das „Tagebuch eines Frommen Chaoten“ zu schreiben?

Adrian Plass: Ich habe damals als Sozialarbeiter mit vernachlässigten Kindern gearbeitet. Nach einigen Jahren erkrankte ich an einer Belastungsstörung und das Schreiben wurde eine Art Therapie. Ich wollte einfach ausdrücken, was in mir innerlich vorging. Da ich wohl gerade etwas schräg drauf war, habe ich tatsächlich die Wahrheit aufgeschrieben! Und zwar das, was Christen dachten, aber nie sagten.

Das „Tagebuch eines frommen Chaoten“ war ein schockierend erfolgreiches Buch. Von einem Tag auf den nächsten, wurde aus mir traurigem Tropf jemand, den die Leute hören wollten. Das war verwirrend und nicht immer gut für mich. Aber eine gewaltige Sache.
 

ERF: Schreiben als Therapie – hat es geholfen?

Adrian Plass: Ja! Ich habe einfach alles, was mir Kummer machte, niedergeschrieben. Da der christliche Glaube immer eine große Rolle in meinem Leben eingenommen hat, habe ich auch darüber geschrieben. Das Ergebnis hat mich selbst geschockt, aber es war auch schön, die Wahrheit endlich auszusprechen. Kürzlich sagte mir jemand, dass meine ganze Karriere als Schriftsteller eine lange Beichte sei — so als spräche ich seit 35 Jahren bei meinem Beichtvater vor. Da ist möglicherweise etwas dran.

Jesus, der große Kritiker

ERF: Sie schrieben auf, was andere dachten, aber nicht sagten. Warum ist es für Christen manchmal so schwer, ehrlich über Probleme in der Kirche zu reden?

Adrian Plass: Das Problem in der frommen Welt ist, dass Gott manchmal nicht greifbar ist. Man kann Gott nur dadurch finden, dass man einfach glaubt! Das ist schwerer, als wir es wahrhaben wollen. Viele Christen fürchten sich davor, dass sie unter ihrem frommen Gerüst kein Gebäude mehr finden würden, wenn man das Gerüst entfernen würde. Dieses Gerüst ist ja auch sehr attraktiv: die Musik, nette Sprüche, Bibelstunden etc.: Ein tolles Gerüst!

Aber die eigentliche Wahrheit taucht erst auf, wenn man am Ufer sitzt und von Jesus gefragt wird: „Liebst du mich?“ Vielleicht antwortet man mit „Nein“ — das ist okay und ehrlich. Oder  man antwortet mit „Ich würde ja gern“ — das wäre hilfreich. Aber wenn man „Ja“ sagt und seine Unzulänglichkeiten und Talente beiseite schiebt, eröffnet sich uns eine neue Welt. Das ist für manche Menschen bedrohlich. Aber ich glaube trotzdem, viele wollen aus ihrer Komfortzone raus, in eine Welt die wahrhaftig und gefährlich ist!
 

ERF: In vielen Ihrer Bücher karikieren Sie die zwischenmenschlichen Beziehungen unter Christen. Hinter den humorvollen Szenen steckt ernste Kritik an problematischen Verhaltensweisen innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Warum sind Sie trotzdem noch Christ, auch wenn so viel in der Kirche falsch läuft?

Adrian Plass: Ich will das mal klarstellen: Ich liebe die Kirche! Sie ist der Leib Christi. Ich treffe nur so viele Leute, die negative Erfahrungen mit Kirche und den Menschen darin gemacht haben und bis heute darunter leiden. Ich habe keine Angst davor, solche Missstände anzuprangern. Dabei bin ich bei weitem kein so großer Kritiker wie Jesus es war. Ich wünschte, ich hätte seine Nerven. Seine Kritik an den Obrigkeiten war vernichtend!

Mir geht es vor allem um zwei Dinge. Einmal um die Menschen selbst: Ihre Verluste, Enttäuschungen und Verletzungen. Und es geht mir um den guten Ruf Gottes. Ich finde es schrecklich, dass man überhaupt annimmt, er habe irgendetwas mit dem Dreck zu tun, der in der Kirche passiert! Vor allem dann, wenn Menschen ihre Machtposition missbrauchen.

Davor bin ich übrigens auch nicht gefeit. Wenn ich vor Leuten stehe und Vorträge halte, kann ich sie beeinflussen, habe also Macht. Deswegen muss ich mich ständig hinterfragen: Haben meine Worte einen positiven oder negativen Einfluss?

„Gott ist nett“

ERF: Nennen Sie eine Sache, die Sie besonders schwierig am Verhalten vieler Christen finden.

Adrian Plass: Was mich besonders stört, ist die Kluft zwischen dem, was nach Ansicht vieler sein müsste, und der Wirklichkeit. Viele Menschen in der Kirche versuchen krampfhaft, sich ein total künstliches Maß an Erfolg und Leistung zu erarbeiten. Christen können manchmal fast neurotisch positiv sein und dabei die Augen vor der Dunkelheit und dem Scheitern im Leben der Menschen verschließen.

Doch auch in christlichen Gemeinschaften sterben Menschen an qualvollen Krankheiten. Manchmal passieren schreckliche Dinge — und Gott lässt sie zu. Es muss erlaubt sein, dann zu sagen: „Gott, ich hasse, was du getan hast und ich hasse es, dass du nichts getan hast. Ich kann dich nicht hassen, weil du vollkommen bist, und das ist ganz schön nervig. Aber all das tut so weh.“ Ich finde es Wahnsinn, in solchen Situation von den Leuten zu erwarten, dem Ganzen noch etwas Positives abzugewinnen!

Ich erinnere mich an eine Freundin, die ihren Mann verloren hat. Sie ist ein toller Christ. Doch als wir kurz nach dem Tod ihres Mannes mit ihr sprachen, sagten meine Frau und ich: „Wenn du fluchen musst, ruf uns einfach an.“ Ich glaube, ich habe in meinem Lebtag noch nicht solche Ausdrücke gehört wie bei diesem Telefonat. Ich sage nicht, dass fluchen etwas Gutes ist. Alles, was ich sagen will, ist: Diese Frau, an diesem Tag, brauchte die Gelegenheit, einfach mal ihre Wut rauszulassen. Ich bin überzeugt, Gott ist groß genug, um damit klar zu kommen. Ich glaube, Gott ist wirklich nett.
 

ERF: Was meinen Sie mit „Gott ist nett“?

Adrian Plass: Letztendlich geht es um mein Gottesbild. Früher dachte ich, Gott wäre ein bestrafender, kleinlicher Typ. Doch als ich damals an der Belastungsstörung erkrankte, konnte ich nur da sitzen, Musik hören und nichts tun. Es war ein bisschen so, wie wenn man als Kind im Garten Fahrrad fährt. Der Vater sitzt auf den Treppenstufen vor der Haustür und schaut mir zu. Er muss nichts sagen, er ist einfach da.

Damals habe ich verstanden, dass Gott nett ist und dass er mich mag. Ich wehre mich gegen die Ansicht, dass Gott uns nur trotz unserer schrecklichen Sünden liebt. Wenn Gott mich nicht mag, was wäre dann der Sinn? Ich glaube, er liebt mich — und das ist wichtig — aber er mag mich auch.
 

ERF: Mögen und Lieben – was ist der Unterschied?

Adrian Plass: Es ist vollkommen unterschiedlich! Man liebt trotz etwas. Und man mag wegen etwas. Mir würde es nicht reichen, geliebt zu sein — ich will auch gemocht werden. Es muss etwas an mir geben, das wertvoll ist. Gott sieht in uns Menschen Dinge, die er mag.

Gott ist nett. Ja, das ist ein farbloses Wort! Aber eins, das wir Menschen begreifen können! Früher sprach man viel über die „Herrlichkeit Gottes“ — aber als Mensch verstehe ich Herrlichkeit nicht wirklich. Was ich aber erlebt habe, ist, dass da eine liebevolle, freundliche, gütige Gegenwart ist, die es gut mit mir meint, die humorvoll und leidenschaftlich für mich da ist. So ist Gott.
 

ERF: Danke für das Gespräch.
 


Hier finden Sie weitere Interviews mit Adrian Plass

 

 

 

 Tanja Rinsland

Tanja Rinsland

  |  Unit Lead ERF Plus Redaktion

Tanja Rinsland hat Medienwissenschaften und Organisationsentwicklung studiert. Die Deutschbrasilianerin leitet die ERF Plus Redaktion und verantwortet mit ihrem Team die inhaltliche Gestaltung des Senders. 

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Kommentare (1)

Lieselotte H.G. /

ich habe mich wiedergefunden ,hurra!!!Ich habe oft mich fast geschämt, nicht so fromm sein zu können, aber es hat mir Spass gemacht mir vorzustellen : Gott ist mein Vater, mein richtiger Vater, der mehr

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