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© Kateryna Hliznitsova / unsplash.com

11.08.2024 / Porträt / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Nelli Bangert

Durst nach Leben

Lydia füllt ihr Leben mit Männern und Alkohol, bis eine Höllenfahrt ihre innere Leere aufdeckt.

Ausbruch aus der „perfekten“ Welt

Lydia Jane Röhner
 Lydia Jane Röhner

Lydia Röhner wächst als Älteste von vier Pfarrerskindern auf. Glaube und Kirche sind von klein auf Teil ihres Lebens, die sie nicht hinterfragt. Trotzdem erlebt sie, dass all das für sie irgendwie nicht funktioniert. Sie beschreibt es so: „Ich schmeiß mein Gebet oben rein und wenn unten nicht rauskommt, was ich will, dann ist Gott doch ein blöder Spielverderber.“

Sie probiert es immer wieder aus, aber sie bekommt von Gott nicht das, was sie sich wünscht. Zudem erlebt sie, dass sie etwas leisten muss, um wertvoll zu sein. Sie fühlt Minderwert, weil andere scheinbar besser, schlauer und toller sind. Lydia hat das Gefühl nicht in die „brave“ Welt ihrer Familie zu passen.

Mit 16 bricht sie aus dieser „perfekten Welt“ aus und verändert sich immer mehr. Zeitweise ist sie Teil der „Heavy-Metal-Szene“ und trägt nur noch schwarze Kleidung. Im Rückblick erzählt sie: „Wie manche sich zu Halloween anziehen – so bin ich halt immer rumgelaufen.“

Auch löst sie sich immer mehr von ihrer Familie, indem sie ihren eigenen Weg geht. Sie fängt an, ihre Eltern zu belügen, fälscht ihren Ausweis und geht mit Freunden in den Club. Dieser Ausbruch aus dem „Gewohnten“ ist für Lydia eine Art Befreiung.

Plötzlich fühlt sie sich stark. Endlich macht sie das, was sie will. Endlich bestimmt sie, was passiert.

Sie liebt ihr neues, selbstbestimmtes Leben und legt für sich fest: „Ich bestimme, wer ich sein will.“

Alkohol als Trostpflaster

Lydia merkt, dass ihr Lebensstil nicht gut bei ihrer Familie und ihrem Umfeld ankommt. Aber das spielt keine Rolle mehr für sie. Sie fängt an zu rauchen, immer mehr Alkohol kommt dazu, später auch Drogen.

Zunächst will sie vor allem Spaß und Party – den Rausch des Lebens genießen. Aber immer mehr übernimmt der Alkohol eine Hauptrolle in ihrem Leben. „Lass uns einfach trinken“ wird ihre neue Lebenseinstellung. Stress mit den Eltern oder im Studium? Im Alkohol findet sie ihr ein immer größer werdendes Trostpflaster. Dann, mit 19 zieht sie von zuhause aus und genießt dadurch noch mehr Freiheit.

Trotz dem großen Alkohol-Konsum, dem ständigen Feiern und wechselnden Männergeschichten gelingt ihr eine tolle Karriere. Über das Internet wird sie von einer Firma angeschrieben und bekommt ihren Traumjob. Lydia wollte schon immer eine große Geschäftsfrau werden, die außerdem noch jede Menge Spaß hat. Sie hat das Gefühl: Mein Leben läuft!

Eiskalt abserviert

Nach einer weiteren durchzechten Nacht verlässt Lydia gemeinsam mit einem Typen Hand in Hand einen Club. Es ist schon morgens, die Sonne geht auf. Abgemacht ist, dass Lydia noch mit ihm ins Hotel geht. Sie fahren mit dem Taxi bis ans Hotel, als er zu ihr sagt: „Bleib sitzen. Ich habe keinen Bock auf dich!“

Völlig im Party-Nebel sickert die Nachricht zu ihr durch, dass sie gerade eiskalt abserviert wurde. Der Taxifahrer fragt sie, wo er sie jetzt hinbringen soll. Sie nennt ihm den Ort, an dem ihr Auto steht. Er bittet sie, nicht in ihrem betrunkenen Zustand zu fahren. Aber das ist ihr egal: Er bringt sie hin, sie steigt aus, setzt sich ins Auto und fährt einfach los. Ohne zu wissen, wohin.

Innere Stimmen im Kopf sagen ihr, sie soll in eine Brücke reinfahren. Lydia steht komplett neben sich.

Sie rast über die Autobahn, stößt fast frontal mit einem anderen Auto zusammen, filmt sich streckenweise selbst dabei.

Irgendwie - und dafür gibt es keine Erklärung - kommt sie unversehrt nach Hause. Sie ist das ganze Wochenende völlig benebelt - völlig neben der Spur. Sie hat Angst davor, wieder ins Auto zu steigen, aber sie hat keine andere Wahl. Denn am Montag muss sie wieder arbeiten. Sie hat den Impuls auf der Autofahrt Lobpreislieder aus ihrer Jugend zu hören. Dabei wird sie ganz ruhig, ihr Kopf ist klar, die Fahrt läuft gut.

Das Kartenhaus fällt in sich zusammen

Lydia fragt sich: „Wieso habe ich das überlebt?“ Auch viele andere Gedanken bewegen sie. Sie erkennt: „Du warst in so einer gefährlichen Situation und bist unbeschadet da rausgekommen. Eigentlich hättest du mit einem wildfremden Mann Sex gehabt oder wärst als Hackfleisch unter der Brücke gelandet.“

Diese Autofahrt konfrontiert Lydia deutlich mit der Endlichkeit ihres Lebens. Sie fragt sich: „Was wäre dann mit meiner Seele passiert?“ Sie erkennt, dass es da nichts Schönes gibt, und erschrickt durch diesen Weckruf, wie „abgefuckt“ ihr Leben eigentlich gerade ist.

Sie realisiert, dass Menschen, die von außen auf ihr Leben schauen, nur das Tolle und Glamouröse sehen, aber hinter dieser Fassade nur Leere ist.

Nichts in ihrem Leben stillt ihre tiefe Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung. Sie macht sich viele Gedanken darüber, ob an der Sache mit Gott doch was dran sein könnte.

Aber direkt danach erkennt sie: „Wenn ich mich jetzt Gott zuwende und mir eine Gemeinde suche, dann muss ich mit dem Trinken und Rauchen aufhören und mein Leben verändern. Das ist doch voll anstrengend.“ Zu einem solch großen Schritt ist sie noch nicht bereit und es kommt zu keinem echten geistlichen Durchbruch: Lydias Leben geht einfach so weiter bisher.

Gnade trotzt Schuld

Nach diesem Erlebnis zerbröckelt Lydias Leben immer mehr. Ihr fehlt Stabilität und ihr geht es nicht gut. Der Partner, mit dem sie zusammenlebt, hat keine Vision für die Zukunft und lebt planlos in jeden Tag hinein.

Die Beziehung ist schwierig und irgendwie perspektivlos. Eines Tages sagt sie zu ihm: „Du, mir geht´s nicht gut. Kann ich mit dir reden?“ Anstatt sich Zeit für sie zu nehmen, lässt er sie links liegen und zockt einfach weiter am PC.

Lydia fühlt sich allein gelassen, ein tiefer seelischer Schmerz breitet sich in ihr aus. Sie kann kaum noch reden und zittert am ganzen Körper. Die Last von vielen Jahren wiegt schwer auf ihrer Seele. Sie ist fertig mit der Welt und weiß nicht, mit wem sie jetzt reden soll.

Plötzlich kommt Lydia ihre Mutter in den Sinn. Sie ruft sie an. Obwohl die Eltern zwei Stunden entfernt wohnen, fährt diese sofort zu Lydia. Sie setzen sich ins Wohnzimmer, auch ihr Freund ist dabei. Lydia hält nichts zurück und erzählt ihrer Mutter alles. Sie erzählt, wie es auf ihrer Arbeit läuft, wie es ihr allgemein geht, wie sie sich selbst wahrnimmt – alle ihre Probleme kommen an diesem Tag auf den Tisch. 

Lydia weiß: „Wenn ich will, dass sich was verändert, dann muss die Fassade runter.“ Der ganze Mist muss endlich raus aus ihrem Herzen und an die Oberfläche. Sie will kein Versteckspiel mehr, keine Maskerade mehr. Lydia zeigt sich, so wie sie ist.

Und wie reagiert ihre Mutter? Sie hört einfach nur aufmerksam zu, ohne zu bewerten oder der Tochter Vorwürfe zu machen. Lydia ist tief berührt.

Sie erzählt ihrer Mutter so viel Mist aus ihrem Leben – und ihre Mutter hält ihr nichts vor. Lydia spürt einfach nur Annahme und Gnade.

Dieser Moment wird zu einem Schlüsselmoment für sie. Zu einer tiefen Erfahrung der Gnade, die sie am tiefsten Punkt im Leben umarmt und nicht wegstößt. Die Mutter hört Lydia nur zu und sagt dann: „Jetzt überlegen wir uns, wie wir diese Probleme angehen.“ Sie reicht Lydia ihre helfende Hand. Die Veränderung geht schrittweise los: Lydia zieht aus, beendet die Beziehung und wechselt den Wohnort.

Endlich angekommen bei Gott

Am 12. August 2018 kommt es dann zu dem entscheidenden Moment in Lydias Beziehung zu Gott. Lydia reist per „Blind-Booking“ nach Berlin. Dort läuft sie einfach planlos durch die Stadt, denkt viel über ihr Leben nach und schaut sich die Gebäude an. Dabei spürt sie: „Da ist was. Und ich glaube, das ist Gott.“

Ihr geht es immer noch nicht gut – trotzdem ist da plötzlich eine Zuversicht in ihrem Herzen, sie fühlt sich getragen. Sie besucht einen Gottesdienst und während der Predigt fällt bei Lydia ein Satz ins Herz: „Gott befreit nicht aus Umständen, sondern in Umständen.“ Sie versteht, dass Gott nicht erst äußerlich ihr Leben verändern muss, bevor es gut werden kann. Vielmehr beginnt die Veränderung im Hier und Jetzt.

Als der Prediger die Gottesdienstbesucher einlädt, ihr Leben Jesus zu schenken, denkt Lydia: „Jetzt oder nie!“ Sie streckt beide Hände in Richtung Himmel – und heult los.

Die Tränen fließen ihr über die Wangen. Lydia kapituliert und lässt ihr Leben bei Gott los. Ihr wird leichter ums Herz.

Das Leben wird renoviert – von innen nach außen

Ein Prozess kommt in Lydias Leben in Gang. Sie erlebt nicht, dass Gott schnippt und alles wieder gut ist – so wie sie sich das als Kind vorgestellt hat. Vielmehr renoviert Gott ihr Leben langsam von innen nach außen. 

Tief im Herzen erkennt Lydia, wie wertvoll und geliebt sie ist. Sie erlebt Jesus als jemanden, der sie ohne Ende liebt und Interesse an ihr hat. Nach und nach wird die Veränderung ihres Herzens auch nach außen sichtbar. Sie lernt, anderen ehrlich von ihren persönlichen Herausforderungen zu erzählen, und versteckt sich nicht mehr hinter einer perfekten Fassade. Dadurch wird sie fähig, Freundschaften aufzubauen und anderen eine verlässliche Freundin zu sein.

Auch in der Beziehung zu Männern ändert sich Lydia. Sie sucht nicht mehr den „schnellen Kick“, sondern vertraut Gott ihren Herzenswunsch nach einem Ehepartner an. Auf wundervolle Weise lernt sie ihren Freund und heutigen Ehemann kennen: Einen Mann, der auch Jesus nachfolgt. Durch ihn erlebt sie noch einmal ganz praktisch, dass jemand sie wirklich liebt als die Person, die sie ist: nämlich als unendlich geliebte, kostbare Tochter Gottes. 

 

 Nelli Bangert

Nelli Bangert

  |  Freie Mitarbeiterin

Nelli Bangert ist Autorin, Redakteurin und Sprecherin auf Frauenevents. Sie ist davon überzeugt, dass Gott ein Leben in Fülle für jeden Menschen bereithält. Zu diesem Leben möchte sie Frauen durch ihre Events und Bücher einladen und ermutigen. Ihre Webseite: www.nelli-bangert.de

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