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© kzenon / istockphoto.com

15.04.2015 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Christine Keller

Zerstörerische Ideale

Seelsorgerin Tabea Rothfuß hilft Mädchen ehrenamtlich, Essstörungen zu überwinden. Ein Interview

Im gestrigen Interview mit der ehemaligen Germany’s next Topmodel -Kandidatin Jacqueline Thießen erzählte sie, wie der Rückhalt ihrer Familie ihr hilft, der harten Modewelt Stand zu halten. Leider ist das nicht die Erfahrung jeder jungen Frau. Denn die durch Mode und Medien vermittelten Schönheitsideale können dazu führen, dass Mädchen sich an ihnen messen. Im schlimmsten Fall führt diese Orientierung zu Essstörungen. Warum das so ist und wie sich junge Menschen dagegen wehren können, erzählt die christlich-therapeutische Seelsorgerin Tabea Rothfuß im Interview.
 

ERF Online: Warum sind Schönheitsideale gerade für junge Menschen so anziehend?

Tabea Rothfuß: Junge Menschen sind besonders auf der Suche nach Orientierung und Identität. Deswegen suchen sie sich oft Vorbilder. Dabei ist es der leichteste Weg, nach etwas zu schauen, was einen optisch anspricht. Die optische Anziehung ist für junge Menschen einfach größer, weil es einfacher ist, es nachzuahmen. Da sind Schönheitsideale, die durch Mode, Zeitschriften und Fernsehen publiziert werden, besonders naheliegend.
 

ERF Online: Schönheitsideale haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder geändert. Stellen Sie aktuell einen Trend zur Veränderung fest?

Tabea Rothfuß: Schönheitsideale ändern sich ständig durch Mode oder Frisuren – das kann man jedes Jahr beobachten. Aber dieses große Schönheitsideal – dass man schlank sein muss – hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Man kann lediglich feststellen, dass die Jugendlichen, die nach diesen Idealen streben, immer jünger werden.
 


Tabea Rothfuß. Bild: privat

ERF Online: Wie kann man sich von diesen Idealen lösen?

Tabea Rothfuß: Am besten ist es natürlich, wenn man ein starkes Selbstbewusstsein hat. Dann fühlt man sich schön oder nimmt sich zumindest so an, wie man aussieht. Auf diese Weise schafft man es, nicht abhängig zu werden von Schönheitsbildern. Es hilft auch, wenn man sich Vorbilder sucht, die charakterlichen oder emotionalen Wert haben. Vorbilder brauchen wir auf jeden Fall. Wir brauchen etwas, nach dem wir streben können. Es stellt sich nur die Frage, wonach wir streben – nach einem optischen oder charakterlichen Vorbild.

„Angehörige können und sollen nichts tun“

ERF Online: Schönheitsideale können in manchen Fällen sogar zu Essstörungen führen. Welche Personen(-gruppen) sind Ihrer Erfahrung nach am meisten von Essstörungen betroffen?

Tabea Rothfuß: Wir machen nach wie vor die Erfahrung, dass junge Frauen oder Mädchen betroffen sind. Die Betroffenen haben in der Regel  ein mangelndes Selbstbewusstsein und einen großen Hang zum Perfektionismus. Sie haben einen starken Willen, alles richtig und gut zu machen und möchten anderen gefallen. Die meisten Mädchen, die uns im Christlich Therapeutischen Seelsorgezentrum in Heidelberg aufsuchen, sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Wir hören aber auch von anderen Fällen; das ist nur ein Durchschnittswert.
 

ERF Online: Was sind Warnzeichen für Betroffene und Angehörige?

Tabea Rothfuß: Im Fall der Magersucht ist ein großes Warnzeichen der Gewichtsverlust. Aber noch bevor ein drastischer Gewichtsverlust festzustellen ist, beschäftigen sich die Betroffenen stark mit ihrer Figur. Sie sind unzufrieden mit ihrem Äußeren, obwohl es meist keinen Anlass dazu gibt. Sie fangen an, sich mit Lebensmitteln zu beschäftigen und sich über die Maßen gesund zu ernähren. Sie fangen auch häufig an, Familienmahlzeiten zu vermeiden, oder wollen den Eltern diktieren, was es zu essen gibt.

Natürlich folgen dann zunehmend Konflikte in der Familie und ein sozialer Rückzug der betroffenen Person. Häufig gehen die Betroffenen auch nicht mehr zu Freunden, weil sie befürchten, dass es etwas zu essen geben könnte. Im Fall der Bulimie ist es noch versteckter. Da gehen die Personen direkt nach dem Essen zur Toilette, um sich zu übergeben. Das ist ebenfalls ein großes Warnzeichen, auf das man achten sollte.
 

ERF Online: Was kann man als Angehöriger tun?

Tabea Rothfuß: Das, was für die Angehörigen meistens am allerschwierigsten zu begreifen ist: Sie können nichts tun. Und sie sollen auch erst gar nichts tun – erst recht nichts, was das Krankheitsbild oder das Verhalten der Person aufrecht erhält. Die meisten Eltern sind so besorgt und bemüht, dass sie alles machen, um das Kind zum Essen zu bringen: „Ich koche lieber, was das Kind mag –  Hauptsache es isst etwas.“ Dadurch wird das Kind natürlich in der Krankheit bestärkt, weil es die Familie im Grunde genommen mit der Krankheit unter Kontrolle bringt. Das ist völlig verkehrt!

Die Betroffenen müssen selbst erkennen, dass sie krank sind. Das erkennen sie am schnellsten, wenn der Leidensdruck groß ist, sprich: Wenn sie es nicht schaffen, ihre Umwelt zu manipulieren und ihr Umfeld auf ihr Problem zu lenken. Natürlich können sich Eltern, wenn sie nicht weiterkommen, auch Hilfe suchen. Die meisten Eltern brauchen das. Sie müssen verarbeiten, dass sie ihrem Kind nicht helfen können. Sie können ihr Kind nicht zum Essen oder einer Therapie drängen, solange das Kind noch nicht bereit dazu ist. Wir haben regelmäßig Eltern, die zur Seelsorge kommen und sich Rat und Hilfe holen, wie sie mit ihren Kindern umgehen können. Dazu möchten wir die betroffenen Eltern auch ermutigen.

Die Rolle der Medien

ERF Online: Im letzten Jahr hat Laura Pape, die ebenfalls magersüchtig war, eine Petition ins Leben gerufen: Heidi Klum solle in der Show Germany’s next Topmodel mehr über Essstörungen aufklären. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Show und dem Trend des Magerwahns?

Tabea Rothfuß: Ich finde diese Sendung ganz furchtbar. Aber es ist egal, ob man diese Show nimmt oder andere: Junge Menschen – oder in diesem konkreten Fall die jungen Damen – werden meiner Meinung nach auf rein Äußerliches reduziert.  Es ist schrecklich, dass die Medien vermitteln: „Du bist schön, du bist toll. Du entsprichst unserem Schönheitsideal.“ Mir scheint, und das finde ich furchtbar, dass innere Werte oder Talente, die die Teilnehmerinnen mitbringen, gar nicht zählen. 

Aber Medien – zumindest  ein Großteil der Medien – sind darauf ausgerichtet, junge Leute zu beeinflussen und ein Schönheitsideal vorzugeben. Dieses richtet sich natürlich nach der Optik.  Andere Werte kann man schwer vermitteln und schlecht darstellen. Es gibt eine Reihe von Fernsehshows, in der Menschen nach ihrem Aussehen bewertet werden. Man kann junge, schlanke und sportliche Personen einfach gut verkaufen. Leider sind deswegen charakterliche Werte nicht mehr so relevant in der heutigen Gesellschaft. Medien haben nun mal einen großen Einfluss auf die Gesellschaft.
 

ERF Online: Sie engagieren sich in einem Christlich Therapeutischem Seelsorgezentrum. Inwiefern kann der christliche Glaube Betroffenen helfen, wieder gesund zu werden?

Tabea Rothfuß: Generell sind wir der Überzeugung, dass wir allein durch Jesu Tod und Auferstehung gesund werden können. Sicher sind viele Therapien hilfreich und nützlich – wir müssen beispielsweise auch psychologische Hintergründe anwenden, um Menschen zu helfen. Aber was ein Mensch zusätzlich braucht, ist, dass Jesus ihn heilt. Außerdem sind wir uns als Christen bewusst darüber, dass wir von Gott gemacht sind. Deswegen sind wir einzigartig und wertvoll.

Das versuchen wir den betroffenen Mädchen zu vermitteln: Gott hat sie einzigartig erschaffen und aus diesem Grund können sie das Bild, das Gott von ihnen hat, annehmen. Dann können sie erkennen, wie wertvoll sie sind. Mit diesem Gedanken schaffen sie es auch, sich von anderen Schönheitsidealen zu lösen. Diese Annahme kommt von innen heraus. Die Mädchen suchen sich dann auch andere Vorbilder: Geistliche Vorbilder, charakterliche Vorbilder – oder ganz pragmatisch gesagt: Jesus.
 

ERF Online: Danke für das Gespräch.


Sängerin Déborah Rosenkranz litt früher unter Essstörungen - heute setzt sie sich im Rahmen des Projekts "Power2be" für Betroffene ein. Ihre Geschichte erzählt sie bei "Gott sei Dank!" 

 

 

 Christine Keller

Christine Keller

  |  Redakteurin

Hat in der Redaktion von ERF Jess gearbeitet. Ist ansonsten als freie Journalistin auch online und hinter der Kamera unterwegs. Sie hat Hummeln im Hintern, was aber nicht weh tut. Sie liebt es, To-Do-Listen zu schreiben und abzuhaken. Wenn‘s doch mal entspannt sein soll, nimmt sie gern ein gutes Buch zur Hand.

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Kommentare (1)

Peter G. /

Als Angehörige ist es sehr schwer, man wird automatisch koabhängig aus Sorge um das eigene Kind. Es gibt wenig Ärzte und Psychologen, die die Ernsthaftigkeit dieser Krankheit erkennen. In Meißen gibt mehr

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