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09.08.2024 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Warum reagiere ich so?

9 Anzeichen dafür, dass dein inneres Kind Heilung braucht.

„Da habe ich mich gerade nicht sehr erwachsen verhalten.“ Das habe ich schon oft gedacht, wenn ich mich in einer herausfordernden Situation eher wie ein Kind als wie eine erwachsene Frau verhalten habe. Meist habe ich mich danach gefragt: „Was ist hier gerade passiert?“

Eine mögliche Erklärung liefert das psychologische Konzept des inneren Kindes. Es besagt, dass Menschen neben ihrer Erwachsenenpersönlichkeit noch Anteile ihres früheren kindlichen Ichs in sich tragen.

Diese treten besonders dann zutage, wenn wir getriggert werden; sprich, wenn wir mit einer Situation konfrontiert sind, die uns bereits als Kind Mühe gemacht hat. Dann greifen wir auf alte Schutzmechanismen zurück und fallen in die Rolle dieses Kindes.

Laut Psychologen können wir dieses automatische Verhaltensmuster durchbrechen, wenn wir uns unserem inneren Kind zuwenden, alte Verletzungen wahrnehmen und heilen.

Dann können wir in herausfordernden Situationen unserem inneren Kind Sicherheit geben und fallen nicht mehr in kindliche Schutzmechanismen zurück.

Wissenschaftliche Belege für diese Theorie gibt es noch nicht viele, aber es gibt etliche Anhaltspunkte, dass an diesem Konzept etwas dran ist. Außerdem erzählen viele Menschen, dass ihnen die Vorstellung von einem inneren Kind hilft, kindliche Reaktionsmuster in ihrem Verhalten besser zu erkennen, deren Hintergründe zu verstehen und sie aufzulösen.

Eine, der dieses Konzept geholfen hat, ist Priska Lachmann. In ihrem Buch „Wie dein inneres Kind Heimat bei Gott findet“ widmet sie sich ausführlich dem Konzept des inneren Kindes und gibt Hilfestellungen, wie man seinem inneren Kind begegnen kann. Dabei nimmt sie immer wieder Bezug auf die neusten wissenschaftlichen Forschungen.

Die 9 Eigenschaften des verletzten inneren Kindes

Lachmann schlüsselt neun Eigenschaften und Verhaltensweisen auf, die darauf hindeuten, dass wir als Kinder kleine oder größere Verletzungen erlebt haben und uns in Belastungssituationen von diesem verletzten inneren Kind leiten lassen.

Für Lachmann sind diese früheren Verletzungen nicht gleichzusetzen mit Traumata. Aber auch kleinere kindliche Enttäuschungen können sich in uns festsetzen und unser Verhalten als Erwachsene mitbestimmen. Auf folgende Verhaltensweisen gilt es deshalb zu achten.

1. Co-Abhängigkeit

Ein Zeichen, dass ich mich stark von meinem verletzten inneren Kind leiten lasse, ist, wenn ich mich von anderen Menschen abhängig mache und mich damit quasi in eine kindähnliche Position begebe.

Dies meint nicht, dass ich per se andere über mich bestimmen lasse, sondern bezieht sich oft nur auf einzelne Personen oder zeigt sich in extremem People-Pleasing (mehr dazu in Punkt 2). Das heißt: Ich versuche stets anderen zu gefallen oder stelle fremde Bedürfnisse über meine eigenen

Co-Abhängigkeit geht aber noch weiter als People-Pleasing. Ich versuche hier nicht nur, anderen Menschen zu gefallen und lasse sie meine Grenzen überschreiten, sondern ich bin auch in Gedanken dauerhaft beim anderen und seinen Bedürfnissen.

In einer Partnerschaft kann sich das so äußern, dass ich mein ganzes Leben inklusive meiner Stimmung vom anderen bestimmen lasse. Eventuell kann ich auf Nachfrage nicht einmal äußern, wie es mir selbst geht und was ich mir anders wünschen würde, da ich meine Identität komplett mit den Wünschen und Bedürfnissen des anderen verknüpft habe.

Dadurch dass in einer Co-Abhängigkeit meine Grenzen regelmäßig überschritten werden, fühle ich mich innerlich ausgebrannt und müde.

Gleichzeitig fällt es Betroffenen meist schwer, diesen Zustand zu ändern, da die Co-Abhängigkeit oft nicht bewusst wahrgenommen wird.

2. People-Pleasing

Ein Teilaspekt von Co-Abhängigkeit und ein weiteres Zeichen, dass mein inneres Kind noch Heilung braucht, ist People-Pleasing. Viele Menschen – mich eingeschlossen – haben nicht gelernt, Nein zu sagen. Als Kinder lernen wir, dass wir Erwachsenen gehorchen sollen. Wir bekommen beigebracht, dass wir dann brav und nett sind, wenn wir auf die Bedürfnisse und Anfragen anderer eingehen.  Daran ist grundsätzlich nichts verwerflich.

Leider erleben zu viele Menschen in ihrer Kindheit, dass sie nur dann Aufmerksamkeit und Liebe erfahren, wenn sie sich korrekt verhalten und tun, was die Eltern von ihnen wollen. Wenn ich eine solche Erfahrung in der Kindheit gemacht habe, verinnerliche ich sie und versuche auch als Erwachsene noch, Chef, Partner, Kinder und Freunde möglichst zufriedenzustellen.

Dabei ist mir eventuell gar nicht bewusst, dass ich als Erwachsene eigentlich in der Position bin, frei zu entscheiden, ob ich auf den Wunsch einer anderen Person eingehen möchte oder nicht. Ja, dass dies sogar meine Verantwortung als erwachsener Mensch ist.

Stattdessen bemühen sich People-Pleaser, ihr oft geringes Selbstwertgefühl zu kompensieren, indem sie anderen gefallen. Aber aus einer solchen Haltung heraus kann kein gesundes Selbstwertgefühl und kein erwachsener Umgang mit meinen eigenen emotionalen Ressourcen und Kräften entstehen.

3. Vertrauensprobleme

Wenn mein inneres Kind verletzt wurde, tue ich mich eventuell auch schwer damit, anderen zu vertrauen. Dies kann sich auf verschiedene Arten zeigen. Vielleicht äußert sich mein Misstrauen anderen gegenüber in einem starken Drang nach Unabhängigkeit. Genauso ist es aber auch möglich, dass ich versuche, andere durch People-Pleasing (siehe Punkt 2) milde zu stimmen.

Oft weitet sich grundsätzliches Misstrauen, das ein Mensch als Kind verinnerlicht hat, auch auf dessen Selbstbild aus.

Dann fällt es mir wahrscheinlich schwer, meine eigenen Fähigkeiten wahrzunehmen und darauf zu vertrauen, dass ich etwas bewirken und mein eigenes Leben gestalten kann.

Natürlich ist es als erwachsener Mensch kaum möglich, den Vertrauensverlust in wichtige Bezugspersonen aus der Kindheit aufzufangen. Aber ich kann lernen, mein Selbstvertrauen zu stabilisieren und gute Beziehungen in der Gegenwart aufzubauen. Diese können dazu beitragen, dass Vertrauen in andere Menschen neu wachsen kann.

4. Schwierigkeiten mit Intimität

Bei dieser Überschrift werden die meisten zuerst an Sex und Intimität in partnerschaftlichen Beziehungen denken. Tatsächlich ist dies auch ein Bereich, mit dem Menschen, deren inneres Kind verletzt wurde, Schwierigkeiten haben können.

Aber dieser Punkt geht weit über körperliche Intimität hinaus und kann mich auch dann betreffen, wenn ich in einer langjährigen Partnerschaft lebe. Denn es geht hierbei generell darum, wie nah ich andere an mich heranlasse.

Wenn ich als Kind erlebt habe, dass ich für meine wahre Persönlichkeit und mein eigentliches Ich nicht wertgeschätzt wurde, baue ich um mich herum Mauern auf.

Das kann sich daran zeigen, dass ich anderen nur zu den schönen Seiten meines Lebens Einlass gewähre, die Schattenseiten und wunden Punkte verbarrikadiere ich hinter dicken Mauern. Ich lasse andere dann nur bis zu einem bestimmten Punkt an mich ran, auch in einer Partnerschaft oder engen Freundschaft.

Je nach Schwere der inneren Verletzung in der Kindheit kann es sogar so weit gehen, dass ich überhaupt nicht fähig zu intimen Beziehungen bin, ganz gleich ob körperlicher oder seelischer Natur. Auch sexuelle Dysfunktionen in ansonsten harmonischen Beziehungen können ein Anzeichen sein, dass hier eine Verletzung vorliegt.

5. Traurigkeit

Auch Gefühle von Traurigkeit, innerer Leere oder sogar Depressionen können ein Anzeichen für ein verletztes inneres Kind sein. Zum Thema Depressionen empfehle ich an dieser Stelle andere Artikel, die wir in einer Infobox gesammelt haben.

Wenn ich in meinem Leben immer wieder eine tiefe und mit äußeren Umständen nicht erklärbare Traurigkeit feststelle, die nicht bereits in den Bereich einer Depression fällt und mit einer solchen Erkrankung erklärbar ist, kann dies ein Anzeichen sein, dass mein inneres Kind verletzt wurde und sein Schmerz von mir wahrgenommen werden möchte.

Auch große Erschöpfung oder Müdigkeit kann auf einen nicht verarbeiteten Schmerz hindeuten. Allerdings ist es sehr wichtig, solche Zustände in puncto körperlicher oder psychischer Erkrankungen immer von einem Arzt abklären zu lassen, wenn sie über einen längeren Zeitraum bestehen.

6. Magisches Denken und Gedankenverzerrung

Menschen, die sich von ihrem verletzten inneren Kind leiten lassen, neigen oft auch zu kindlichem Denken. Damit sind keine intellektuellen Fähigkeiten gemeint. Vielmehr zeigt sich kindliches Denken in Formen magischen Denkens oder Gedankenverzerrung.

Es kann ein Fall von Gedankenverzerrung sein, wenn ich als Erwachsene die Worte und das Verhalten anderer immer zunächst auf mich beziehe. Wenn mich eine Kollegin nicht anlächelt, wie sie es sonst morgens tut, gehe ich nicht davon aus, dass sie vielleicht private Probleme hat oder einfach beschäftigt ist, sondern glaube direkt, dass ich etwas falsch gemacht habe oder sie mich nicht mehr mag.

Manchmal mag dies natürlich der Fall sein und es gibt Menschen, die per se sensibler für die Stimmungen anderer sind. Aber darum geht es hier nicht. Gemeint ist der automatische Schluss, dass sich ein Verhalten oder die Stimmung eines anderen Menschen auf mich bezieht.

Selbst ungerechtfertigte Kritik gleiche ich dann nicht mehr mit meiner Eigenwahrnehmung ab, sondern beziehe sie ungefiltert auf mich, was ein geringes Selbstwertgefühl nach sich zieht.

Eine weitere Form des kindlichen Denkens ist magisches Denken. Damit ist nicht Magie im eigentlichen Sinne gemeint, sondern ein Denken, das an eine sehr direkte Auswirkung von Worten und Handlungen auf die Realität glaubt. Dies ist der Fall, wenn ich mir falsche Glaubenssätze wie „Wenn ich nett bin, sind auch andere nett zu mir“ oder „Wenn ich hart arbeite, habe ich Erfolg“ geradezu mantraartig vorbete und uneingeschränkten Glauben schenke.

Ein weiterer Punkt ist zwanghaftes Verhalten. Hierzu zählt, wenn ich glaube, dass etwas nur dann gut laufen kann, wenn ich es nach einem gewissen Muster oder Ritual tue oder dass ich bestimmte Dinge unbedingt vermeiden muss. Wenn ich oft Sätze wie „Immer wenn …“ sage oder denke, sollte mich das stutzig machen.

7. Suchtverhalten

Dass Suchtverhalten mit einer Verletzung in der Kindheit zusammenhängt, ist keine neue Erkenntnis. Gerade wenn ich tiefe Verletzungen in der Kindheit durchlebt habe, kann dies bewirken, dass ich die Erinnerungen an dieses Erlebnis oder das Durchleben ähnlicher Gefühle in der Gegenwart durch Suchtmittel zu betäuben versuche.

Wichtig ist bei diesem Punkt eher, Suchtverhalten auch wirklich als solches zu erkennen. Denn noch immer denkt man hier zuerst an Drogen, Alkohol oder Rauchen. Aber nicht nur übermäßiger Substanzgenuss kann eine Sucht sein.

Auch Verhaltensweisen können Suchtcharakter aufweisen, sogar positive. Dass Spielwetten, Sex und Essen zu Suchtverhalten führen können, mag man vermuten. Aber auch übermäßiger Sport sowie starkes berufliches oder ehrenamtliches Engagement können zu einer Sucht werden.

Wichtig ist hier zu wissen, dass alles zur Sucht werden kann, was ich regelmäßig tue und bewirkt, dass ich andere Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen kann.

Ein weiteres Anzeichen sind eine ständige Dosissteigerung und Entzugssymptome, wenn ich die Substanz nicht einnehme oder die Tätigkeit nicht ausübe.

8. Selbstbestrafung

Ein Anzeichen dafür, dass das innere Kind verletzt ist und Zuwendung braucht, sind Selbstverletzung und Selbstbestrafung. Gerade bei Jugendlichen kommt ersteres häufig vor. Laut Statistiken hat sich jeder dritte Jugendliche schon mal selbst verletzt.

Diese Selbstverletzungen geschehen meist ohne Selbstmordabsicht und reichen von Ritzen, Schlagen oder Beißen bis hin zu weniger offensichtlichen Verhaltensmusstern wie Kratzen, Haare ausreißen oder starkem Fingernägelkauen.

Bei Erwachsenen überwiegt die Selbstbestrafung im Gegensatz zur Selbstverletzung. Dies äußert sich zum Beispiel dadurch, dass ich mir bei Fehlverhalten bestimmte Dinge verwehre und mich somit quasi selbst auf eine Weise maßregele, wie dies früher meine Eltern gemacht haben.

Selbstverletzung und Selbstbestrafung gehen mit einer gewissen Erleichterung einher: Durch das Verletzen konnte ich einem inneren Schmerz endlich Ausdruck verleihen und durch die Bestrafung habe ich etwas Schlechtes sozusagen wiedergutgemacht.

Deswegen ist es sehr schwer, aus solchen Verhaltensmustern herauszufinden, wenn sie sich einmal etabliert haben. In den meisten Fällen ist hier eine psychologische Betreuung oder Therapie dringend angeraten.

9. Gewalt

Neben Gewalt gegen sich selbst ist auch Gewalt gegen andere ein Anzeichen dafür, dass mein inneres Kind verletzt wurde. Belastende Situationen können Ohnmachtsgefühle, die ich als Kind erlebt habe, erneut triggern und zu heftigen Wutausbrüchen führen. Erst recht, wenn ich als Kind tatsächlich physischer oder emotionaler Gewalt ausgeliefert war.

Das Kind aus der Vergangenheit hat sich aus Angst in die Wut geflüchtet. Diese Wut bricht sich im Erwachsenenalter wieder Bahn, wenn ich Stress oder Belastungssituationen ausgesetzt bin.

Hierbei kann es zu körperlicher Gewalt gegen andere kommen, muss es aber nicht. Auch cholerisches Verhalten wie lautes Schreien oder das Zerstören von Gegenständen sind Anzeichen dafür, dass ich in schwierigeren Situationen als Kind gelernt habe, Ohnmacht in Wut umzuwandeln. Selbst als Erwachsene reagiere ich dann auf Situationen, in denen ich Ohnmacht, Angst oder Wut fühle, mit Zornesausbrüchen.

Wenn ich dieses Verhalten bei mir bemerke, lohnt es sich, darüber nachzudenken, woher diese unterschwellige Wut kommt und wann sie zum ersten Mal auftrat. Dann kann ich diese Erfahrung zusammen mit einem Seelsorger oder einer Psychologin anschauen und aufarbeiten. Das kann helfen, in der Gegenwart gelassener mit Belastungssituationen umzugehen.

Auch wenn ich mich immer wieder in Beziehungen begebe, in denen ich körperliche oder seelische Gewalt erlebe, ist dies ein Anzeichen dafür, dass ich in der Vergangenheit Gewalterfahrungen gemacht habe, die ich nie verarbeitet habe, und versuche dieses Trauma durch Wiederholung aufzulösen. Auch hier lohnt eine Therapie.

Wie geht es weiter?

Vielleicht hast du an einigen Stellen geschluckt, weil du gemerkt hast: Das betrifft ja auch mich. Dann fragst du dich jetzt eventuell, wie du mit dieser Erkenntnis umgehen kannst. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Du kannst dich an einen Seelsorger oder Psychologen wenden oder dich selbst tiefer mit der Thematik beschäftigen. Einen Lesetipp findest du weiter unten in den Produktempfehlungen.

Auch auf unserer Webseite findest du in den nächsten Wochen weitere Artikel zu den Themen „inneres Kind“ und „Umgang mit Traumata“. Bleib also mit uns verbunden und lies bald noch mehr zu dieser wichtigen Thematik.

 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Rebecca Schneebeli ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet nebenberuflich als freie Lektorin und Autorin. Die Arbeit mit Büchern ist auch im ERF ihr Steckenpferd. Ihr Interesse gilt hier vor allem dem Bereich Lebenshilfe, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungspflege. Mit Artikeln zu relevanten Lebensthemen möchte sie Menschen ermutigen.

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Kommentare (1)

Maria /

Dies alles kann nur der Herr Jesus Christus heilen.

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