Navigation überspringen
© Andrea Tummons / unsplash.com

12.05.2022 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Micaela Kassen

Umgang mit Kritik

Wie ich Kritik aufnehmen und äußern kann, ohne zu verletzen.

„Der Weg des Narren erscheint in seinen eigenen Augen recht, der Weise aber hört auf Rat“ (Sprüche 12,15) – In der Bibel wird die Person als weise bezeichnet, die sich gerne Ratschläge und Kritik anhört. Konstruktive Kritik ist positiv, weil sie die Möglichkeit bietet, sich weiterzuentwickeln. Wer immer nur Lob bekommt, verpasst die Chance, eigene Fehler zu reflektieren und sich neue, gesündere Verhaltensweisen anzueignen. Dies wird in einer US-amerikanischen Redewendung zum Ausdruck gebracht: „Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert, als durch Kritik gerettet werden“ (US-amerikanische Redewendung).

1. Was ist Kritik?

Die Geisteswissenschaftler Rahel Jaeggi und Tilo Wesche erklären, dass Kritik immer dort stattfindet, „wo Gegebenheiten analysiert, beurteilt oder als falsch abgelehnt werden […] Immer dann, wenn es Spielräume, Deutungs- und Entscheidungsmöglichkeiten gibt, setzt sich menschliches Handeln der Kritik aus. Wo so oder anders gehandelt werden kann, kann man auch falsch oder unangemessen handeln – und entsprechend dafür kritisiert werden“.

Menschen nehmen Kritik unterschiedlich auf: Ich kann mich herausgefordert fühlen, Angst um die Beziehung bekommen, mich als Person abgewertet fühlen oder von der Kritik überhaupt nicht berührt sein und gar nicht daran denken, etwas an meinem Verhalten zu ändern.

Hier kommen ein paar Tipps zum Umgang mit Kritik:

2. Wie ich Kritik aufnehmen und darauf reagieren kann…

Es gibt eine Reihe von Reaktionen, die nicht hilfreich sind, wenn ich kritisiert werde. Dazu gehört zum Beispiel:

  • Ich rechtfertige mich, ohne zu reflektieren
  • Ich kritisiere mein Gegenüber zurück und lenke damit von meinen eigenen Fehlern ab
  • Ich bin wie gelähmt
  • Ich lehne die berechtigte Kritik ab, obwohl ich ihr innerlich zustimmen muss
  • Ich beschäftige mich nicht mit der Kritik
  • Ich fühle mich abgelehnt
  • Ich fühle mich gekränkt
     

Um mir über Kritik eine Meinung bilden zu können, muss ich erst einmal offen dafür sein, kritisches Feedback an mich heranzulassen.

Jede dieser Reaktionen ist verständlich. Entspannt und offen mit Kritik umzugehen, fällt nie leicht, denn über eigene Fehler, Versagen oder Missverständnisse zu sprechen heißt auch, diese erst einmal anzuerkennen. Natürlich ist nicht jede Kritik berechtigt, doch um mir darüber eine Meinung bilden zu können, muss ich erst einmal offen dafür sein, kritisches Feedback an mich heranzulassen.

Um das zu fördern, kann ich folgende Verhaltensweisen üben:

  • Ich höre aktiv zu
  • Ich unterbreche mein Gegenüber nicht, außer er oder sie überschreitet eine Grenze (Schimpfwörter, persönliche Angriffe, Sarkasmus)
  • Ich gleiche meine Selbst- und Fremdwahrnehmung innerlich ab und reflektiere, ob ich die Situation ähnlich erlebt habe
  • Ich lasse mich nicht von den Emotionen meines Gegenübers ablenken und versuche zu erkennen, was der Ursprung seiner oder ihrer Emotionen ist
  • Ich versuche sachlich und pragmatisch zu bleiben
  • Wenn ich die Kritik nicht verstehe, bitte ich, ausführlicher zu erklären
  • Ich stimme den Kritisierenden dort zu, wo sie recht haben
  • In den Punkten, in denen die Kritik unangebracht ist, sage ich, dass ich anderer Meinung bin
     

Auch wenn Kritik wehtun kann, ist es wichtig, dass ich Kritik positiv sehe: als Chance oder Verbesserungsvorschlag. Das Buch der Sprüche lehrt mich, auf guten Rat zu hören und Korrektur anzunehmen, damit ich für die Zukunft weise werde (Sprüche 3,23f).

Kritik ist wichtig und kann sich positiv auswirken, weil ich aus ihr lernen kann. Um mit Kritik gut umzugehen, hilft es, wenn ich mir bewusst mache, dass es Ziel der Kritik ist, ein besseres Miteinander herbeizuführen.

3. Wie ich kritisieren kann, ohne zu verletzen

Doch was tue ich, wenn ich von jemanden verletzt wurde oder auf einen problematischen Umstand hinweisen möchte? Wenn ich Kritik äußern will, möchte ich schließlich zur Verbesserung beitragen. Wenn ich kritisiere und die Person später nur verletzt ist, habe ich nichts gewonnen. Ziel ist konstruktive Kritik für die Person, die sie annehmen kann. Dabei kann ich ein paar Dinge beachten:
 

3.1 Ich kritisiere bewusst

Wenn ich etwas zu bemängeln habe und einen Verbesserungsvorschlag habe, erhöhe ich meine Chancen, dass meine Kritik auf „hörende Ohren“ stößt dadurch, wenn ich nicht emotional explodiere. Das heißt: Ich achte auf meinen Ton und auf meine Wortwahl. Ich beschimpfe die Person nicht oder bezeichne sie auch nicht als dumm. Wichtig ist, dass ich meine Kritik möglichst zeitnah an ein Ereignis äußere. Wenn ich Zeit verstreichen lasse, sich Wut anstaut und die Person sich bis dahin nicht mehr an ihren Fehler erinnern kann, kann dies bei der Person zu Unsicherheit führen.

Bewusst kritisieren meint auch, dass ich nicht unbedingt alles auf einmal loswerde und einer Person 20 Dinge aufzähle, die aus meiner Sicht verbesserungsbedürftig sind. Wenn die Person durch meine Kritik bereits verletzt ist und ich merke, dass es sie besonders hart getroffen hat, sollte ich überlegen, ob ich unbedingt noch Sätze raushauen muss, die verletzend wirken oder keine Empathie vermitteln, wie z.B. „Stell dich nicht so an!“ oder „Nie machst du das richtig!“.

Sätze, die verallgemeinern, haben keinen positiven Effekt. In der Regel führen diese nur dazu, dass sich jemand nur abgelehnt und verletzt fühlt.

3.2 Ich lasse mein Gegenüber zu Wort kommen

Damit sich mein Gegenüber wertgeschätzt fühlt, lasse ich ihm die Möglichkeit, etwas zur Kritik zu sagen. Schlecht wäre es, wenn ich mich selbst als Maßstab sehe und nicht erkläre, was aus meiner Sicht gut oder schlecht war. Wenn ich der Person einfach mitteile, dass z.B. ein schlechtes Verhalten Anderen ebenso aufgefallen ist, beschäme ich meinen Gegenüber nur.

Wenn ich jemanden kritisiere, ist es auch wichtig, dass ich meine Beobachtung und meine Bewertung des Verhaltens nicht vermische. Ich muss es auseinanderhalten. Im Gespräch sollte ich der Person nicht das Gefühl vermitteln, dass ich über ihr stehe.
 

3.3 Ich gebe meinem Gegenüber Tipps, was er anders machen könnte

Verbesserungsvorschläge bringen ist wichtig. Wenn ich eine Person kritisiere, sollte ich nicht nur sagen, was aus meiner Sicht nicht in Ordnung ist, sondern ihr auch sagen, wie sie etwas anders machen kann. Wenn die Person keine konkreten Handlungsanweisungen bekommt, bringt die Kritik natürlich nicht viel.
 

Im Beruf oder privat: Auf Kritik kann ich immer stoßen. Wenn ich Kritik als Wertschätzung und Verbesserungsvorschlag verstehen kann, gelingt es mir am ehesten gut mit Kritik umzugehen. Wenn es mir schwerfällt Kritik zu äußern, kann ich mir bewusst machen, dass Kritik etwas Positives ist. Ich biete Menschen die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, sich zu verbessern oder ein bestimmtes Ziel eher zu erreichen. Manchmal braucht es etwas Mut, etwas zu sagen. Menschen, die gerne Kritik äußern, können an ihrer Art arbeiten, wie sie ihre Kritik anbringen.
 

Literatur

Kessler, V. (2020). Kritisieren ohne zu verletzen: Lernen von den Sprüchen Salomos (2. Auflage). Brunnen.
Eckert, T. (2017, 18. März). Wie wir kritisieren, ohne zu verletzen. Zeit Online. Abgerufen am 1. Mai 2022, von https://www.zeit.de/zett/2017-03/wie-wir-kritisieren-ohne-zu-verletzen
Jaeggi, R. & Wesche, T. (2009). Was ist Kritik?: Philosophische Positionen (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (Originalausgabe Aufl.). Suhrkamp Verlag.

 Micaela Kassen

Micaela Kassen

  |  Freie Mitarbeiterin

Die gelernte Theologin studiert derzeit Psychologie und ist auf Kinder- und Jugendpsychologie spezialisiert. Sie hat als Lerntherapeutin gearbeitet und ist aktuell als Sozialarbeiterin in einer intensiv-pädagogischen Einrichtung tätig. Redaktionell setzt sie ihre Schwerpunkte auf die psychische Gesundheit und Kindererziehung. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren