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© Artem Bali / unsplash.com

11.06.2013 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Jan D.

Scheidung überwinden

Wie eine Initiative Geschiedenen neuen Mut macht. Ein Interview.

 

Rona Gitt (Foto: Birgit Sass / Christof Klenk)
Rona Gitt (Foto: Birgit Sass / Christof Klenk)

„Scheidung überwinden“ heißt der Verein, den Rona Gitt zusammen mit vielen Helfern und Unterstützern aus christlichen Kreisen gegründet hat. In diesem Rahmen setzt sie sich dafür ein, dass Arbeitsmaterialien von DivorceCare ins Deutsche übersetzt werden. Damit will die Initiative ein Angebot für Geschiedene im deutschsprachigen Raum schaffen. Seminare und Kurse sollen Betroffenen helfen, ihre Erlebnisse zu überwinden und wieder heil zu werden. ERF Medien hat mit Rona Gitt über Ihr Engagement für die junge Initiative gesprochen und nachgefragt, welche Rolle die Gemeinde dabei spielen kann.
 

ERF: Frau Gitt, wie würden Sie das Verhältnis zwischen Gemeinden und Geschiedenen grundsätzlich beschreiben?

Rona Gitt: In den letzten Jahren hat bei diesem Verhältnis ein Wandel stattgefunden. Vor 20 Jahren war es noch ein echtes Tabu in der Gemeinde, geschieden zu sein. Und es kam auch nur vereinzelt vor. Heute sieht es anders aus: Es ist richtig tragisch, wie weit Scheidung um sich greift. Scheidung ist kein Einzelfall mehr und macht auch vor Gemeinden nicht halt. Ein Tabuthema ist Scheidung aber letztlich nicht mehr. Jeder von uns kennt mittlerweile Geschiedene. Entweder aus der eigenen Familie, der Nachbarschaft, dem Kollegenkreis oder eben der Gemeinde.
 

ERF: Sie erleben hautnah mit, was für schreckliche Szenen sich vor, während und nach einer Scheidung in den Familien abspielen. Welche Rolle spielt Gemeinde dabei – ist sie eher eine Hilfe oder eine zusätzliche Last?

Rona Gitt: Das kann sehr unterschiedlich sein. So erlebe ich es zumindest durch meinen Kontakt mit Geschiedenen. In vielen Fällen erleben sie Gemeinde als sehr positiven Raum, wo sie Hilfe bekommen und wieder zurück ins Leben finden. Aber es gibt eben auch Gemeinden, die sich mit der Situation überfordert fühlen. Das kann zur Folge haben, dass man als Geschiedener isoliert wird oder mit seiner Not alleine bleibt. Die Gemeinden sind da noch recht unterschiedlich aufgestellt.

Geschiedene auf Hilfe der Gemeinden angewiesen

ERF: Ihre Initiative nennt sich „Scheidung überwinden“. Beim Thema Scheidung interessiert verheiratete Menschen wohl in erster Linie, wie man sie vermeidet oder wie man eine brüchige Ehe davor bewahren kann. Sie haben einen anderen Fokus. An wen richtet sich Ihre Initiative?

Rona Gitt: Unsere Initiative richtet sich an Menschen, die bereits in Scheidung leben oder bei denen klar ist, dass es darauf hinaus läuft. Wir trennen da auch ganz klar in Geschiedene und Nicht-Geschiedene, um deutlich zu machen, dass man die Ehen natürlich in erster Linie stärken und nicht trennen sollte. Gerade wenn Ehen ins Trudeln geraten, muss man Hilfestellung leisten und alles daran setzen, sie zu retten. Das ist immer das höchste Ziel.

Der Vorstand von "Scheidung überwinden" (v.l.n.r.): Dorothea Farmer (Schatzmeisterin), Rona Gitt (1. Vorsitzende), Anke Odau (Beisitzer), Astrid Eichler (2. Vorsitzende), Dr. Heinrich Christian Rust (Beisitzer) (Bild: Birgit Sass / Christof Klenk)

Wenn dieser Weg aber nicht gelingt, bricht über Betroffene eine große Not herein. Genau da setzt „Scheidung überwinden“ an. Wir können nämlich nicht die Augen davor verschließen, dass es Scheidung gibt – auch wenn sich niemand wünscht, dass es so kommt. Aber auch diesen Leuten muss geholfen werden!

Unsere Initiative ist also keine Legitimation für Scheidung. Absolutes Ziel der Ehen und Eheberater muss sein, nach dem göttlichen Plan für die Ehe zu handeln. Ehen sollen heil und gesund werden! Die Absicht von Gott ist ja, dass Ehen ein Leben lang halten. Trotzdem nennt auch die Bibel verschiedene Gründe, warum es manchmal doch zur Scheidung kommen kann. Und die davon Betroffenen wollen wir eben nicht allein lassen.
 

ERF: Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, „Scheidung überwinden“ ins Leben zu rufen – gab es dafür einen bestimmten Auslöser?

Rona Gitt: Ich war im Urlaub in den USA und hatte mich dort in einer Gemeinde schlau gemacht, was es zum Thema Scheidung an Angeboten gibt.  Ich bin in meiner Gemeinde, der Friedenskirche Braunschweig, nämlich als Diakonin für die Erwachsenenarbeit zuständig. Das beinhaltet halt auch Kurse und Seminare. Zu diesem Thema hatten wir aber nichts im Programm, obwohl ich immer einen hohen Bedarf gespürt habe. Als Lehrerin im Berufsleben begegne ich im Alltag vielen Kindern aus Scheidungsfamilien. Scheidung hat wirklich verheerende Folgen für Betroffene und deren Kinder. Um wirklich gesund weiterleben zu können, kommt man nicht drum herum, Scheidung richtig zu verarbeiten. Daher rührt mein großes Interesse an diesem Thema.

Ich habe dann in Fort Lauderdale an einer Schulung für Kursleiter von DivorceCare teilgenommen und das Programm sehr schätzen gelernt. Seitdem habe ich ein Herz dafür, dieses Programm nach Deutschland zu bringen. Ich habe gemerkt: So etwas gibt es in unserem Land noch nicht, aber wir brauchen so was auch!

Was sagt die Bibel zu Scheidung?

ERF: Bei einem Tabuthema mit so hoher emotionaler Anspannung lassen sich wohl nur schwerlich statistische Daten erheben. Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach der Anteil von Geschiedenen in einer deutschen Durchschnittsgemeinde?

Rona Gitt: Eine genaue Zahl liegt mir nicht vor. In Deutschland werden rund ein Drittel der Ehen geschieden. Und von dieser Entwicklung bleiben auch Gemeinden und Kirchen nicht verschont. Vor circa 15 Jahren kam Scheidung in Gemeinden vielleicht vereinzelt vor, aber inzwischen ist sie wirklich verhältnismäßig häufig.
 

ERF: Die Bibel spricht klar davon, dass Scheidung, vorsichtig ausgedrückt, keine erstrebenswerte Alternative bei Eheproblemen darstellt. Was ist die biblische Grundlage für Ihren Ansatz?

Rona Gitt: Im Neuen Testament begegnet uns diese Thematik in Matthäus 5 und in 1. Korinther 7. Dort werden speziell zwei Fälle genannt, in denen Scheidung und auch Wiederheirat sozusagen erlaubt wird. Erstens, wenn der Ehepartner untreu geworden ist und in einer anderen Beziehung lebt. Der zweite Fall ist, dass ein Ehepartner ungläubig ist und sich die Beendigung der Eheverbindung wünscht.

Einiges bleibt dabei aber auch Auslegungssache. Deshalb muss das Thema meiner Meinung nach auch seelsorgerlich gut betreut werden. Und sicherlich gibt es noch andere Fälle, in denen es insgesamt nicht im Sinne von Jesus ist, einfach nur die Ehe aufrechtzuerhalten, egal was kommt. Da sind vor allem Seelsorger und Pastoren gefragt, zu helfen und zur Klärung beizutragen, bevor Betroffene eine Entscheidung treffen sollten.

Geschiedene mit Gottes Augen sehen

ERF: Fragen auch „Scheidungsinteressierte“ bei Ihnen um Rat und raten Sie in manchen Fällen vielleicht sogar zur Scheidung, wenn Sie die scheinbar beste Alternative darstellt?

Rona Gitt: Wenn jemand verheiratet ist, würde ich immer dazu raten, zuerst einen Seelsorger aufzusuchen und die Probleme zu besprechen, damit die Ehe noch gerettet werden kann. Man sollte nicht zu schnell aufgeben! Scheidung ist keine schnelle Lösung. Auf eine Scheidung folgt immer ein jahrelanger Prozess, sie zu überwinden.

Ich würde sogar jedem dringend davon abraten, unseren Kurs zu besuchen, wenn er noch nicht alles Erdenkliche versucht hat, um seine Ehe zu retten. „Scheidung überwinden“ ist keine Option, die man sich mal eben anhört und dann überlegt, ob man den Schritt der Scheidung geht. Das durch eine Scheidung verursachte Leid ist wirklich so groß, dass man es im Vorfeld nicht absehen kann. Die Folgen sind oft im negativsten Sinne eine echte Überraschung.
 

ERF: Was können Gemeinden Ihrer Meinung nach tun, um Geschiedenen und ihren Nöten angemessener zu begegnen?

Rona Gitt: Viele Gemeinden begegnen Geschiedenen wirklich gut, einfühlsam und hilfreich. Da kann man nicht pauschal sagen: Das müsst ihr besser machen. Von Scheidung Betroffene quälen sich meist selbst. Immer sind da diese Gedanken: „Wie stehe ich jetzt vor Gott und vor anderen da? Ich habe versagt, obwohl ich es vor dem Altar versprochen habe.“ Geschiedene leben mit vielen Selbstzweifeln: „Warum wurde ich verlassen? Warum hat es mit unserer Ehe nicht geklappt?“

Deshalb brauchen sie viel Annahme, positiven Zuspruch und Anteilnahme an ihrem Unglück. Und auch konkrete Hilfe im Alltag. Ich denke da zum Beispiel an Alleinerziehende mit kleinen Kindern. Für viele wird es mit der Scheidung auch finanziell plötzlich schwierig. Die Frage muss also immer sein: Wie kann ich Geschiedenen ganz praktisch Unterstützung anbieten, anstatt sie zu verurteilen?
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!

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