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06.03.2024 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Franziska Decker

Mut zur Ehrlichkeit!

Ehrlichkeit lohnt sich – ist aber nicht immer einfach.

Ich kaue leicht angewidert auf meiner Vorspeise herum. Gänseleberpastete! Eine Delikatesse. Zumindest für meine Gastgeber. Auf ihre Frage, wie es mir schmeckt, antworte ich deshalb höflich: „Danke, gut.“

Das veranlasst meine französischen Freunde zu einem Nachschlag für mich. Ich atme tief durch und konzentriere mich darauf, auch diese Portion im Magen zu behalten – mit der Frage im Hinterkopf, welche „Köstlichkeiten“ der Hauptgang wohl noch für mich bereithält.

Dieser Besuch in Paris liegt über 30 Jahre zurück. Die Vorspeise habe ich inzwischen längst verdaut. Geblieben ist die Spannung, die ich immer wieder empfinde, wenn es darum geht, ehrlich zu sein.

Unehrlich = leichter?

Ich frage mich: Warum fällt es vielen Menschen so schwer, ehrlich zu sagen, was sie denken?

Häufig spielt Höflichkeit eine Rolle. Vor allem dann, wenn wir spüren, dass der andere es wirklich gut mit uns meint. Hat eine Bekannte mit viel Liebe ein Geschenk für mich ausgesucht, fällt es mir schwer zu sagen, dass es leider meinen Geschmack nicht trifft.

Verlustängste und die Angst vor negativen Auswirkungen auf unsere Beziehungen können auch eine Rolle spielen. Vielleicht haben wir schon früh die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Rückzug oder Ablehnung reagieren, wenn wir ehrlich sagen, was ist.

Wie Evelyne (Name geändert), die über viele Jahre jeden Sommer kiloweise Erdbeeren aß, obwohl sie keine mochte. Sie wollte die Gefühle ihres Mannes nicht verletzen, der ihr häufig Erdbeeren mitbrachte, um ihr eine Freude zu machen. Irgendwann rückte sie dann mit der Wahrheit heraus – was ihren Mann nach all den Jahren völlig irritierte.

Manche Menschen passen sich auch bewusst oder unbewusst an ihr Gegenüber an und sagen nicht ehrlich, was sie denken. Sie haben gelernt, dass sie einer Strafe entgehen können oder Vorteile haben, wenn sie das sagen, was der andere von ihnen hören will.

Nicht anerkennen, was ist

Noch tiefer geht es, wenn sich Menschen dafür schämen, wie sie sind. Mein Aussehen, meine charakterlichen Schwächen, meine Bedürfnisse: Meine Scham kann mich dazu verleiten, anders zu sein und mehr sein wollen, als ich wirklich bin. Im Kern will ich dann nicht annehmen, wie es wirklich um mich steht.

Meine Scham kann mich dazu verleiten, anders zu sein und mehr sein wollen, als ich wirklich bin. Im Kern will ich dann nicht annehmen, wie es wirklich um mich steht.

Wie der Kaiser im Märchen von Hans Christian Andersen „Des Kaisers neue Kleider“. Er wird getäuscht von zwei Webern, die behaupten, besondere Stoffe zu weben. Wer sie nicht sehen könne, sei dumm.

Als sie dem Kaiser die vermeintlich neuen Kleider präsentieren, kann er sie nicht sehen. Um nicht dumm dazustehen, schweigt er und zeigt sich nackt der Öffentlichkeit. Bis ein Kind ehrlich sagt, was ist: „Aber er hat ja nichts an.“

Auch in der Bibel entdecke ich diese Mechanismen. Adam zum Beispiel, der erste Mensch, wollte nicht anerkennen, was ist. Er hatte gegen den Willen Gottes gehandelt, war schuldig geworden und erkannte sogar, dass er nackt war. Er wählte aber den Rückzug und versteckte sich, statt der Realität und seinem Gegenüber, Gott, ehrlich ins Auge zu sehen.

Seitdem gehören Täuschung und Manipulation zu unserem Leben und haben Auswirkungen auf unser Miteinander. Und bis heute versuchen wir selbst, uns in die eigene Tasche zu lügen und die Realität unseres Lebens so zu machen, wie es uns gefällt – und wollen durch Ausreden und Schuldzuweisungen das verstecken, was wir anderen nicht gerne zeigen. Auch eine Form der Unehrlichkeit.

Mehr davon, bitte!

Dabei wollen viele Menschen eigentlich mehr Authentizität und Ehrlichkeit! Trotzdem nehme ich unsere Gesellschaft als ambivalent wahr. Allein ein Blick auf die politische Bühne bestätigt dieses widersprüchliche Verhalten: Koalition und Opposition fordern mehr Ehrlichkeit voneinander. Politische Skandale machen indes immer wieder deutlich, dass bei allen Parteien in puncto Ehrlichkeit noch jede Menge Luft nach oben ist.

Diese Diskrepanz nehme ich auch im persönlichen, zwischenmenschlichen Bereich wahr. Einerseits fordern wir von anderen, authentisch zu sein. Andererseits fällt es uns selbst oft so schwer, ehrlich zu sein oder ehrliche Kritik an unserer Person auszuhalten und im besten Fall auch anzunehmen, wenn sie berechtigt ist.

Konfliktfähigkeit braucht Ehrlichkeit

Politik, Soziale Medien, Bekanntschaften: Hat es die Ehrlichkeit schwerer in losen Kontakten? Nicht unbedingt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es unter Umständen sogar schwerer fällt, in einer engen Beziehung einander mit unangenehmen Wahrheiten und Gefühlen zu konfrontieren.

Ein ehrliches Bekenntnis, was mich unter Druck setzt oder Angst macht, kommt auch in Partnerschaften und langjährigen Freundschaften nur schwer über die Lippen. Es kann auch schwerfallen, im Alter bei zunehmender Hilfsbedürftigkeit des Partners ehrlich einzugestehen: „Ich bin überfordert mit deiner Pflege.“ Die Ehrlichkeit hat ihren Preis.

Ich gewinne aber auch viel. Wenn ich ehrlich sage, was ist, ist das zum Beispiel ein Signal, dass diese Beziehung eine Veränderung braucht. Das ist oft der erste Schritt hin zu einer Lösung.

Wenn ich ehrlich sage, was ist, ist das zum Beispiel ein Signal, dass diese Beziehung eine Veränderung braucht. Das ist oft der erste Schritt hin zu einer Lösung.

Die Ehrlichkeit sensibilisiert uns für unsere Gefühle, hilft uns, die dahinterstehenden Bedürfnisse zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Solch ehrliche Dialoge und Konflikte fördern unsere emotionale Reife, unsere Selbsterkenntnis sowie unser Miteinander in Partnerschaft, Freundschaften und Arbeitsteams.

Der Weg zu mehr Ehrlichkeit

Wie schaffen wir es, dieser Offenheit und Ehrlichkeit mehr Raum zu geben? Dazu hilft vor allem ein vertrauensvoller und sicherer Rahmen. Der kann sich in verlässlichen Beziehungen entwickeln. Da, wo ich keine Angst haben muss vor Verachtung oder Ablehnung, vor Beziehungsverlust oder vor Rückzug, sind tiefe Begegnungen möglich.

Ich kann auch beispielsweise einer Freundin von einem Konflikt mit einem Dritten erzählen und sie bitten, mir zu spiegeln, was sie bei mir wahrnimmt. Diese Ehrlichkeit hilft mir, meinen möglichen Anteil am Problem zu erkennen und mich entsprechend anders zu positionieren.

Und das eröffnet einen Raum, in dem sich meine Persönlichkeit, die Beziehung zu mir selbst, zu meinen Mitmenschen und zu Gott entfalten kann.

Spannend ehrlich

Ganz einfach macht es mir die Ehrlichkeit trotzdem nicht. Oft setzt sie mich in ein Spannungsfeld von guten Werten und Motiven. Beispielsweise Ehrlichkeit und Liebe. Ich merke, dass ich nicht immer zu 100 Prozent ehrlich sein kann.

Es gibt eine Schmerzgrenze an Ehrlichkeit, die ein gutes und auch entspanntes Miteinander aushält. Dennoch werde ich in der Bibel an vielen Stellen aufgefordert, die Wahrheit zu reden und wahrhaftig zu leben (z.B. Epheser 4,15.25). Wie kann ich mich innerhalb dieses Spannungsfeldes gut bewegen?

Es gibt eine Schmerzgrenze an Ehrlichkeit, die ein gutes und auch entspanntes Miteinander aushält.

Mir persönlich hilft die Frage nach meiner Motivation. Will ich mein Gegenüber mit der Wahrheit bewusst verletzen, weil er oder sie vielleicht eine Begabung hat, die ich auch gerne hätte? Kritisiere ich als Vorgesetzter meinen Mitarbeiter, weil ich ihn als Blitzableiter nutze - oder will ich seine fachliche Entwicklung fördern? Und mache ich einer Freundin ein Kompliment um ihrer selbst willen, oder um sie zu manipulieren?

Mich entspannt auch die Aussage, dass ich nicht alles aussprechen muss, was wahr ist. Selbst wenn ich etwas wahrnehme, das gesagt werden sollte und es mir auf der Zunge liegt – vielleicht gibt es auch einen besseren Zeitpunkt als jetzt, das Thema zu benennen. Außerdem hilft es mir, wenn ich mir meiner Werte bewusst bin und nach ihnen handle. Dann lebe ich authentisch und glaubwürdig, ehrlich zu mir selbst und anderen.

Ehrlichkeit ist möglich

Für mich gehört zu einem gesunden Umgang mit der Ehrlichkeit auch immer Gott dazu. Er hat mich gemacht. Mit der Freiheit, Entscheidungen zu treffen. Für Wahrhaftigkeit oder für die Täuschung.

Ihm kann ich nichts vormachen (Psalm 139,4). Diese Tatsache hat in mir über einige Jahrzehnte Angst ausgelöst. Inzwischen erlebe ich es als befreiend, dass Gott mich besser kennt als ich mich selbst. Er hält aus, was er sieht, und nimmt mich in all dem grundsätzlich an.

Inzwischen erlebe ich es als befreiend, dass Gott mich besser kennt als ich mich selbst. 

Im Schutzraum seiner bedingungslosen Annahme kann ich weiter lernen, mich so zu zeigen, wie ich bin. In der persönlichen Beziehung zu Gott kann ich Blickkontakt mit ihm halten und mich in seinen Augen widerspiegeln. Bei ihm, meinem Schöpfer, der mich genau kennt und ehrlich annimmt.

Das verändert mein Selbstbild. Diese Ehrlichkeit führt mich schrittweise in ein authentisches Leben. Ganz ehrlich!

 Franziska Decker

Franziska Decker

  |  Coach Evangelisation & Follow-Up

Franziska Decker ist Coach „Evangelisation und Follow-Up“ und in Seelsorge und Beratung tätig. Sie fördert Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Sozialkompetenz und in ein Leben hineinzuwachsen, wie Gott es sich vorgestellt hat. Sie ist gastfreundlich, liebt die Nordsee und Wanderungen sowie Stille und aufmerksame Blicke nach innen.

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