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© Zulmaury Saavedra / unsplash.com

06.05.2015 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Angelika Fries

Krank vor Stress

Beraterin und Theologin Beate M. Weingardt zeigt, warum es sich lohnt, auf die Signale des Körpers zu hören.

Ein Streitgespräch verursacht Kopfschmerzen oder eine schwierige Prüfung schlägt auf den Magen? Dass Stress Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden hat, erlebt jeder mal. Die psychologische Beraterin und Theologin Beate M. Weingardt ist diesem Phänomen in ihrem Buch „Was die Seele bewegt, bewegt auch den Körper“ nachgegangen. Im Gespräch erklärt sie, wie es zu psychosomatischen Beschwerden kommt und wie man stressbedingten Krankheiten vorbeugen kann.
 

ERF: In Ihrem Buch geht es um psychosomatische Beschwerden. Spiegeln Krankheiten grundsätzlich seelische Probleme wider? Es gibt ja die Überzeugung: „Wer krank ist, ist selbst schuld“.

Beate M. Weingardt: Das halte ich für eine gefährliche Lehre. Wir alle wissen, dass es auch angeborene Schwachstellen gibt. Ich warne daher entschieden davor, bei jeder Krankheit eine seelische Ursache und womöglich noch eine eigene Schuld zu suchen.


ERF: Man kann also nicht sagen, dass ein gesunder Geist immer in einem gesunden Körper wohnt

Beate M. Weingardt: Das römische Sprichwort hat schon einen Sinn. Denn es macht deutlich: Zwischen Körper und Seele besteht ein Zusammenhang. Aber man darf es auf gar keinen Fall als eine Art Keule benutzen à la „Wer krank ist, ist auch seelisch krank“ oder umgekehrt: „Wer einen gesunden Geist hat, kann nicht krank werden“. Das ist Unfug.

Zwischen Körper und Seele besteht ein Zusammenhang. Aber Aussagen wie „Wer krank ist, ist auch seelisch krank“ oder „Wer einen gesunden Geist hat, kann nicht krank werden“ sind Unfug.

Beate M. Weingardt


ERF: Christen sehen Krankheiten manchmal als gezielte Strafe Gottes. Was würden Sie darauf antworten?

Beate M. Weingardt: Diesen Gedanken „Gesundheit ist eine Form von Belohnung für ein richtiges Leben, Krankheit eine Form von Strafe“ gibt es nicht nur bei Christen, aber bei Christen ist er oft sehr ausgeprägt. Denn sie denken: Gott muss die Krankheit ja irgendwie zulassen haben. Und da liegt der Gedanke nicht weit, dass Gott die Krankheit nicht nur zugelassen, sondern veranlasst hat. Das ist aber ein Denkfehler.

Selbst wenn Gott Dinge zulässt, die schlimm sind, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass er sie veranlasst hat. Jesus selbst teilte die Überzeugung übrigens nicht, dass Krankheit Strafe ist. Er hat die Menschen nie gefragt: „Was hast du verbrochen?“, bevor er sie geheilt hat.

Ganz deutlich wird das an einer Bibelstelle im Johannes-Evangelium. Da wird Jesus gefragt, wer an der Blindheit eines jungen Mannes schuld sei ‒ er selbst oder seine Eltern? Und er geantwortet: „Weder er noch seine Eltern.“ Damit lehnt er klipp und klar einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Krankheit und Schuld ab.

Jesus selbst teilte die Überzeugung nicht, dass Krankheit Strafe ist. Er hat die Menschen nie gefragt: „Was hast du verbrochen?“, bevor er sie geheilt hat.

Beate M. Weingardt

Den Teufelskreis unterbrechen

ERF: Woran merke ich denn, ob meine Krankheit eine psychische Ursache hat?

Beate M. Weingardt: Das ist nicht einfach. Zum einen ist ein körperliches Leiden selten ausschließlich psychisch bedingt, körperliche Faktoren spielen in der Regel ebenfalls eine Rolle. Zum anderen kann man es schwerlich „merken“ im Sinne von „zweifelsfrei feststellen“.

Man kann aber Rückschlüsse ziehen: Wenn sich zum Beispiel nach einer psychischen Veränderung auch eine Krankheit verändert, bestenfalls sogar verschwindet, kann auf einen Zusammenhang geschlossen werden.
 

ERF: Viele Tipps in Ihrem Buch zielen darauf, die seelische Ursachen für ein körperliches Leiden ausfindig zu machen und aufzuarbeiten. Woher weiß ich, an welchen Stellen ich Veränderungen herbeiführen sollte, damit es mir körperlich wieder besser geht?

Beate M. Weingardt: Ich würde pragmatisch an der seelischen Belastung den Hebel ansetzen, die entweder den größten Leidensdruck verursacht, am leichtesten anzugehen ist oder bei der ich am ehesten einen Einfluss auf meine Krankheit vermute. Meist löst die Veränderung an einer Stelle auch Veränderungen an anderer Stelle aus – das gilt sowohl für den Körper als auch für die Seele.
 

ERF: Psychosomatische Beschwerden können zu einer Art Teufelskreis werden. Die Seele leidet und es kommt zu körperlichen Beschwerden. Diese führen zu weiteren seelischen Belastungen. Wie kann dieser Kreislauf unterbrochen werden?

Beate M. Weingardt: Ein Kreislauf kann am besten unterbrochen werden, indem die Ursache behandelt wird, die den Teufelskreis in Gang gesetzt hat. Die zweitbeste Möglichkeit ist, dass man ihn irgendwo in der Mitte durchbricht. Wenn also schon ein körperliches Leiden entstanden ist, muss es nicht zwangsläufig so bewertet werden, dass diese Bewertung zu einer zusätzlichen Belastung führt.

Ein Beispiel: Jemand stellt fest, dass er eine Krankheit möglicherweise deshalb bekam, weil er sich gegenüber einer anderen Person nicht abgrenzen konnte, die ihn verletzt hat oder zu hohe Erwartungen an ihn stellte. Er kann diese Erkenntnis als Basis nehmen, um an der eigenen Abgrenzungsfähigkeit zu arbeiten. Er kann sich aber auch Vorwürfe machen, dass ihm die Abgrenzung nicht gelang. Dann kommt zur ersten eine zweite Belastung dazu. Das muss aber nicht sein.

Die Stressprogramme des Körpers laufen ins Leere

ERF: Manche psychosomatische Beschwerden halten deutlich länger an als die eigentliche Belastungssituation oder setzen erst später ein, zum Beispiel erst nachdem der Streit schon beigelegt ist. Kann man heftige körperliche Reaktionen auf einzelne Belastungssituationen vermeiden?

Beate M. Weingardt: In der Regel kann man sie als Laie nicht vermeiden. Ist die Stressreaktion einmal ausgelöst, kann man sie nicht unterbrechen und muss deshalb ihre Folgen auch noch erdulden, wenn man selbst schon zu einer anderen Bewertung und gelasseneren Einstellung gekommen ist. Ein Beispiel: Ich rege mich am Abend über jemanden auf, beruhige mich dann allerdings wieder. Dennoch schlafe ich schlecht, weil mein Stresshormonspiegel nicht so schnell abgebaut werden kann.

Ich gehe aber davon aus, dass Menschen, die in bestimmten mentalen Techniken ‒ zum Beispiel durch Meditation oder Entspannungsübungen – geübt sind, eventuell schon in einem frühen Stadium einer Belastungssituation eine allzu starke Stressreaktion verhindern können.

Auch kann Erfahrung und Selbstbeobachtung dazu führen, dass man ein Ausufern der Stressreaktion unterbinden und die heftigen psychosomatischen Reaktionen dadurch mildern oder vermeiden kann. Eine Garantie gibt es dafür aber nicht.

Erfahrung und Selbstbeobachtung kann helfen, ein Ausufern der Stressreaktion zu unterbinden und psychosomatische Reaktionen dadurch zu mildern oder zu vermeiden. Eine Garantie gibt es dafür aber nicht.

Beate M. Weingardt

 

ERF: Als Ursache für psychosomatische Beschwerden nennen Sie Stress. Nun gibt es positiven und negativen Stress. Welche Art von Stress ist schädlich für uns?

Beate M. Weingardt: Stress in Maßen ist im Grunde eine moderate Belastung, die die Belastbarkeit steigert. Aber heute empfinden viele Menschen Stress nicht mehr als Herausforderung, sondern als Überforderung. Und da wird es gefährlich. Wenn der Druck zu lange andauert, zu intensiv ist, ständig wiederkehrt oder es keine Erholungspausen mehr zwischen den Stresssituationen gibt, kommt es zur Überforderung.

Es kann sein, dass man entweder den Stress nicht mehr unterbinden, nicht mehr steuern oder nicht mehr unterbrechen und damit heilsame Gegengewichte schaffen kann. Wenn Sie sagen können: „Ich habe den Stress noch in der Hand“, werden Sie in der Regel nicht krank.

Stress in Maßen ist im Grunde eine moderate Belastung, die die Belastbarkeit steigert. Aber heute empfinden viele Menschen Stress nicht mehr als Herausforderung, sondern als Überforderung.

Beate M. Weingardt

 

ERF: Sie sprachen davon, dass es krank macht, wenn man sich Stress hilflos ausgeliefert fühlt. Wie kommt es dazu?

Beate M. Weingardt: Hilflosigkeit wird vom Menschen unglaublich schnell mit Angst assoziiert. Diese Angst löst im Gehirn unser Überlebensprogramm aus ‒ die sogenannte Alarm- oder Stressreaktion. Diese führt zu einschneidenden Veränderungen im Körper, die uns befähigen sollen, aus gefährlichen Situationen wieder herauszukommen.

Nur ‒ und das ist der Haken an der Sache ‒ unser Körper stellt sich unter einer Lösung vor, dass wir entweder wegrennen oder kämpfen. Darauf werden wir vorbereitet.

Das Problem ist nun: Sie können das Stressprogramm des Körpers nicht ausleben. Wenn man im Büro Stress hat, kann man dem Kollegen weder an die Gurgel gehen noch davonrennen. Die Stressprogramme des Körpers laufen also ins Leere, werden aber ständig weitergeführt. Diese Kombination ist das, was irgendwann zu Schäden führt.

„Ich muss nicht allein durchs Leben gehen“

ERF: Oft lassen wir uns schon von Kleinigkeiten stressen, zum Beispiel von einer geplanten Familienfeier. Wie kann man in diesem Fall gedanklich umschalten, um nicht gestresst zu reagieren?

Beate M. Weingardt: Ganz wichtig ist, dass man den bei uns sehr verbreiteten Perfektionismus ablegt. Perfektionismus setzt uns augenblicklich unter Stress. Wenn man sich aber klarmacht, dass das Gegenteil von perfekt nicht schlecht, sondern gut ist, nimmt man Spannung raus. Der Anspruch, den wir an uns selbst haben, ist oft viel zu hoch.

Eine andere Möglichkeit ist, sich auf das Reizvolle zu konzentrieren. Man kann sich bei jeder Aufgabe, vor der man steht, entweder auf das Unangenehme oder auf das Reizvolle konzentrieren. Diese Wahl hat jeder Mensch.

Doch um die Dinge von einer anderen Seite zu betrachten, sind oft andere Menschen nötig. Zum Beispiel gute Freunde, die sagen: „Ich sehe das anders“ oder fragen „Hast du schon mal daran gedacht?“ Gerade als Christen sollten wir uns gegenseitig dabei helfen, auch mal anders auf die Menschen und Aufgaben im eigenen Leben zu schauen.

Gerade als Christen sollten wir uns gegenseitig dabei helfen, auch mal anders auf die Menschen und Aufgaben im eigenen Leben zu schauen.

Beate M. Weingardt

 

ERF: In Ihrem Buch nennen Sie immer wieder den Glauben als wichtiges Gegenmittel gegen Dauerstress. Wie entlastet der Glaube Sie?

Beate M. Weingardt: Der Glaube hat viele Facetten, die entlasten. Eine entscheidende Facette für mich ist: „Ein Christ ist kein Perfektionist.“ Ein Christ weiß, dass er in diesem Leben nicht ohne Schuld und Versagen und auch nicht ohne Mittelmäßigkeit durchkommen wird.

Im Gegenteil. Jesus sagt: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“ und macht deutlich: „Das kann niemand erfüllen.“ Ich finde es sehr entlastend, mir sagen zu können: „Ich brauche niemandem etwas zu beweisen. Gott kennt mich. Er akzeptiert mich in meiner Unvollkommenheit.“

Ich finde es sehr entlastend, mir sagen zu können: Ich brauche niemandem etwas zu beweisen. Gott kennt mich. Er akzeptiert mich in meiner Unvollkommenheit. 

Beate M. Weingardt

 

Der zweite Entlastungsfaktor, den ich kaum hoch genug schätzen kann, ist, dass wir nicht allein sind mit unserer Lebensgestaltung. Der französische Schriftsteller Houellebecq sagte in einem Interview, dass er religiöse Menschen beneide. Sofort kam die Gegenfrage: „Aber Religionen sind doch Entmündigungssysteme?“ Dann sagte Houellebecq: „Ja, und? Wenn wir mit unserer Mündigkeit überfordert sind.“

Das ist der Punkt. Wer sagt: „Ich allein bin meines Glückes Schmied“, überfordert sich chronisch und muss dann auch mit den Folgen leben. Als Christ muss ich das nicht sagen.

ERF: Vielen Dank für das Interview.
 

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Kommentare (3)

Maite /

Diesem Bericht kann ich nur wenig abgewinnen. Die Kombi von psychosomatischer moderner Medizintheorie und dem Evangelium wird, so finde ich, beidem nicht gerecht. Auch die Aussage, dass Jesus mehr

Dorena /

Sehr wichtiges und interessantes Thema,das mich aktuell gerade beschäftigt,weil ich krank war und nun mit den folgen(leichte Schwäche) kämpfe. Stress kann sich manchmal unmerklich von alleine ändern. mehr

Gunnar K. /

Schön, ein sehr entlastender Bericht, der den Sinn auf die eigentlichen u. wesentlichen Facetten des Lebens richtet...

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