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© Gabriel D. Kirchner

13.05.2020 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

„Kinder sind eingeladen, Gottes Größe zu bestaunen“

Liedermacher Daniel Kallauch erklärt, welche Bedeutung Musik für Kinder hat.

Musik ist nicht nur Sache von Erwachsenen. Die meisten Kinder lieben es, mehr oder weniger lautstark zu singen oder zur Musik zu tanzen. Neben gängigen Kinderliederklassikern oder Discoversionen für die Kleinsten gibt es auch das Genre der christlichen Kinderlieder.

ERF Medien hat mit Daniel Kallauch gesprochen und hat bei dem langjährigen Puppenspieler und Singer-Songwriter christlicher Kinderlieder nachgehört, was gute Musik für die Kleinsten ausmacht und wie gemeinsames Singen die Generationen im Gottesdienst miteinander verbinden kann.

 

ERF: Die Corona-Krise hat Sie als frei schaffenden Musiker auf besondere Weise getroffen. Gibt es ein Kinderlied, das Sie in den Herausforderungen der letzten Wochen ermutigt hat?

Daniel Kallauch: Ich habe mir immer wieder eines meiner Lieder selber vorgesungen: „Wenn ich dir vertrau, mein Gott, bekomm ich neue Kraft“. Da heißt es im ersten Vers: „Ich fühl mich heute müde, ganz klein und gar nicht stark, wie soll ich alles schaffen an diesem Tag?“ Das hat mir geholfen, den Blick auf Gott zu richten und nicht auf das Durcheinander dieser verrückten Wochen, in denen ich zudem intensiv mit einer Crowdfunding Kampagne beschäftigt war, um eine CD Produktion zu retten.
 

ERF Medien: Lieder sind wie ein geistliches Erbe. Was bedeutet dieses Wissen für Sie, wenn Sie neue Lieder schreiben?

Daniel Kallauch: Jedes Lied ist ein Wagnis und niemand kann vorher sagen, ob es gerne gesungen wird und die Seele berührt. Aber ich hoffe beim Schreiben immer darauf, dass es mir gelingt, dass kleine Menschen dieses Lied wie einen Schatz in ihren Herzen und Gedanken durch ihr Leben tragen.

„Lieder gehen unmittelbar ins Herz.“

ERF: Welche Rolle spielen Lieder ganz grundsätzlich dabei, wenn Eltern oder Erzieher Kindern Werte oder Glaubensinhalte vermitteln möchten?

Daniel Kallauch: Lieder gehen mit ihren Melodien unmittelbar ins Herz. Sie werden als Wahrheiten einfach geglaubt. Auch Erwachsene glauben das, was sie singen. Wenn sie ein Lobpreislied beispielsweise oft genug gesungen haben, gehen sie häufig auch davon aus, dass der Text sogar in der Bibel steht, obwohl dies manchmal gar nicht der Fall ist. Deswegen ist das Schreiben von Kinderliedern mit Inhalten des christlichen Glaubens auch mit einer großen Verantwortung verbunden.
 

ERF: Was bedeutet dieses Wissen für Sie in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft?

Daniel Kallauch: Ich glaube, dass Menschen - egal ob sie gläubig sind oder nicht - den Wunsch in sich tragen, einen Sinn für ihr Leben zu finden. Lieder können dafür ein Ausdruck sein. Ich bemühe mich darum, Lieder zu schreiben, die unreligiös in ihrer Wortwahl sind, aber eine tiefe Sehnsucht nach diesem wunderbaren und geheimnisvollen Gott wecken, an den ich als Christ glaube.
 

ERF: Was macht ein gutes Kinderlied in dieser Hinsicht aus?

Daniel Kallauch: Ich bemühe mich darum, keine Allgemeinplätze frommer Aussagen in meinen Liedern aneinander zu reihen. Es muss konkreter werden. Da reicht ein „Preis den Herrn“ oder „Halleluja“ nicht aus. Das gilt übrigens nicht nur für Kinderlieder. Was bedeutet das, was dort gerade gesungen wird, für mich? Hat es etwas mit meinem Leben zu tun, oder sind es nur fromme Floskeln? Ich habe mittlerweile über 400 Lieder veröffentlicht und nur in einem kommt das Wort Halleluja vor; das war ein Ausrutscher aus dem Jahr 1994 [lacht].
 

„Jede Zeit hat ihre Lieder“

ERF: Haben sich die Themen, die in christlichen Kinderliedern vermittelt werden, in den letzten Jahrzehnten eigentlich verändert?

Daniel Kallauch: Ganz bestimmt! Während in den siebziger Jahren noch „Pass auf kleines Auge, was du siehst“ eine Rolle spielte und Lieder auch mal mit erhobenem Zeigefinger Moral verkündigten, kam in den 90ern der Kinderlobpreis auf. Es passierte ein Perspektivwechsel: Kinder wurden eingeladen, die Gottes Größe zu bestaunen, durch Lieder Worte für Gebete zu finden und sich der vollkommenen Wertschätzung und Annahme Gottes sicher zu sein.
 

ERF: Wie haben Sie diese Veränderung als Musiker und Songwriter wahrgenommen?

Daniel Kallauch: In den achtziger Jahren habe ich auf vielen Tagungen das gemeinsame Singen geleitet und damals entstanden bis heute bekannte Lobpreislieder. Als ich dann Anfang der Neunzigerjahre mit der Kindermusik begann, war es für mich selbstverständlich, dass auch Kinder eine Ausdrucksform des gesungenen Gebetes brauchen. Der große Erfolg der Serie „Hurra für Jesus“, die es ab 1993 gab, zeigte, dass viele Familien auf solche Lieder gewartet hatten.
 

ERF: In vielen christlichen Kinderlieder geht es aktuell darum, dass Gott der starke Freund ist, der immer da ist und bei dem man sicher ist. Was geschieht vor dem Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung, wenn ein Kind Gott in einer Krisensituation nicht als den starken Beschützer wahrnimmt – bricht dann das Vertrauen in diesen Gott weg?

Daniel Kallauch auf der Bühne (Foto: Gabriel D. Kirchner)
Daniel Kallauch auf der Bühne (Foto: Gabriel D. Kirchner)

Daniel Kallauch: Ich kann Ihre Frage sehr gut verstehen. Ich habe selber viele solcher Lieder geschrieben, die das Vertrauen in Gott stärken sollen und dürfen. Gäbe es aber nur diese, würde tatsächlich etwas Wichtiges fehlen: die ungelösten Fragen, das Warum und die Trauer um Verlust. Diese Themen können Kinder betreffen und lassen sich nicht einfach schnell durch ein „Gott ist bei Dir“ lösen. 

Ein Lied kann allerdings immer nur auf einen Ausschnitt, eine bestimmte Perspektive auf das Leben eingehen. Es ist zu kurz, um das Umfassende unseres Lebens in seiner Fülle wiedergeben zu können. Es ist eine Kunst, Lieder zu schreiben, die beides – Zuversicht und Fragen - in sich tragen und für Kinder nachvollziehbar sind. Man darf auch nicht vergessen, dass ein Lied auch immer etwas Sehnsuchtsvolles in sich trägt und tragen darf.
 

ERF: Profitieren Kinder umgekehrt davon, wenn sie das klassische, geistliche Liedgut zum Beispiel von Paul Gerhard kennenlernen oder sind dieses Lieder für sie zu schwer?

Daniel Kallauch: Jede Zeit hat ihre Lieder, ihre Bilder und ihre Ausdrucksformen. Manches überdauert die Zeit, aber anderes können wir auch getrost hinter uns lassen. Viele Texte sind für Kinder absolut nicht nachvollziehbar, weil ihnen noch die Vorstellungskraft geschichtlicher Veränderung fehlt. Das bedeutet nicht, dass man mit Kindern beispielsweise keine Choräle singen kann.

Wir haben mit unseren drei Kindern, als sie noch klein waren, im Advent „Macht hoch die Tür“ gesungen und jede Woche einen neuen Vers hinzugenommen. Sie können es bis heute auswendig. Allerdings haben wir auch die Entstehungsgeschichte dieses Liedes mit ihnen gelesen. Das geht teilweise ja auch uns Erwachsenen so: Seitdem ich die Geschichte des Autors von „Amazing Grace“ zum ersten Mal gehört habe, singe ich dieses Lied noch einmal anders.

Alle Generationen sollten gemeinsam singen.

ERF: Welchen Platz hat Musik für Kinder im Gottesdienst und in ihren Kindergruppen – reichen die zwei, drei obligatorischen Lieder zu Beginn?

Daniel Kallauch: Es ist ja schon schön, wenn zwei oder drei Lieder gesungen werden [lacht]. Für Musik braucht es auch Personen, die dies gerne mit Kindern umsetzen. Nach meiner Beobachtung nimmt die Bereitschaft dazu eher ab als zu. Dabei gibt es sehr einfache Möglichkeiten, um mit Kindern im Gottesdienst zu singen: Warum nicht einfach eine CD laufen lassen und gemeinsam dazu tanzen und singen, Spaß haben und auf diese Weise eine schöne, ausgelassene Atmosphäre erzeugen? Da wünsche ich mir mehr Kreativität im Blick auf die Gestaltung von Gottes- und Kindergottesdienst.
 

ERF: Wie kann eine gute Mischung aus einer Kinder- und Erwachsenenlobpreiszeit im gemeinsamen Gottesdienst aussehen?

Daniel Kallauch: Ich bin sehr dafür, dass alle Generationen miteinander singen und Gott auf diese Weise anbeten. Nach meiner Beobachtung scheuen sich viele musikalische Leiterinnen und Leiter davor, die Kinder konkret anzusprechen. Das ist für das Singen mit Erwachsenen ungewöhnlich, aber Kinder brauchen diese direkte Aufforderung. Wenn wir gemeinsam singen: „Einfach spitze, lasst uns hüpfen!“ und vorher hat keiner gesagt „Bitte steht alle auf!“, dann wird auch keiner hüpfen.

Die Kirche ist einer der wenigen Orte, an dem die Chance besteht, dass alle Generationen etwas gemeinsam miteinander tun. Das sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen, auch wenn es unruhig und vielleicht auch manchmal sehr kindlich zugeht. Wir sind eine große Familie und dürfen uns einander zumuten – das sollten wir sogar.

Kinder dürfen durch Musik nicht manipuliert werden

ERF: Manche Kinder singen auch mit Begeisterung die modernen, geistlichen Lieder der Erwachsenen. Haben Sie Erfahrung damit gesammelt, wie Kinder die Lieder von uns Großen wahrnehmen?

Daniel Kallauch (Foto: Gabriel D. Kirchner)
Daniel Kallauch (Foto: Gabriel D. Kirchner)

Daniel Kallauch: Kinder machen einfach gerne mit. Wenn es einigermaßen gut gemacht ist, haben sie Spaß daran. Sie sind es gewöhnt, ganz vieles noch nicht zu verstehen. Das ist für sie ein alltägliches Erleben. Aber das heißt nicht, dass dieses Erleben immer passend ist. Unser Wunsch sollte es doch sein, dass Kinder Gott kennen und lieben lernen. Wenn sie einfach nur so dabei sind und mitmachen, können sie auch in einen Sportverein gehen.
 

ERF: Und wie sieht es mit liturgischen Aspekten im Blick auf die Musik und den Gottesdienstablauf aus - brauchen Kinder Liturgie?

Kinder brauchen Rituale, weil sie ihnen Sicherheit geben. Bis zu einem gewissen Alter lieben Kinder Wiederholungen und können gar nicht genug davon bekommen. Genau das tut Liturgie. Allerdings bleibt die Frage, ob eine Liturgie, die auch für Erwachsene schwer nachvollziehbar ist, bei den Kindern ankommt. Auch hier dürfen und sollten wir uns die Mühe machen, die Liturgie für die Kinder zu übersetzen und kindgemäße Formen zu gebrauchen.
 

ERF: Für viele Erwachsene spielen bei der Musik auch die Gefühle eine Rolle. Ein Lied soll nicht nur den Verstand, sondern auch – und vielleicht besonders - die Emotionen ansprechen. Welche Rolle spielt dieser Aspekt für Kinder?

Daniel Kallauch: Kinder stehen in der Gefahr manipuliert zu werden. Gefühle und Musik bieten dafür eine Plattform. Es ist die Verantwortung derer, die Musik mit Kindern machen, dass sie ihnen Freiraum für Gefühle geben, ohne sie zu manipulieren. Es geht nicht darum, dass alle mitmachen müssen. Jeder ist herzlich eingeladen, Gott anzubeten, für ihn zu tanzen - oder einfach still dabei zu sein. Diese Freiheit müssen wir den Kindern zugestehen, ohne dass wir in ihrer Haltung gleich eine Ablehnung Gottes, oder - noch schlimmer - eine Rebellion gegen Gott vermuten.
 

ERF: Die Art und Weise, wie Kinder heute in einer christlichen Gemeinde oder in einem christlichen Elternhaus aufwachsen, hat Einfluss darauf, wie zukünftige Lobpreisleiter musikalisch ticken. Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht?

Daniel Kallauch: Aktuell entwickelt sich eine Lobpreiskultur unter jungen Leuten, die auch gerne mal in die Melancholie abdriftet. Inhaltlich geht es dabei häufig um folgendes: Glaube an Gott und alles wird gut. Für die Zukunft wünsche ich mir für die Songtexte mehr Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, und dass nicht nur der Glauben an eine heile Welt vermittelt wird. Musikalisch wird es in 10-15 Jahren wieder ganz anders aussehen als heute. Da sollen und dürfen sich zukünftige Generationen an dem orientieren, was dann wiederum angesagt ist. Das ist ihr gutes Recht.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!

→ Die Musik von Daniel Kallauch finden Sie auch im ERF Shop


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 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

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