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© Toa Heftiba / unsplash.com

07.08.2024 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Ingo Marx

Guter Sex stärkt das Miteinander

Sexualtherapeutin Christa Gasser erklärt, wie Paare erfüllende Sexualität durch Übung erlernen können.

Sexualität ist ein zentraler Bestandteil vieler Beziehungen, doch oft bleibt sie ein Tabuthema. Christa Gasser, Sexualtherapeutin, spricht im Interview darüber, wie Paare durch Übungen und den Glauben an Gott eine erfüllte Sexualität finden können. Sie teilt ihre Erfahrungen und gibt praktische Tipps, wie man die Intimität in der Partnerschaft stärken kann.

ERF: Frau Gasser, warum ist es so wichtig, auch beim Thema Sex professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Christa Gasser: In jedem anderen Bereich nimmt man Coaching, Mentoring und Beratung in Anspruch. Aber in diesem Bereich, der so viel Potenzial hat und so wichtig ist, macht man das nicht. Häufig wagt man es in der Sexualität nicht zu sagen: „Das finde ich nicht angenehm.“

Ehepaar Christa und Wilf Gasser
Christa und Wilf Gasser sind seit über 40 Jahren verheiratet. Sie bieten Paarberatung und Eheseminare mit dem Schwerpunkt Sexualität/Intimität an. (Bild: Fabian Steiner, www.fabust.ch)

Mein Mann und ich sind Sexualtherapeuten und unser Angebot an Paare, das Sexperiment, dauert eine Woche. Und da gehen wir mit den Paaren in ein schönes Hotel mit Wellnessbereich und geben ihnen jeden Morgen einen Input zum Thema Körperlichkeit. Natürlich sprechen wir auch darüber, was es braucht, um gute Sexualität zu leben. Wir geben den Paaren Übungen für den Körper und Gesprächsthemen mit, immer beides.

Und was da passiert, ist spannend. Die Paare sind immer überrascht, was die gemeinsame Zeit und die Übungen bei ihnen auslösen.

Denn man denkt vorher immer, man müsse viel für eine gute Sexualität machen, aber letztlich ist es relativ einfach: einander begegnen, darum geht es am Schluss.

Übungen für eine bessere Sexualität

ERF: Können Sie ein Beispiel für eine Übung nennen, die Sie Paaren beim Sexperiment mitgeben?

Christa Gasser: Da gibt es verschiedene. Wir machen oft die sogenannte Handübung, also dass sich Paare einander die Hände eincremen. Dabei ist der eine empfangend und der andere gebend. Der Empfangende muss sagen, was die Berührung des anderen bewirkt, ihm also mitteilen: Ist das schön, was der andere tut? Fühlt sich das gut an? Aber wenn immer die gleiche Stelle massiert wird, bis man fast an die Decke geht, sich auch trauen zu sagen: „Das fühlt sich gerade nicht gut an.“

Und dabei merken beide Partner schon, es geht um mehr als nur eine Handübung. Denn häufig wagen wir beim Sex nicht zu sagen: „Das finde ich unangenehm“. Die Frau denkt zum Beispiel: „Mein Mann macht das ja aus Liebe zu mir, da kann ich ihm doch nicht sagen, dass es mir keine Freude macht.“

Das ist eine Übung, eine andere ist das nackte Nebeneinanderliegen. Dabei geht es darum, dass die Paare erspüren, was das mit ihnen macht, wenn sie einfach nur nebeneinander liegen, ohne sich zu berühren. Das sind so typische Übungen, die wir den Paaren an die Hand geben.
 

ERF: Was bewirken diese Übungen bei den Paaren?

Christa Gasser: Es gibt immer wieder Paare, die das fast nicht schaffen. Sie halten diese Intimität nicht aus oder denken, diese Übungen seien zu banal. „Nein, da lasse ich mich nicht drauf ein“, hören wir dann.

Aber von Paaren, die das trotzdem gemacht und sich da reinbegeben haben, hören wir, dass es ihre Sicht auf ihr Miteinander verändert hat.

Wir hatten mal ein Ehepaar mit dabei, das hatte seit zehn Jahren keine sexuellen Begegnungen mehr, weil die Frau in der Vergangenheit Missbrauch erlebt hatte. Und man kann sich vorstellen: In so einem Fall braucht es einiges, sich als Paar in der Sexualität wiederzufinden.

Für sie war die Erfahrung wichtig, dass sie selbst die Kontrolle beim Sex behalten kann. Dass sie ihrem Partner also nicht einfach ausgeliefert ist, sondern ihm sagen kann, was sie möchte und was nicht. Das hat ihr Leben auf den Kopf gestellt und wir haben später erfahren, dass das auch gehalten hat.

Wir wissen ja als Veranstalter nicht, ob das Sexperiment bei Paaren einfach nur in dieser einen Woche gut funktioniert hat, aber darüber hinaus keine weiteren Auswirkungen hat. Aber dieses Paar hat auch nach einigen Jahren gesagt: „Das hat unser ganzes sexuelles Eheleben verändert.“

Gelingende Sexualität ist ein kontinuierlicher Lernprozess

ERF: Jetzt ist das natürlich ein sehr spezieller Fall und man könnte sagen, bei Paaren, die solche Probleme nicht haben, ist Sex etwas, was sich von allein ergibt. Warum sollten Paare trotzdem an ihrer Sexualität arbeiten?

Christa Gasser: Das denkt man und dann merkt man, wenn man langfristig miteinander unterwegs ist, da läuft plötzlich vieles nicht mehr so locker wie zu Beginn. Damals war man verliebt und die Hormone spielten verrückt. Irgendwann fahren die Hormone wieder runter, man hat vielleicht kleine Kinder oder möchte schwanger werden. Alles Dinge, die sexuelle Begegnungen verkomplizieren und schwierig machen können.

Plötzlich klappt die sexuelle Begegnung nicht mehr einfach so oder ist nicht mehr so locker, wie man sich das gedacht und gewünscht hat.

Das Problem ist, dass die meisten Paare denken, guter Sex müsste sich von selbst ergeben und die Lust müsste bei beiden immer gleichzeitig vorhanden sein. Aber das ist unrealistisch. Das ist ein Traum.

Mein Mann und ich haben als Paar das Buch „Der Traum vom guten Sex“ geschrieben, weil eben dieser Traum immer irgendwo im Hinterkopf ist und das Erlernen von guter Sexualität erschwert. Aber ich denke, wenn wir bereit sind zu lernen, sind wir auch bereit, uns miteinander auf einen Weg zu begeben und zu erkennen: Der Weg ist das Ziel.
 

ERF: Wie schwer oder leicht fällt es Menschen, über ihre Sexualität zu reden? Gerade auch Paaren, die zu Ihnen in die Beratung oder zum Sexperiment kommen?

Christa Gasser: Oberflächlich gesehen fällt es den meisten Menschen sehr leicht, über Sex zu reden. Aber ihre Gefühle wirklich auszusprechen, das fällt vielen schwer. Da geht es dann um Fragen wie: Was macht der Sex mit mir? Was lösen die Berührungen bei mir aus? An welchen Stellen fühle ich mich unsicher?

Meine Erfahrung aus den Gesprächen, die wir mit Paaren führen, ist, dass oft einer der Partner sagt, dass er etwas an der sexuellen Begegnung nicht mag. Wenn wir dann tiefer nachfragen und ermutigen, klar zu benennen, was er oder sie konkret nicht mag, wird es schwierig. Häufig muss sich das ratsuchende Paar erstmal damit zufriedengeben, dass einer von ihnen äußert: „Ich weiß selbst nicht, was ich daran nicht mag. Ich weiß selbst nicht, was mir guttut.“

Aber wenn sie das als Teil ihrer Partnerschaft erkennen, können sie einander einladen: „Lass uns miteinander herausfinden, was mir guttut, was ich genießen kann und wie wir unsere Sexualität zu einer Begegnung werden lassen können, die nicht einfach nur Sex ist.“

Die Rolle des Glaubens in der Sexualität

ERF: Auf Ihrer Homepage steht auch ein deutlicher Hinweis auf Ihre christlichen Grundlagen. Da stellt sich natürlich die Frage: Sex und Gott oder auch Sex und Glaube – was hat das miteinander zu tun? Wie kann Sex eine christliche Grundlage haben?

Christa Gasser: Sex und Glaube haben sehr viel miteinander zu tun. Wir sind überzeugt, dass Gott uns geschaffen hat und dass er sich unsere ganze Sexualität ausgedacht hat. Manchmal denken wir vielleicht: Was hat sich Gott dabei nur gedacht? Mit dem Sex gibt es so viele Probleme. Er hätte das wie bei den Schnecken machen können. Die sind Zwitter und brauchen keinen Sexualpartner. Aber so ist es bei uns Menschen nicht, also hat Gott sich etwas dabei gedacht.

Für uns gab es eine wichtige Erkenntnis, die mit dazu führte, dass wir Sexualtherapeuten wurden. Wir haben mal eine Geschichte gehört von einem indischen Volksstamm. Wir wissen nicht, ob sie stimmt, wir haben sie einfach nur gehört. Da wurde uns erzählt, dass die Mutter des Ehemanns die Hochzeitsnacht mit dem Paar verbringt, um ihre Schwiegertochter quasi anzuleiten, wie sie es gut machen kann.

Das stellt man sich besser nicht plastisch vor. Und dass vor allem die Frau guten Sex lernen muss, damit der Mann auf seine Kosten kommt, entspricht auch nicht unserem Verständnis.

Aber diese Geschichte hat etwas bei uns ausgelöst und wir haben gemerkt: Das stimmt eigentlich. In jedem anderen Bereich nehmen wir Coaching, Mentoring, Beratung und Ähnliches in Anspruch, nur in diesem Bereich machen wir das nicht.

Wir haben dann überlegt und uns gedacht: Gott ist ja unser Schöpfer, er soll unser Coach sein. Daraufhin haben wir begonnen, vor jeder unserer sexuellen Begegnungen über Jahre hinweg zu beten.

Wir haben Gott eingeladen und gesagt: „Komm du als unser Schöpfer, der du uns beide kennst, mit hinein. Sei unsere Hilfe. Und hilf uns, einander mit deinen Augen zu sehen.“

ERF: Das ist eine ungewohnte Herangehensweise, denn oft ergibt sich Sex ja spontan aus der Situation heraus, oder etwa nicht?

Christa Gasser: Es ist ungewohnt. Und ja, genau, oft ergibt sich Sex aus einer Situation, aber dann haben wir uns kurz gebremst und gesagt: „Stopp, wir haben noch nicht gebetet.“ Man kann sich das wie beim Tischgebet vorstellen. Manchmal beginnen die Kinder schon zu essen und wir sagen als Eltern: „Moment, wir wollen noch danken und Gott einladen.“ Nichts anderes ist es vor dem Sex zu beten.

Konkrete Schritte zu einer erfüllten Sexualität

ERF: Wir haben jetzt viel von gutem Sex und erfüllender Sexualität gesprochen und wie Paare dorthin gelangen. Aber wie definieren Sie erfüllende Sexualität für sich persönlich?

Christa Gasser: Für uns als Paar und Sexualtherapeuten ist erfüllender Sex, wenn eine sexuelle Begegnung für beide etwas ist, das die Bindung stärkt und das Paar näher zusammenbringt. Eine Begegnung, welche die Vertrautheit im Miteinander stärkt, das würden wir als erfüllte Sexualität bezeichnen.

Heißer Sex oder ein Quickie ist gut und kann ein Teil der Paarsexualität sein aber das Wichtigste ist, dass eine sexuelle Begegnung die Vertrautheit stärkt, das Miteinander.

ERF: Ich kann mir vorstellen, dass viele Paare sagen: „Genau das wollen wir, aber wir haben das nicht.“ Wie können erste Schritte aussehen, um dahinzukommen?

Christa Gasser: Häufig sind die ersten Schritte ziemlich schwer zu benennen, weil es erstmal darum geht, überhaupt zu erkennen und sich einzugestehen: „Offenbar erleben wir das nicht.“ Schon allein das auszudrücken ist ein wichtiger Schritt.

Dann geht es um kleine Dinge, wie zum Beispiel die anfangs genannten Übungen zu wagen. Sich gegenseitig zu sagen: „Lass uns das mal ausprobieren.“ Häufig braucht es dafür einen gewissen zeitlichen Rahmen und einen Ort abseits des normalen Alltags, etwa durch eine Woche, wie wir sie anbieten, oder irgendein anderes Paar, das einen unterstützt und ermutigt: „Hey, bleibt dran“.

Man kann als Paar nämlich nicht etwas, das man möglicherweise über Jahre eingeübt oder verlernt hat, von heute auf morgen ändern und sagen: „So, jetzt machen wir alles anders“. Es sind am Ende die kleinen Schritte, die zählen.

ERF: Vielen Dank für das Interview.

 

 Ingo Marx

Ingo Marx

  |  Unit Leader ERF Jess

Ingo Marx leitet das Team von ERF Jess und ist als Moderator des ERF Jess Talkwerks zu sehen. Vor seiner Zeit beim ERF hat in Bonn Politikwissenschaften studiert, für eine Kölner Tageszeitung und eine TV-Produktionsfirma gearbeitet. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

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