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© Francisco Gonzalez / unsplash.com

22.03.2024 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Andreas Odrich

Bin ich schuld an Depression?

Prof. Dr. Markus Steffens spricht über Ursachen und Behandlung einer ganz normalen psychischen Erkrankung.

Rund ein Fünftel aller Deutschen erkrankt irgendwann an einer Depression, so die Statistiken. Das sind immerhin stattliche 16 Millionen Menschen. Dennoch ist die Unwissenheit groß und die Scham sitzt oftmals tief bei Betroffenen und Angehörigen.

Um hier aufzuklären, hat Andreas Odrich mit Prof. Dr. Markus Steffens gesprochen. Er ist Chefarzt an der Klinik Hohe Mark des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes (DGD), ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Suchtmedizin in Oberursel und Frankfurt am Main.
 

Prof. Dr. Markus Steffens, DGD-Klinik Hohe Mark, Oberursel und Frankfurt a.M. (Foto: ERF)
Prof. Dr. Markus Steffens, Klinik Hohe Mark, Oberursel und Frankfurt a.M. (Foto: ERF)

ERF: Traurigkeit oder Bedrücktheit kennt jeder. Was aber sind Kennzeichen einer echten Depression?

Prof. Dr. Markus Steffens: Wenn ein Mensch mal gute oder schlechte Tage hat, ist das normal. Das kennt jeder, aber das hat in der Regel noch nichts mit Depression zu tun. Wenn die Symptome aber ausgeprägt sind und typischerweise länger als zwei Wochen anhalten, ist die Schwelle zur Depression durchbrochen.

Eine Depression beginnt mit einer negativen Grundstimmung und Interessenverlust. Das heißt, die Freude geht verloren, selbst an Dingen, die man eigentlich mag, Antrieb und Energie werden runterreguliert. Weitere Symptome können Appetit-, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sein, Verlust des Selbstvertrauens, Schuldgefühle bis hin zu kreisenden Gedanken, vielleicht sogar in Richtung suizidaler Gedanken.
 

ERF: Kann ich selbst etwas dafür tun, dass es mir wieder besser geht, gewissermaßen die depressive Stimmung aufhalten, indem ich mich einfach nur ein wenig zusammenreiße?

Prof. Dr. Markus Steffens: Oft haben Betroffene gleich zu Anfang das Gefühl: Es liegt einfach nur an mir, ich hab irgendwas falsch gemacht, ich hab mich nicht genügend zusammengerissen, es ist meine Schuld.

Auch das ist ein Kennzeichen der Depression, dass der Zeiger des Schuldgefühls sich nach innen dreht, und ich merke so gar nicht, dass es sich um eine richtige Erkrankung handelt, die absolut jeden Menschen treffen kann, auch jeden Christen.

Depression hat auch nichts mit Schuld und Sünde zu tun. Das ist eine ganz fatale Fehlannahme, die manchmal aus dem christlichen Kontext mit hineingenommen wird, dieser Gedanke, dass ich selbst schuld sei an meinem Schicksal. Aber dass dieses Gefühl auftritt, sich schuldig zu fühlen, das ist sehr verbreitet und ein Kernsymptom der Depression.

Wege in die Depression

ERF: Wie kommt denn eine Depression zustande? Welche Auslöser kennt man?

Prof. Dr. Markus Steffens: Es gibt tatsächlich biologische Phänomene, die bei der Entstehung der Depression eine Rolle spielen. Da sind zum Beispiel die Botenstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, aber auch noch einige andere. Auch das Stresshormon-Level, also die körpereigene Cortisol-Produktion, ist deutlich erhöht.

Diese Verschiebungen auf der biologischen Seite sollte man bei der Erkrankung auf jeden Fall mit berücksichtigen. Depression hat nicht nur mit dem Gefühl zu tun, der ganze Mensch ist betroffen, so wie beispielsweise auch Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit auftreten können. Es kann sein, dass man ohne es zu wollen, bis zu 20 Kilogramm in wenigen Wochen abnimmt.

In aller Regel ist es aber so, dass es nicht einen einzigen Grund gibt, warum es zur Depression kommt. Meist kommen verschiedene Faktoren zusammen, zum Beispiel auch Medikamente, die ich einnehme, oder andere Substanzen oder körperliche Erkrankungen. All das kann einen Einfluss auf die Erkrankung haben und mein Risiko dafür erhöhen.

Es gibt auch die sogenannte Vulnerabilität, das bedeutet, bei Menschen, die in ihrer Familie andere Fälle von Depressionen hatten oder haben, ist auch das eigene Risiko erhöht. Auch belastende Erlebnisse in der Kindheit und Jugend, die scheinbar gut weggesteckt wurden, können später eine Depression auslösen. Man nennt das ein epigenetisches Phänomen.
 

ERF: Gibt es Charaktereigenschaften, die eine Erkrankung begünstigen? Oder ganz im Gegenteil äußere Lebensumstände, die mich in eine Depression treiben können?

Prof. Dr. Markus Steffens: Wenn ich ein sehr leistungsorientierter Mensch bin, dann habe ich in der Regel auch starke „innere Antreiber“, meine Ziele zu erreichen. Dann habe ich in der Tat auch ein erhöhtes Risiko, in eine Depression zu kommen.

Ein anderer Faktor sind lange andauernde Stressoren. Das kann beispielsweise sein, dass ich in einem Job arbeite, der mich chronisch eigentlich überlastet, oder wenn ich in einem dauerhaft sehr konfliktreichem Umfeld lebe, also dauerhafte Stressoren auf der interaktionellen Ebene existieren.

Das kann auch die Versorgung von Angehörigen sein, sei es ein pflegebedürftiges Kind oder pflegebedürftige Eltern. Auch das kann über lange Zeit das innere Spannungslevel anheben.
 

ERF: Wie ist es mit spontanen Krisenereignissen, die mich wie ein Blitz treffen? Kann so etwas eine Depression auslösen?

Prof. Dr. Markus Steffens: Das gibt es durchaus, zum Beispiel bei einer Trennung oder dem Tod eines Menschen, der mir wichtig ist. Aber auch eine akute Erkrankung oder ein Unfall kann, z.B. in Kombination mit einem dauerhaften Stressor, die Depressionsschwelle durchbrechen lassen.

Es können auch scheinbar kleinere Auslöser sein, die gerade jetzt das Fass zum Überlaufen bringen. Es ist aber in der Regel kein einzelnes Ereignis oder ein Faktor allein, sondern eine Konstellation von Stressoren, die sich langsam aufgebaut hat, und dann die Depression auslösen.

Möglichkeiten der individuellen Behandlung

ERF: Wie wird nun eine Depression behandelt, welche Ansätze gibt es da? Und spielen auch Medikamente eine Rolle?

Prof. Dr. Markus Steffens: Das erste wichtige Element der Depressionstherapie ist die Psychotherapie, z.B. in Form einer Verhaltenstherapie, inklusive weiterer Spezialtherapien wie Musiktherapie, Körper- und Bewegungstherapie, Sporttherapie, Tanztherapie, Kunsttherapie, usw. Da gibt es eine ganze Menge Ansätze, die auch präventiv wirksam sein können.

Bei einer mittel- bis schwergradigen Depression würde ich aber als Zweites unbedingt die Kombination mit antidepressiver Medikation empfehlen, damit man der Erkrankung umfassend gerecht wird. Wie wir schon gesagt haben, es gibt die psychische Seite der Depression, aber auch die physische Seite, den Körper mit seinem Transmittersystem und Hormonen. Das kann dadurch stabilisiert und unterstützt werden.
 

ERF: Die Behandlung einer Depression beginnt oft stationär, zum Beispiel bei Ihnen in der Klinik Hohe Mark. Wie läuft so ein Klinikaufenthalt in der Regel ab?

Prof. Dr. Markus Steffens: Wenn jemand mit einer Depression zur Aufnahme kommt, wird am Anfang ein ausführliches psychologisches Gespräch geführt und es findet eine körperliche Untersuchung statt. Dann wird gemeinsam der individuelle Therapieplan festgelegt. Darin wird geklärt: Welche einzelnen Elemente der Psychotherapie sollen enthalten sein? Einzelgespräche, Gruppengespräche, weiterführende kreative Therapieelemente?

Auch legt man gemeinsam fest, ob und welche Medikation zum Einsatz kommen soll. Im weiteren Verlauf des Klinikaufenthalts schauen wir dann immer wieder zusammen: Ist da noch eine Justierung nötig?

Schließlich behält man im Blick, wie weit ich aus der Depression wieder aufgetaucht bin. Das betrifft also die Frage: Wann ist eine Entlassung denkbar und ist eine weitere ambulante Behandlung nötig und möglich? Wie steht es um die Teilhabe am Berufsleben und allgemein am gesellschaftlichen Leben? Kann ich da wieder einsteigen?

Im Schnitt dauert eine stationäre Behandlung 6 bis 8 Wochen. Insgesamt gibt es depressive Episoden, die kürzer als 10 bis 12 Wochen sind, und andere, die länger sind, das ist sehr individuell. Aber die gute Botschaft ist: Depression ist gut behandelbar, und es besteht eine sehr gute Chance, aus der Depression wieder komplett aufzutauchen.

Damit die Erkrankung nicht erneut ausbricht

ERF: Ist eine Depression denn damit ausgestanden oder muss ich mir das vorstellen wie bei einer Suchterkrankung, wo ich auch rückfällig werden kann?

Prof. Dr. Markus Steffens: Das kann verschieden sein. Es gibt tatsächlich die Verlaufsform, dass es nur einmal im Leben eine depressive Phase gibt. Da komm ich also raus, und es tritt nie mehr im Leben auf. Daneben gibt es die sogenannte „rezidivierende Depression“, also eine Erkrankung, die nach ein paar Jahren erneut auftritt.

Auch hier gibt es verschiedene Ansätze, Techniken und auch Medikamente für eine Rezidivprophylaxe, also um ein Wiederauftreten der Depression zu verhindern. Ein wichtiger Punkt ist hier die Frage nach Frühwarnzeichen: Welche gibt es da bei mir, wie erkenne ich sie und wie vermeide ich dann, dass sich daraus wieder eine depressive Phase ausbildet?
 

ERF: Gibt es Lebensveränderungen, die mir helfen können, einen Rückfall zu vermeiden? Kann ich allgemein selbst etwas dafür tun, um mich vor einer Erkrankung zu schützen?

Prof. Dr. Markus Steffens: Es gibt durchaus Dinge, die vorbeugend hilfreich sind, aber es ist auch ganz wichtig, dass ich möglichst zügig wieder aus einer Depression rauskomme, wenn ich gerade akut in einer depressiven Phase stecke. Diese Punkte werden auch in einem stationären Aufenthalt angeboten und durchgeführt, sodass Betroffene sie dort kennenlernen und einüben können.

Nehmen wir zum Beispiel regelmäßige Bewegung im Freien, das kann sehr hilfreich sein. Es gab eine Untersuchung zur Wirksamkeit und Bedeutung verschiedener therapeutischer Formen. Da kam unter anderen heraus, dass die sogenannte Sporttherapie eine deutlich hilfreiche Wirkung in der Vorbeugung und bei der Behandlung von Depression hat. Und das bedeutet nicht mehr, als etwa dreimal in der Woche 30 Minuten zu walken oder langsam zu joggen.

Neben sportlichen Aktivitäten können aber auch andere, eher kreative Elemente helfen, etwas Musikalisches oder Gestalterisches. Oder auch ganz allgemein der Kontakt zu Menschen, die mir guttun; also positive Begegnungen mit anderen, das ist absolut hilfreich.

Schützt Glaube vor Depression?

ERF: Welche Rolle spielen der christliche Glaube oder Religion allgemein bei Verlauf und Behandlung einer Depression?

Prof. Dr. Markus Steffens: Der gelebte Glaube kann hinsichtlich der psychischen Gesundheit ein wichtiger Resilienzfaktor sein, also ein Schutzfaktor. Es kann sich aber auch um einen Risikofaktor handeln, der die Heilung der Erkrankung hinauszögert.

Nehmen wir als Beispiel das Gottesbild, das ich habe. Ist es ein liebendes Gottesbild, dann ist der Glaube ein Resilienzfaktor. Wenn es hingegen ein strafender Gott ist und der Glaube davon geprägt ist, ist es eher ein Risikofaktor.

Oder hat der Glaube für mich ein hohe intrinsische Motivation? Ist der Glaube also aus sich selbst heraus wichtig für mich? Auch dann ist er eher ein Resilienzfaktor. Wenn Glaube dagegen eher eine extrinsische Motivation hat im Sinne von „Das habe ich so gelernt“, aber es hat nichts mit meinem eigenen persönlichen Leben zu tun, dann ist er eher ein Risikofaktor.

Wir erleben in der Klinik Hohe Mark immer wieder, dass es für viele Menschen eine Hilfe ist, zusätzlich zu zuvor genannten Therapien seelsorgerliche Angebote in Anspruch zu nehmen. Wie gesagt als freiwilliges Angebot, nicht als Pflicht, da darf man nichts überstülpen. Das wäre nicht in Ordnung.
 

ERF: Wenn ich jetzt den Eindruck habe, ich könnte betroffen sein von Depressionen: Was soll ich tun, was könnten erste Schritte sein?

Prof. Dr. Markus Steffens: Die erste Anlaufstelle ist immer die Hausärztin oder der Hausarzt. Wenn ich zu dem ein gutes Verhältnis habe, sollte ich dort meine Befürchtung ansprechen. Hausärzte sind inzwischen auch wirklich gut geschult und können gut einschätzen, ob es sich um eine Depression handeln könnte, und dann die entsprechenden Weichen stellen.

Oder ich melde mich direkt bei einem Facharzt, einem Therapeuten oder in einer Klinik. Wir haben da zum Beispiel ein Aufnahmemanagement, bei dem sich Betroffene melden können. An diesen Anlaufstellen werden erste Fragen geklärt, etwa, ob es zum Beispiel wirklich eine stationäre Behandlung braucht.

Wenn ich unsicher bin, ist es immer empfehlenswert, sich Hilfe zu suchen. Dann wird eine Diagnostik stattfinden, und dabei kann man dann herausfinden: Ist es eine Depression oder ist es etwas ganz anderes. Es gibt ja noch andere Erkrankungsformen.

Aber die Diagnostik am Anfang ist ganz wichtig und erst danach gehe ich das Problem mit der Person an, die mir jetzt am besten helfen kann, sei es im hausärztlichen Rahmen oder im fachärztlichen oder im psychotherapeutischen Bereich oder im Rahmen einer stationären Therapie.

ERF: Herzlichen Dank für das Gespräch.

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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Kommentare (1)

Maria /

Mir gefällt das ursprüngliche Modell besser :)
Jakobus 5:14-15 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten....

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