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© Engin Akyurt / unsplash.com

18.07.2022 / Andacht / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Wutmensch oder Glaubensheld?

Warum Jona trotz seines schwierigen Charakters als Vorbild und Mutmacher taugt.

Der Prophet Jona ist für mich eine der schillerndsten Figuren aus der Bibel. Seine Geschichte ist schnell erzählt: Der gebürtige Israelit wird von Gott beauftragt, der assyrischen Hauptstadt Ninive wegen ihrer Grausamkeit den Untergang anzukündigen. Jona hat keine Lust, sich als Bote für diese heikle Mission herzugeben. Also flieht er in die entgegengesetzte Richtung nach Tarsis, das vermutlich im heutigen Spanien liegt. Ein Schiff soll ihn dorthin bringen.

Diese Flucht weiß Gott zu verhindern. Er lässt ein Unwetter aufkommen, das das Handelsschiff derart in Bedrängnis bringt, dass die Matrosen Jona schließlich über Bord werfen, um ihr eigenes Leben zu retten. Jona versinkt in den Wellen, wird durch ein Wunder gerettet, kommt dabei zur Besinnung und führt seinen Auftrag anschließend doch noch aus. Damit könnte die Geschichte enden und alles wäre gut.

Ein Prophet mit Hang zum Wutanfall

Das tut sie aber nicht. Denn Jona ist mit dem Ausgang seiner Mission unzufrieden. Die Einwohner von Ninive nehmen sich seine Gerichtsbotschaft nämlich derart zu Herzen, dass sie ihr Verhalten tatsächlich bereuen. Und Gott? Gott lässt Gnade walten und verschont die Stadt, die bis heute für ihr brutales Vorgehen gegenüber unterworfenen Völkern bekannt ist. 

Als Jona das bemerkt, tickt er aus. Seine Worte: „Ach Herr, habe ich das nicht schon gesagt, bevor ich von zu Haus aufbrach? Deshalb bin ich ja fortgelaufen nach Tarsis! Ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist. So mach nun meinem Leben ein Ende, Herr! Ich will lieber sterben als zu leben.“ Gott hat nach diesem Wutanfall seines Boten große Mühe damit, Jona klarzumachen, wie lieblos sein Verhalten im Blick auf die Bewohner von Ninive ist. Ob es ihm gelingt, lässt der Bericht über den cholerischen Botschafter Gottes offen.

Ein Prophet mit wenig Nächstenliebe

Auf den ersten Blick taugt Jona damit überhaupt nicht als Vorbild für ein Leben als Christ heute. Ungehorsam, Rachsucht oder Selbstgerechtigkeit sind keine frommen Tugenden. Das Schlimmste an Jonas Verhalten ist aber, dass er als tiefgläubiger Mensch Gott selbst verkennt. Obwohl – das stimmt so nicht. Der Prophet kennt Gott sogar so gut, dass er dessen Verhalten präzise vorhersagen kann. Eigentlich eine gute Voraussetzung für seinen Job.

Was der Sturkopf Jona aber in seinem ganzen religiösen Leben bisher nicht begriffen hat, ist Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen.


Was der Sturkopf aber in seinem ganzen religiösen Leben bisher nicht begriffen hat, ist Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen. Jona geht es gegenüber seinen ungläubigen Mitmenschen ums Rechthaben und nicht ums Liebhaben. Für ihn darf buchstäblich die Welt um ihn herum untergehen, wenn er sich in seiner frommen Weltsicht und seinem eigenen Gerechtigkeitsempfinden bestätigt fühlt. Für einen Menschen, den Gott sich als Botschafter für sein Anliegen ausgesucht hat, ein Armutszeugnis.

An diesem Punkt wird Jona für mich zum mahnenden Fragezeichen: Wie nehme ich meine säkularisierten Nachbarn und Freunde wahr? Wie verhalte ich mich zu einer Politik und einer Gesellschaft, die immer weniger von christlichen Werten geprägt ist? Gehe ich in Frontalopposition oder versuche ich, die Botschaft von Gottes richtender Gerechtigkeit und seiner Liebe gleichermaßen zu bezeugen?

Ein Prophet mit Leidenschaft und Mut

Bei allem Entsetzen über Jonas Verhalten entdecke ich bei ihm aber auch Eigenschaften, die ich nachahmenswert finde. Das Gebet, das er über seine Rettung aus dem Meer formuliert, zeigt ihn als sprachbegabten Mann: „Ich versank in den Wellen und kämpfte mit dem Tod. Wasser umgab mich und Algen schlangen sich um meinen Kopf. Ich sank zu den Wurzeln der Berge hinab und die Tore der Erde waren für mich auf ewig geschlossen.“

Jona weiß, wie er Worte für seine starken Gefühle finden kann und lässt sie auch heraus. Der Prophet ist kein Mensch, den die Geschehnisse um ihn herum kalt lassen. Er mischt sich ein. Er duckt sich nicht weg, wenn er auf Unrecht stößt. Er macht den Mund auf unabhängig davon, was Menschen über ihn denken. Ich vermute, dass diese Leidenschaft und Unerschrockenheit überhaupt der Grund dafür waren, warum Gott gerade ihn mit dem nicht ungefährlichen „Projekt Ninive“ betraut hat.

Ein Prophet mit großem Glauben

Das zweite, was ich an dem alttestamentlichen Propheten bewundernswert finde, ist sein Vertrauen darauf, dass Gott ihm helfen wird. Er befindet sich noch mitten in der Gefahrensituation im Meer, als er folgende Worte spricht: „In meiner Not rief ich zum Herrn und er antwortete mir. Ich schrie zu dir aus dem Totenreich, und du hörtest meine Stimme! Du, Herr, mein Gott, hast mein Leben aus der Grube herausgezogen! Als ich keine Hoffnung mehr hatte, dachte ich an den Herrn. Und mein Gebet drang zu dir in deinen heiligen Tempel durch. Die, die falsche Götter anbeten, verzichten auf deine Gnade. Ich aber werde dir laut danken, Opfer bringen und meine Gelübde halten. Denn die Hilfe kommt vom Herrn.“ 

Ich glaube nicht, dass ich in Jonas Situation noch den Mut gehabt hätte, mich auf Gottes Gnade zu berufen oder zu hoffen, dass er mich rettet. Angesichts der vorherigen Flucht grenzt das schon an Dreistigkeit. Aber Jona ist nicht nur fest davon überzeugt, dass er in der selbst verschuldeten Situation mit Gottes Gnade rechnen darf. Er geht auch ganz selbstverständlich davon aus, dass Gott sein Gebet hört.

Die Bildsprache, die Jona in diesem Moment wählt, berührt mich: Jona hat Schiffbruch erlitten, befindet sich nach der Schilderung der Bibel vermutlich im Bauch eines Wales irgendwo im Mittelmeer. Was könnte da weiter weg sein als das Festland mit dem Tempel in Jerusalem? Da liegt nicht nur symbolisch, sondern ganz real eine unüberwindbare räumliche Distanz dazwischen.

Trotzdem glaubt Jona, dass Gott ihn hört. Damit wird er mir zum Vorbild für meine eigenen oft kläglichen Gebete. Manchmal frage ich mich, ob sie an der Zimmerdecke hängen bleiben. Die Geschichte von Jona zeigt überdeutlich, dass sie das nicht tun. Sie kommen bei Gott an.

Gott arbeitet mit Licht und Schatten in unserem Leben

Jona war ohne Zweifel ein Charaktertyp. Ein Mensch, mit dem nicht immer gut Kirschen essen war. Auf der anderen Seite hatte er eine ungeheure Leidenschaft für Recht und Gerechtigkeit. Dabei ist er manchmal übers Ziel hinausgeschossen und hat sich selbst zu wichtig genommen. Die Wut, die aus dieser falschen Sicht entstanden ist, hat er nicht hinunter geschuckt. Wie ein trotziges Kleinkind hat er sie Gott ins Gesicht geschleudert. Das ist kein sehr respektvolles Verhalten. Aber es öffnet Gott die Möglichkeit, Jonas Sichtweise zu hinterfragen und ihn zu korrigieren.

Ich finde es einmalig, dass Gott Jona benutzt, obwohl er kein einfacher Zeitgenosse war.
Hanna Willhelm

Ich finde es einmalig, dass Gott Jona benutzt, obwohl er kein einfacher Zeitgenosse war. Das macht mir Mut im Blick auf meine eigenen Ecken und Kanten. Gott will mich gebrauchen, auch wenn er an meinem Charakter noch so manchen Feinschliff vornehmen muss.

Darüber hinaus hilft ein Blick in die Biografie von Jona, barmherziger mit Menschen umzugehen, die Leitungsverantwortung tragen. Unsere Gesellschaft erwartet von bekannten Persönlichkeiten oft ein nahezu fehlerloses Verhalten. Christen sind da nicht ausgenommen.

Wie schnell wird Gottes Berufung an einen Pastor, einen einflussreichen Leiter oder Influencer in Frage gestellt, wenn er oder sie sich nicht so verhält, wie einzelne oder der Großteil der Menschen es für richtig halten. Die Frage ist berechtigt, ob ein Typ wie Jona in diesem gesellschaftlichen und kirchlichen Klima überhaupt eine Chance gehabt hätte oder ob er sofort hätte abdanken müssen?

Das Buch Jona ist nicht nur ein Bericht über einen störrischen Propheten und einen barmherzigen Gott. Es ist auch eine Geschichte über einen Gott, der mit Menschen überraschend anders umgeht. Ein Gott, der eine zweite Chance gibt und selbst mit schwierigen Charakteren einen Plan hat.

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

Ihr Kommentar

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Kommentare (2)

Herbert S. /

Eine Mut machende Auslegung von Jona. Tief gehend.
Sehr schön der Satz:
Gott arbeitet mit Licht und Schatten in unserem Leben.
Die Autorin hat es gut formuliert: Jona.... kein einfacher mehr

Reiner C. /

Eine sehr aufschlußreiche Auslegung. Vielen Dank für die segensreiche Auslegung. Gott segne Sie und Ihre Familie.
In Jesus verbunden

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