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02.05.2017 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Lucia Ewald

Was Luthers Ideen uns heute noch bringen

Interview mit dem Reformations-Experten Prof. Dr. Thomas Kaufmann (1/2)

Was Christen heute glauben hat auch viel damit zu tun, was um 1500 im Zeitalter der Reformation geschehen ist. Was der junge Augustinermönch und Gelehrte Martin Luther damals – vor 500 Jahren – beim Studieren der Bibel entdeckte, hat zu einem tiefgreifenden geistlichen, gesellschaftlichen und politischen Umbruch geführt. Seine Lehren haben sich in kürzester Zeit in ganz Europa verbreitet und schließlich zur Spaltung der Kirche geführt. Welche Faktoren haben diese Dynamik beeinflusst? Wie hat die Reformation Europa verändert mit Folgen, die bis in die Gegenwart nachwirken? Über die Auswirkungen und Errungenschaften der Reformation hat Lucia Ewald für die ERF Plus-Sendung Glaube und Denken mit dem Reformations-Experten Professor Dr. Thomas Kaufmann ein Gespräch geführt. Im Folgenden lesen Sie den ersten Teil der Auszüge aus dem Gespräch.

ERF: Professor Kaufmann, es gibt Wissenschaftler, die zählen Luther zu einem der letzten Theologen des Mittelalters. Andere sehen in ihm den ersten modernen Theologen. Wie sehen Sie das?

Der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Thomas Kaufmann lehrt an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Er hat richtungsweisende Bücher über Luther und die Reformation geschrieben. In „Luthers Juden“ setzt er sich dezidiert mit dem Antisemitismus des Reformators auseinander. Zuletzt erschienen ist sein Buch „Erlöste und Verdammte – Eine Geschichte der Reformation in Europa.“ Darin spannt Prof. Kaufmann einen weiten Bogen von den Anfängen der Reformation bis hin zur Wahrnehmung der Reformation in der Neuzeit. 

Prof. Thomas Kaufmann: Das ist eine Geschmacksfrage, was das Mittelalter ist und wann die frühe Neuzeit beginnt. Klar ist allerdings, dass von Luther Entwicklungen im Positiven wirksam geworden sind, die nicht mehr in die Welt einer mittelalterlichen Kirchlichkeit und Theologie integrierbar waren. Mit Luther und der auf sein Wirken zurückgehenden reformatorischen Entwicklung bricht die lateineuropäische Kirche auseinander. Es entstehen alternative Kirchentümer, die einander sozusagen ausschließen. Es entstehen rivalisierende Theologien. Und diese Konkurrenz, diese Spannungen sind ein wesentlicher Faktor einer permanenten Auseinandersetzung um das Christliche, auch der Infragestellung des Christlichen. Religionskritik entstammt nicht zuletzt der scharfen Auseinandersetzungen die die Theologien gegeneinander erheben. Und das ist ein wesentlicher Faktor auf dem Werteprozess der europäischen Moderne.

Die Rolle der Frauen in der Kirche

ERF: Inwiefern hat die Reformation die Entwicklung nach vorne gebracht, was die Rolle der Laien etc. anbelangt?

Prof. Thomas Kaufmann: Das Interessante an der Reformation ist, dass hier insbesondere in den frühen Jahren Dinge aufblitzen, sozusagen als Möglichkeit, dass erstmals in der Geschichte in größerem Umfang und größerer Wahrnehmbarkeit Laien tätig werden können: Dass Frauen als Literatinnen, als Predigerinnen auftreten. Alles Dinge, die dann in den Folgejahren seit Mitte der 20er Jahre im Grunde wieder verschüttet werden, die dann aber in späteren Epochen, etwa im Pietismus wieder entdeckt werden. Wo man sagt: Das gab es doch mal. Wir hatten doch mal ein allgemeines Priestertum der Glaubenden. Das hat Luther doch formuliert. Daran wollen wir anknüpfen. Wir wollen auch die Laien zu stärkerer Mitwirkung, zur Mitgestaltung innerhalb des Kirchenwesens aufrufen. Insofern bringen diese frühen reformatorischen Entwicklungen so etwas wie einen Unruhemoment in die weitere Geschichte des Christentums, weil sie als Andockstation, als Bezugsrahmen für Veränderungsprozesse wirksam geworden sind, die bis heute anhalten. Natürlich ist in Bezug auf das Priestertum aller Glaubenden auch auf die Rolle von Frauen im kirchlichen Amt hin argumentiert worden. Aber es hat bis weit in die 70er Jahre hinein gedauert bis es zur Selbstverständlichkeit wurde, dass auch Frauen im evangelischen Kontext gleichberechtigt Pfarrämter und dann irgendwann auch kirchenleitende Ämter übernehmen konnten.

Die Volkssprache wird auch unter Gelehrten salonfähig

ERF Medien: Durch die Schriften von Luther, seine Bibelübersetzung in die deutsche Volkssprache, seine vielen seelsorgerlichen und theologischen Schriften auch in deutscher Sprache haben dazu beigetragen, dass so etwas wie eine nationale Literatur entstand. Die Gelehrtensprache war damals vor allem Latein. Was hat das denn ausgelöst in punkto Bildungsdynamik?

Prof. Thomas Kaufmann: In einer ganzen Reihe an europäischen Sprachen sind die ersten schriftlichen Dokumente, Texte, die im Zuge der Reformation entstanden sind. Dann wurden sie häufig auch gleich gedruckt und vielseitig verbreitet. So ist klar, dass die nationalsprachliche Dynamik, die Europa bis heute auszeichnet, im Wesentlichen durch die Reformation forciert wurde. Hinzu kommt, dass die Gelehrten, also der neue Typus des reformatorischen Gelehrten, mindestens zweisprachig agieren musste. Gelehrte mussten in der traditionellen Gelehrtensprache dem Latein auskunftsfähig, also lesefähig und schreibfähig sein und er musste darüber hinaus vollsprachliche Texte als Prediger abfassen können. Daraus hat sich sozusagen auch eine Dynamik im Hinblick auf die volkssprachliche Literatur entwickelt, die wir so vorher nicht hatten. Die Entstehung nationaler Literaturen ist durch die Reformation mindestens indirekt begünstigt worden. Dass die Volkssprache sozusagen religiös salonfähig geworden ist heißt, dass jeder Christenmensch in seiner Muttersprache die biblische Botschaft vernehmen kann. Dass jeder das Evangelium hören kann, seinen Glauben formulieren kann und in volkssprachlichen Liedern artikulieren kann, ist etwas unerhört Neues gewesen. Und es hat die kulturelle Entwicklung Lateineuropas mittelbar auch im katholischen Raum enorm befruchtet.

Wirtschaftliche Dynamik durch Abschaffung von Feiertagen

ERF: In welchen anderen Bereichen der Gesellschaft, zum Beispiel der Wirtschaft, gab es noch gravierende Veränderungen in Folge der reformatorischen Bewegung?

Prof. Thomas Kaufmann: Über die wirtschaftliche Dynamik infolge der Reformation ist natürlich immer wieder diskutiert worden. Es gibt diese berühmte These Max Webers, der einen inneren Zusammenhang zwischen reformiertem Protestantismus, also insbesondere Calvinismus, und der Entwicklung des Kapitalismus gesehen hat. Davon ist in der Forschung relativ wenig geblieben. Klar ist, dass es eine wirtschaftliche Dynamik in protestantischen Territorien nach der Reformation gegeben hat und zwar in erster Linie infolge der Abschaffung der Feiertage. Durch die Reformation sind mehrere Dutzend Feiertage hinfällig geworden und das hat zwangsläufig dazu geführt, dass die Leute mehr gearbeitet haben und entsprechend größere wirtschaftliche Produktivität entfaltet haben. Ob es darüber hinaus ein spezifisches protestantisches Arbeitsethos gibt, das zu einer besonderen Kapitalakkumulation und besonderen wirtschaftlichen Erfolgen geführt hat, würde ich mittlerweile bestreiten. Es gibt ausgesprochen wohlhabende katholische Landschaften. Denken Sie an Norditalien oder auch das heutige Belgien. Auch innerhalb der deutschen Landschaften wird man nicht ohne Weiteres sagen können, dass die stärker protestantische Prägung Mecklenburg Vorpommerns irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber dem katholisch geprägten Bayern bedeutet. Das sind im Grunde Konfessionsstereotypen,

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die ich infrage stellen würde. Klar ist, dass das, was wir Moderne nennen, dieser westliche Zivilisationstypus im Grunde durch alle Konfessionen hindurchgegangen ist und alle Konfessionen das Ihre dazu beigetragen haben, diesen Zivilisationstypus hervorzubringen. Eine sehr starke Disziplinierung, Selbstbeobachtung, eine Bemühung um Effizienz etc. ist all diesen Konfessionen gemein und gehört auch hinein in die staatliche Nutzungsdynamik der Religion, die infolge der Reformation selbstverständlich wurde. 

 


Hier können Sie den zweiten Teil des Interviews lesen!

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