Navigation überspringen
© Toa Heftiba / unsplash.com

19.03.2019 / Andacht / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Wolf-Dieter Kretschmer

Versöhnung leben: die große Herausforderung

Schwere Wegstrecken haben in Gottes Plänen ihren Sinn.

Vor einiger Zeit las ich in meiner Bibel eine bewegende Versöhnungsgeschichte. Es war die Familiengeschichte des hebräischen Patriarchen Jakob. Zu ihm zählten zehn raubeinige Söhne, der Schöngeist Joseph und das Nesthäkchen Benjamin. Joseph träumte Zuhause von Höherem, während seine Brüder Ziegen- und Schafherden weideten. Das konnte er sich leisten, weil er Vaters Lieblingssohn war. Schlecht war allerdings, dass er diesen Umstand auszunutzen wusste. Vor allem seine Brüder ärgerten sich sehr darüber.

Eines Tages, Vater Jakob war weit weg, machten die Brüder kurzen Prozess mit Joseph. Sie fesselten und verkauften ihn an vorbeiziehende Händler als Sklaven. Dem entsetzten Vater tischten sie die Lüge auf, ihr Bruder sei einem wilden Tier zum Opfer gefallen.

Der tiefe Sturz

Eben noch Lieblingssohn, jetzt unterwegs, um auf einem Sklavenmarkt in Ägypten verschachert zu werden. Joseph hatte allen Anlass, Groll auf seine Brüder zu haben. Aber Joseph hatte Glück im Unglück, denn ein einflussreicher Mann „kaufte“ ihn. Potifar war der oberste Offizier der Leibgarde Pharaos. Weil Joseph eine glückliche Hand fürs Wirtschaften zeigte, bestellte sein neuer Herr ihn bald zum Verwalter. Joseph hatte es gut getroffen.

Leider nahmen seine Geschicke einen unglücklichen Verlauf, als die Ehefrau des Hausherrn Potifar Joseph für sich „entdeckte“. Der ließ sich aber nicht auf ihre Anmache ein. Deshalb drehte sie den Spieß um und beschuldigte ihn kurzerhand, ihr zu nahe getreten zu sein. Das Ergebnis: Joseph wanderte unschuldig in den Knast und musste dort mehrere Jahre ausharren, bevor er auf nahezu wundersame Weise in die Freiheit und zu unerwarteten Ehren gelangte.

Eine besondere Begabung Gottes ermöglichte ihm das Deuten von Träumen. Pharao war durch einen Traum verunsichert worden und Joseph hatte ihm eine sinnvolle Deutung gegeben: Sieben fruchtbaren Jahren würde eine siebenjährige Dürrezeit folgen. Joseph empfahl sicherheitshalber, Vorräte anzulegen. Pharao folgte seinem Rat und beförderte Joseph zum zweiten Mann im Staat.

Es kam wie vorhergesagt: Den fruchtbaren Jahren folgte eine lange Dürrezeit, und die traf nicht nur Ägypten. Auch die Familie seines Vaters Jakob im fernen Kanaan litt unter der Trockenheit. Schließlich reifte bei Jakob der Entschluss, seine Söhne zum Getreideeinkauf nach Ägypten zu schicken.

Die mögliche Revanche

Da standen sie, die Brüder, und wollten Getreide von Joseph kaufen. Nicht im Traum dachten sie daran, dass der strenge Ägypter vor ihnen ihr eigener Bruder sein könnte. Joseph hatte sie in seiner Hand. Der Mann, dem sie unsägliches Leid zugefügt hatten, konnte sich endlich unerkannt rächen. Umso erstaunlicher ist es, dass Joseph genau das nicht tat. Warum?

Joseph war trotz des zugefügten Leids nicht verbittert. Im Gegenteil, der Groll in seinem Leben war der Entdeckung gewichen, dass seine schwere Lebensführung ein Teil von Gottes Plan war. Er, Joseph, wurde schließlich zum Segensträger für viele und wusste, Gottes Wege sind gut, auch wenn sie durch tiefste Täler führen. Deswegen konnte er eine versöhnende Hand denen entgegenstrecken, die für so viel Leid in seinem Leben verantwortlich waren.

Josephs Versöhnungsbereitschaft bewirkte noch etwas anderes: Weil er auf Genugtuung verzichtete und sich zur Versöhnung durchrang, eröffnete das seiner Familie das wirtschaftliche Überleben, mehr noch, eine gute Zukunft. Aber, und auch das gehörte zur Versöhnung dazu, Joseph musste seine Brüder mit deren Schuld konfrontieren. Einfach so über das hinweg zu gehen, was geschehen war, kam nicht in Frage. Also suchte er einen Weg, um die Sache auszuräumen.

Joseph wurde schließlich zum Segensträger für viele und wusste, Gottes Wege sind gut, auch wenn sie durch tiefste Täler führen. Deswegen konnte er eine versöhnende Hand denen entgegenstrecken, die für so viel Leid in seinem Leben verantwortlich waren.

Was ich aus dieser Geschichte lerne

Unrecht geschieht. Gelegentlich wird Unrecht aktiv von Leuten betrieben, oft passiert es einfach. Manchmal werde ich ungerechterweise benachteiligt, andere Male muss ich mich den Konsequenzen eigenen Fehlverhaltens stellen.

Ich bin aufgefordert, mich dem Jetzt, Hier und Heute zu stellen. Was gestern war, kann ich nicht mehr ändern. Auf morgen habe ich keinen Zugriff. Bleibt nur die Gegenwart. Jetzt, hier und heute kann ich mein Vertrauen auf Gott setzen, mich auf ihn verlassen. Ich stelle mich dem, was geschehen ist, ziehe meine Konsequenzen und, mit Gottes Hilfe, lasse hinter mir, was geschehen ist. Nicht blindlings oder mit fatalistischer Herzenshaltung, sondern in der festen Gewissheit, dass Gott, der die Geschicke der Welt lenkt, es unendlich gut mit mir meint. Das Gute Gottes wird am Ende das mir zugefügte Unrecht weit überstrahlen.

Das Gute Gottes wird am Ende das mir zugefügte Unrecht weit überstrahlen.

Eine der für mich überraschenden Entdeckungen in dieser Versöhnungsgeschichte war: Schwere Wegstrecken haben in Gottes Plänen ihren Sinn. Der Sklave Joseph wurde im Haus des Offiziers Potifar und im Staatsgefängnis für seine spätere Führungsaufgabe geprägt. Gottes Wege erschließen sich oft erst in der Rückschau. 

Gott schreibt Geschichte – auch mit mir. Angesichts der Milliarden von Menschen mag ich mir unbedeutend vorkommen. Trotzdem gilt: Ich bin Teil Gottes großer Geschichte mit dieser Welt. Es kommt darauf an, dass ich meinen Platz einnehme und mich dort einbringe, wo Gott mich hingestellt hat.

Versöhnung ist nur dort möglich, wo Unrecht als solches benannt wird. Versöhnung setzt Vergebung voraus. Vergeben werden kann mir nur dann, wenn ich meine Schuld als solche bekenne und die Bereitschaft zur Verhaltensänderung mitbringe. 

Ich kann es mir leisten, großmütig zu sein. Es entlastet mich zu wissen, dass Gott Geschichte schreibt, und es macht mich demütig. Wenn er die Geschicke dieser Welt lenkt, kann ich es mir leisten, auf Genugtuung zu verzichten. Dann will ich gerne meinen Teil dazu beitragen und vorbehaltlos die versöhnende Hand ausstrecken. Alles andere wäre kleinkariert, oder?

Versöhnung eröffnet neue Perspektiven. Mich beeindruckt das: Nicht nur zerbrochene Beziehungen können heilen. Versöhnung schafft die Voraussetzung für ein gutes Leben im umfassenden Sinn und es ermöglicht eine bessere Zukunft.

Versöhnung schafft die Voraussetzung für ein gutes Leben im umfassenden Sinn und es ermöglicht eine bessere Zukunft.

Versöhnung ist unter Umständen ein langer Prozess. Es wäre naiv zu denken, dass mit einer Aussprache alles „in Butter“ ist. Versöhnung ist ein zartes Pflänzchen, dass nur langsam wächst. Ich muss mich darauf einstellen, dem Prozess Raum geben und mit Rückschlägen rechnen. Die Geschichte Josephs zeigt das eindrücklich. Selbst Jahre nach der Versöhnung mit ihrem Bruder Joseph trieb die Brüder die Sorge einer späten Rache um. Im 50. Kapitel des 1. Buchs Mose ab Vers 15 wird davon berichtet:

„Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.“

 

Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?

  • Welches Unrecht ist Ihnen widerfahren?
  • Für welches Unrecht sind Sie verantwortlich?
  • Haben Sie sich Ihrer Situation gestellt?
  • Könnte es sein, dass es an der Zeit ist, dass Sie Ihr Vertrauen auf Gott werfen, anstatt über das zu hadern, was Ihnen widerfahren ist?
  • Wäre heute ein guter Tag, um eine versöhnende Hand zu reichen?
  • Was müssten Sie beitragen, damit Versöhnung geschehen kann?
  • Sind Sie bereit, sich auf eine längere Versöhnungsreise einzulassen?

 

 Wolf-Dieter Kretschmer

Wolf-Dieter Kretschmer

Der Theologe, Autor und Redakteur war Pionier und Gründer der Fernsehabteilung des ERF. Er leitete die Redaktion Theologie und das Seelsorgeteam. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (2)

Kerstin /

Ich frage mich, wie die Geschichte weitergegangen wäre, wenn dort Josephs Werdegang etwas realistischer beschrieben worden wäre. Durch den Sturz in die Zisterne verletzt, dadurch als Sklave nicht mehr

Katharina /

Von Herzen sende ich Ihnen ein „Dankeschön!“

Das könnte Sie auch interessieren