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23.11.2011 / Themenwoche Einheit mit Christus / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Joachim Bär

Sieh, dein König kommt zu dir

Das Neue Testament macht deutlich: Christen haben hohen Besuch! Kein geringerer als der Schöpfer der Welt möchte sich dauerhaft einrichten.

Zugegeben, die Ausbeute ist dürftig. Fast 200 Mal sprechen Paulus & Co. davon, in Christus zu sein. Reden sie vom Gegenteil, Christus in mir, geben sie sich wortkarg. Die Belege lassen sich an ein, zwei Händen abzählen. Merkwürdig, schließlich beschreiben diese Aussagen zwei Seiten einer gegenseitigen Identifikation. Zwei Seiten dieser besonderen Verbindung, dieser Beziehung, dieser Einheit. Die Gewichtung scheint klar: Eher ich in Christus als er in mir.

Nimmt man’s mit der Trinität nicht so ernst, sieht es natürlich schnell anders aus. Einige Belege sprechen davon, dass der Geist Gottes in den Gläubigen eingezogen ist (z. B. Römer 8,9). Hinzu kommt, dass Gott selbst in Christen wohnt (1 Johannes 4,12). Es scheint ein Grundgedanke der Bibel zu sein, dass sich jemand in Christen häuslich einrichtet.

Natürlich kann man fragen, welchen Unterschied es macht, ob Christus, sein Geist oder Gott selbst in mir wohnt. Christus ist ohnehin auch Geist (z. B. 2 Korinther 3,17), ebenso Gott selbst (Johannes 4,24). Das erklärt aber nicht, warum Paulus in einem der bekanntesten Verse zum Thema eben nicht vom Geist spricht: „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit“ schreibt er in Kolosser 1,27 und hat bestimmt nicht den Geist vergessen oder um der Abwechslung Willen Christus eingestreut. Paulus meint, was er schreibt. Gerade wenn es um so ein zentrales Thema geht.

Unerhört. Unerklärlich.

Das Bemerkenswerte: Ähnlich wie sich einige Bibelausleger mit dem Gedanken schwer getan haben, in Christus zu sein, versuchen andere, die Vorstellung von „Christus in mir“ abzuschwächen. Zum Beispiel Eduard Lohse oder Joachim Gnilka in ihren Kommentaren zum Kolosserbrief. „Christus in euch“ wollen sie eher im Sinne von „Christus unter euch“ verstanden wissen. In der Gemeinde, wenn Christen zusammen kommen. Dann soll der Geist Christi zum Tragen kommen.

Das ist natürlich leichter nachvollziehbar. Auf den ersten Blick praktischer. Ob sie dem, was Paulus meinte, näher kommen, ist fraglich. Schließlich sagt er selbst, dass es sich um ein Geheimnis handelt, dass Christus in mir wohnt (Kolosser 1,26-27).

Die Aussage von Paulus lädt dazu ein, sich erst einmal hinzusetzen, innezuhalten und durchzuatmen. Und dann darüber neu über das staunen, was hier eigentlich steht. Jesus Christus, durch den alles geschaffen ist (Kolosser 1,15f), der jetzt zur Rechten Gottes sitzt (Hebräer 1,3), dessen Stimme die Toten auferwecken wird (Johannes 5,28), der der kommende Richter (Apgostelgeschichte 10,42) und Herrscher der Welt sein wird – eben dieser Christus in mir! Oder wie es Philipp Friedrich Hiller 1767 in seinem adventlichen Choral ausgedrückt hat: „Sieh, dein König kommt zu dir! Seele, das sind frohe Worte.“ Das ist unerhört. Unerklärlich. Und geheimnisvoll.

Da muss mehr dran sein

Nach dieser kleinen aber wichtigen Verschnaufpause lässt es sich angemessen darüber nachdenken, was das alles soll. Und da schlägt es wieder zu, dieses kleine und doch so große Wörtchen „in“. Er in mir, das muss mehr bedeuten, als dass ich Jesu Gedanken faszinierend finde. Das könnte ich bei Platon auch. Kein Mensch würde dann aber davon sprechen, dass Platon in mir ist. „Christus in mir“, da muss mehr dran sein.

Rein körperlich lässt sich das natürlich nicht vorstellen. Kein Arzt wird bei der Sektion eines Christen hinter der linken Niere ein kleines Holzkreuz oder dergleichen finden. Wir sprechen von einer geistlichen Wohngemeinschaft. Geistlich bedeutet aber nicht irrelevant oder theoretisch. Wer sich die biblischen Texte zum Thema genauer ansieht bemerkt schnell, dass „Christus in mir“ zur Mitte des Glaubens gehört – und einiges davon abhängt.

Wo Christus gerne einzieht

Ein Zusammenhang fällt besonders ins Auge: Ob Christus in mir wohnt oder nicht, scheint viel damit zu tun zu haben, was ich tue. Anders gesagt: „Wer seine Gebote hält, bleibt in ihm, und er in ihm“ (1 Johannes 3,24). Jesus ist also vermehrt in Menschen zu finden, die sein Wort halten (Johannes 14,23). Das eine geht nicht ohne das andere. Liebe zu Gott und zu meinem Nächsten sind Anzeichen dafür, dass ich in dieser tiefen Gemeinschaft mit Jesus lebe.

Das leuchtet ein. Nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir, beschreibt Paulus in Galater 2,20 dieses Phänomen. Wenn ich mein Leben nicht mehr selbst festhalte, hat das Auswirkungen. Ich werde Jesus immer ähnlicher und handle entsprechend. Was auch heißt: Will ich Christus in mir wohnen lassen, muss ich meinem eigenwilligen, auf sich bedachten Ego den inneren Mietvertrag kündigen. Es sind die leeren Wohnungen, in die Christus gerne einzieht.

Trost und Warnung zugleich

Das sind einerseits tröstende Worte. Um Gott auf frischer Tat zu ertappen, brauche ich keine besonderen Visionen, weder ein gleißendes Licht noch eine donnernde Stimme. Ich kann in mir selbst auf etwas weit Größeres zurückgreifen: Christus wohnt in mir. Wenn ich meinen Nächsten von ganzem Herzen liebe, kann darauf vertrauen, dass er in mir ist. Denn ohne ihn wäre ich dazu nicht fähig, ohne ihn könnte ich nichts tun (Johannes 14,4-5). Eine Art Gottesbeweis für Christen. Zumindest ein Hinweis, der meinen Glauben stärken und ihn gewiss machen kann.

Tröstend auch, wenn Gott mir eine heikle Aufgabe zuweist oder eine hinterlistige Anfechtung mich heimsucht. Mein normaler Reflex lautet dann: „Wie soll ich das auch noch schaffen? Ich kann das nicht.“ Mit Christus in mir kann ich sagen: „Richtig, ich schaffe das nicht allein. Wohl aber Christus, der in mir ist.“

Andererseits sind das ernste Gedanken. Denen, in denen Christus ist, scheint gar nichts anderes übrig zu bleiben als zu lieben. Wer nicht liebt, in wem Christus nicht mehr und mehr Gestalt gewinnt (Galater 4,19), muss sich fragen: Ist mein Glaube echt? Ganz so, wie Paulus die Korinther aufruft: „Prüft euch, ob ihr im Glauben seid, untersucht euch! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist?“ (2 Korinther 13,5) Glaube an Gott ist auch heute nicht billig.

Zirkelschluss der Liebe

Das Neue Testament präsentiert uns somit eine Art Zirkelschluss der Liebe: Wer liebt, in dem ist Christus; in wem Christus ist, der kann lieben. Ohne ihn können wir nicht lieben – und wer nicht liebt, ist folglich ohne ihn. Die Möglichkeit zum Neuanfang immer mit eingeschlossen. Um die konkrete und liebevolle Tat, die sich aufopfernde Liebe dreht sich alles. Sie ist Anfangspunkt und Ziel zugleich, Trost und Warnung zur selben Zeit.

Diese Liebe kommt nicht aus mir selbst, ich kann sie nicht produzieren. Es ist Christus in mir, der sie möglich macht. Er möchte mein Leben antreiben und mir Kraft geben. Ein Leben, das ich nicht mehr selbst lebe und das nur möglich ist, weil ich mit Christus gekreuzigt und begraben wurde. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der gegenseitigen Identifikation zwischen Christ und Christus, das Thema von morgen.
 

 Joachim Bär

Joachim Bär

Joachim Bär war Unit Lead von erf.de und hat die übergreifenden Themen der redaktionellen Angebote des ERF koordiniert. Er ist Theologe und Redakteur, verheiratet und hat zwei Kinder.

Ihr Kommentar

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Kommentare (3)

Maximilian /

Vielen Dank, Herr Bär.
Diese Themenreihe befriedet Geist und Verstand, macht das Herz wieder weich.

Michael /

Nett, humorvoll und doch herausfordernd!

Jomi /

So schön habe ich die vier geistlichen Gesetze schon lange nicht mehr erklärt gekriegt. Das hat mir gut getan. Danke für die Ermutigung

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