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03.12.2007 / / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Hao Hebbinghaus

Senioren, ich komme!

Ich gehe zum Briefkasten, nicht ahnend, dass dieser Gang mein Denken verändern würde. Da schreibt mir irgendeine Seniorenvereinigung und bietet mir ihre Hilfe an. Dazu noch eine Einladung "für jeden über 55". Woher die nur meine Adresse und mein Alter haben? Gelangweilt werfe ich den Brief, ohne ihn weiter zu lesen in den Papierkorb. "Was soll der Schmarren?", denke ich mir. Doch nach zehn Minuten liegt die zerknitterte Einladung wieder auf meinem Schreibtisch. Ehe ich mich versehe, überträgt sich der äußere Zustand des Briefs auf meine Stimmung - ich bin zerknittert. Hätte ich ihn doch nur in den Reißwolf gesteckt...

Ich gehe zum Briefkasten, nicht ahnend, dass dieser Gang mein Denken verändern würde. Da schreibt mir irgendeine Seniorenvereinigung und bietet mir ihre Hilfe an. Dazu noch eine Einladung "für jeden über 55". Woher die nur meine Adresse und mein Alter haben? Gelangweilt werfe ich den Brief, ohne ihn weiter zu lesen in den Papierkorb. "Was soll der Schmarren?", denke ich mir. Doch nach zehn Minuten liegt die zerknitterte Einladung wieder auf meinem Schreibtisch. Ehe ich mich versehe, überträgt sich der äußere Zustand des Briefs auf meine Stimmung - ich bin zerknittert. Hätte ich ihn doch nur in den Reißwolf gesteckt...

Dann sitze ich wortlos da und überlege. Gerade 58 Jahre alt und schon eine Einladung zu einer Seniorenveranstaltung. Wo ist die Zeit geblieben? Ich schaue zurück und sehe dankbar zurück auf Stationen meines Lebens. Ich sehe gute und schlechte Tage und bleibe bei einem Bild hängen, das über meinem Kinderbett hing. Es zeigt "den Guten Hirten", der in der Abendsonne mit sanftmütigem Gesicht auf seine Schäfchen schaut, die friedlich am Ufer eines Weihers fressen. Der Gute Hirte, Jesus, hat bis heute für mich gesorgt.

Eigentlich könnte ich hier einen Punkt machen. Doch mich fuchst diese bekloppte Einladung ungemein und hält mir ungeschminkt meinen Ist-Zustand vor Augen. Und ob er es geahnt hatte, spricht mich wenige Tage später ein Kunde an und meint: "Na, wie lange haben sie es denn noch bis zur Rente?" - Mir steht plötzlich das Ende meines ersten Arbeitstages am 2. April 1961 wieder vor Augen, als ich am Ende der ersten achteinhalb Stunden zu Hause meine Tasche in die Ecke schleuderte und stöhnte: "So ein Mist. Jetzt muss ich noch 51 Jahre und 364 Tage arbeiten, bis ich in den wohlverdienten Ruhestand gehen kann". 52 Jahre, welch eine Zeitspanne. Unvorstellbar für ein am Vortag konfirmiertes Kind mit knapp 14 Jahren.

Nun ist diese Zeit schon fast vorbei und ich erkenne: Ich bin zum Senior mutiert. Ich habe die Zeichen des Altwerdens bisher ignoriert. Doch auch wenn ich mich noch so dagegen wehre und alles dafür tue, dass man mir mein Alter nicht ansieht, alles wird langsamer, ich bin nicht mehr so fit. Der Körper spricht eben eine andere Sprache als der Geist. Die Grenze des Altwerdens muss ich von heute auf morgen passieren. Und ich gebe unumwunden zu: Meiner neuen Zugehörigkeit zur Gruppe der Senioren stehe ich nicht nur fast hilflos gegenüber. Ich entdecke auch Verhaltensweisen, die ich lange bei meinen Eltern nicht verstanden habe:

Die "letzte Seite der Lokalzeitung" (die mit den Todesanzeigen) ist nun auch meine erste Lektüre. Dort vergleiche ich das Alter der Verstorbenen mit meinem und stelle fest: Der Zeitpuffer wird merklich kleiner. Aber das ist keine gute Vorbereitung auf den Tod!

Nein, kein Mensch will älter werden, aber nach dem Wollen wird nicht gefragt. Das Alter kommt schleichend. Aber kann man das Älterwerden lernen? Sicherlich, aber man muss sich diesem schleichenden Prozess bewusst stellen - vielleicht schon früh. Darum sollten sich auch junge Menschen an diesem Bericht die Zähne ausbeißen. Aber dazu gehört Mut:

  • sich einzugestehen, dass man älter wird;
  • zuzugeben, dass der Körper langsam abbaut;
  • sich einzugestehen, dass die Grenzen enger werden, so fit man sich auch halten mag;
  • Hilfe anzunehmen;
  • sein denken auf ein neues Alter einzustellen
  • loszulassen.

    Jung sein um jeden Preis wirkt verkrampft. Alt werden ist ein Lernprozess, der in der Jugend beginnt und uns bis zum Lebensende fordert. Wer lernt, alt zu werden, der kann auch lernen, loszulassen. Wie viel Hausrat meiner Mutter aus ihrer 140 Quadratmeter großen Wohnung in eine kleine Stube in einem Altenheim passt, habe ich vor einigen Jahren selbst schmerzlich miterlebt. Einige Bilder, Kleidung, ein Schränkchen, sowie die Bibel nebst Gesangbuch. Alles was blieb, passt in den Kofferraum eines Mittelklassewagens. Wer nicht lernt, abzugeben, verhärtet im Alter innerlich mehr und mehr.

    Die Jahreszahl sagt nicht viel über das Alter aus. Wie alt ein Mensch wirklich ist, lässt sich auch an seiner Flexibilität ablesen: Kann ich noch Neues oder Anderes denken und zulassen oder gilt nur das, was ich immer dachte, wie ich immer Dinge anging, was ich für richtig halte? Wie anpassungsfähig bin ich noch? - Es gibt so viele verbitterte Alte, denen keiner etwas recht machen kann. An allem und jedem nörgeln sie herum. Verbitterung.

    Wer sich immer zu beschäftigen wusste, wird auch im Alter genug zu tun haben. So viele alte Menschen sitzen im Seniorenheim meiner Mutter einfach nur gleichgültig und apathisch tatenlos herum. Sie können sich zu nichts mehr aufraffen. Viele sind auf ihren Hass und auf Neid fixiert, weil schlimme Dinge im Leben nicht verarbeitet wurden. Viele können keine Hilfe annehmen, weil sie sie immer ablehnten. So wird ein Mensch im Alter störrisch, stur und bitter. Zumal nicht mehr mein Wille den Ton angibt, sondern die Befindlichkeit meines Körpers.

    Wer schon mit dreißig, vierzig Jahren - oder womöglich früher - ständig über das Leben gejammert hat und an allem herumnörgelte, wird im Alter nicht gerade eine fröhliche Atmosphäre verbreiten. Wer sich schon in der Lebensmitte gehen lässt, wird im Alter schwierig.

    Bei dieser Aufzählung, die sicher nicht komplett ist, sieht es eher düster aus, wenn ich an mein Älterwerden denke. Auch mich beschleicht eine Art Angst, die aber eine "besondere Qualität" hat. Während fast alle Ängste sich früher oder später auflösen, weil man sie ihrer Gründe beraubt hat, ist diese Angst vor dem Alter latent vorhanden, weil sich die Gegebenheiten nie verändern werden. Im Gegenteil: Mit jedem vergangenen Tag, mit jedem Jahr kommt das Alter näher und die Zeit eilt um ein Vielfaches schneller, obwohl ich weiß, dass heute 60 Sekunden nicht schneller vergehen, als 1961.

    Was ich jetzt schon lernen will und lernen muss, um nicht im Alter einem Fiasko zu begegnen, ist die Tatsache, dass ich Frieden mit der Vergangenheit schaffen muss. Wer Frieden mit Gott und den Menschen geschlossen hat, wer sich selbst den Frieden erklärt hat, wird sicher im Alter von zusätzlichen Belastungen nicht verschont. Allerdings glaube ich fest, dass ich mit diesen neuen horizontalen und vertikalen Friedensschlüssen, nun neue und unbekannte Lebensumstellungen nicht als schicksalsbedingte unveränderlichen Fakten willenlos akzeptiere, sondern diese als Herausforderung erkenne und annehme.

    Dabei hilft mir jetzt eine wegweisende biblische Aussage aus dem alten Testament, wo Gott sagt:

    "Von Anfang an habe ich euch getragen, seit euerer Geburt, sorge ich für euch! Ich bleibe derselbe, ich werde euch tragen bis ins hohe Alter, bis ihr grau werdet. Ich, der Herr habe es bisher getan, ich werde euch auch in Zukunft tragen und retten."
    Jesaja 46,3 bis 5

    Wie ein Vater seinen kleinen Sohn trägt, so werde ich von Gott getragen. Gott behält mich auch dann noch auf seinen Armen, wenn andere mich längst absetzen und sich von mir abwenden würden. Er trägt und erträgt mich bis ins hohe Alter. Auch dann will Gott mich noch tragen, wenn mein irdisches Leben zu Ende geht. Auch dann stellt er mich nicht mit den Worten ab: So jetzt sieh zu, wie Du klar kommst. Er verspricht mir nicht nur, mich nicht fallen zu lassen, er will mich auch in seine Ewigkeit retten, wenn ich mich von ihm tragen lasse.

    Und wer früh lernt, diesem Gott zu vertrauen, der wird im Alter auf diesem für jeden unbekannten Terrain keine Furcht haben. Sterben müssen wir alle - das steht am Ende eines jeden Lebens. Aber wie wir damit umgehen, können wir im Leben lernen. Das erkannte auch Mose, der in Psalm 90 schreibt:

    "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden."

    Und so sitze ich gar nicht mehr zerknirscht vor meinem zerknitterten Brief mit der Einladung "für jeden über 55". Also, liebe Senioren, ich komme! So gaaanz langsam kann ich mich auf den neuen Lebensabschnitt freuen.

    Gott, ich weiß nicht, wie viel Zeit Du mir noch anvertraust. Hilf mir das Altwerden als ein Reifen zur Vollendung zu begreifen. Hilf mir zum Alter ja zu sagen, denn es gibt keine Zeit, die nicht Deine Zeit ist, die nicht von Dir Sinn, Auftrag und Erfüllung empfängt. Danke, dass ich auch im Altwerden Dein Kind sein kann und Du mein Vater bleibst. Lass mich dafür Dir von Herzen dankbar bleiben.
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    Kommentare (1)

    Waldkapelle /

    Sehr gelungen, tröstend und ermutigend! Mit 68 kann ich diese Gedanken nur bestätigen: Es ist sehr einfach, so getragen älter oder alt zu werden! Und mit jedem Tag kommt man IHM näher, näher dem mehr

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