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© Alexis Mora Angulo / unsplash.com

30.04.2021 / Andacht / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Katrin Faludi

„Oh! Du hier?“

Wohin die Gedanken auch gehen – Jesus geht mit.

Busfahren übt auf mich dieselbe Wirkung aus wie der Kleiderschrank in den Narnia-Geschichten. Trete ich durch die Tür, verschwinde ich in einer anderen Welt. Gedanklich jedenfalls. Wenn ich im Bus sitze, aus dem Fenster sehe und die Gedanken von der Leine lasse, kann es sein, dass ich überhaupt nicht mehr mitbekomme, was in der realen Welt um mich herum passiert.

Vor einigen Jahren saß ich in genau diesem Zustand im Bus. Geistig war ich gerade jottwede. Folglich bekam ich auch nicht mit, wie sich jemand neben mich setzte. Irgendwann, so nach halber Fahrtstrecke, drehte ich mich eher zufällig zur Seite, blickte in ein lachendes Gesicht und erschrak. Eine junge Frau aus meiner Gemeinde saß neben mir und amüsierte sich prächtig über meine Verlegenheit. Ich stotterte irgendwas zusammen, dass ich sie nicht absichtlich ignoriert hätte, aber sie antwortete nur gutmütig: „Mach dir keinen Kopf! Du warst gerade so in Gedanken, da wollte ich dich nicht stören.“

Wege ins Ungewisse

Gedanken sind eigenwillige Teile unserer selbst. Sie suchen sich ihre Wege und bleiben dann gerne auch darauf. Manchmal nahezu unbeirrbar. Selbst Wegweiser sind nicht immer hilfreich, sie in neue Richtungen zu leiten, sollte es notwendig sein. Wer gedankliche Wege beschreitet, die sich logisch und folgerichtig anfühlen, ist schwer wieder davon abzubringen.

Logisch und folgerichtig fühlt sich all das an, was sich mit der bisherigen Lebenserfahrung deckt. Diese Wege versprechen Sicherheit. Selbst dann, wenn das Ziel, auf das sie zuführen, in absoluter Unsicherheit liegt. Oder wenn es gar kein Ziel mehr gibt.

Dies haben die beiden Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus erlebt. Mit dem Tod ihres Lehrers und Freundes Jesus hat sich ihr Lebensziel – diesem Jesus nachzufolgen – im Nichts aufgelöst. Ihnen bleibt nichts weiter als der Heimweg. Am Sonntag, zwei Tage nach der Kreuzigung, verlassen der Jünger Kleopas und seine namentlich nicht genannte Begleitperson die Stadt Jerusalem und wandern zu ihrem Heimatdorf. Der stundenlange Fußmarsch bietet ihnen genug Zeit, ihre Trauer und ihre Ernüchterung über die jüngsten Ereignisse miteinander zu teilen:

„Auf dem Weg sprachen sie über alles, was geschehen war. Plötzlich kam Jesus selbst, schloss sich ihnen an und ging mit ihnen. Aber sie wussten nicht, wer er war, weil Gott verhinderte, dass sie ihn erkannten. ‚Worüber redet ihr?‘, fragte Jesus. ‚Was beschäftigt euch denn so?‘ Da blieben sie voller Traurigkeit stehen“ (Lukas 24,14-17).

An wenigen Stellen kommt die Erschütterung der Jünger über den Tod Jesu so eindrücklich zur Geltung wie hier. Diese beiden Menschen sind gedanklich und emotional völlig mit der Tatsache beschäftigt, dass Jesus nicht mehr ist. Ihre Hoffnung und ihr ganzer Glaube sind mit ihm gestorben. Als Jünger haben sie die Wunder miterlebt, die Jesus getan hat. Aber an das größte Wunder, die Auferstehung, die er ihnen sogar angekündigt hat, können sie nicht glauben. Sie erzählen ihrem unbekannten Begleiter:

„Aber heute Morgen waren einige Frauen aus unserer Gemeinschaft schon früh an seinem Grab und kamen mit einem erstaunlichen Bericht zurück. Sie sagten, sein Leichnam sei nicht mehr da und sie hätten Engel gesehen, die ihnen sagten, dass Jesus lebt! Einige von uns liefen hin, um nachzuschauen, und tatsächlich war der Leichnam von Jesus verschwunden, wie die Frauen gesagt hatten“ (Lukas 24,22-24).

Hätten sie den Berichten ihrer Freunde geglaubt, befänden sie sich nun nicht niedergeschlagen auf dem Heimweg. Den Abzweig mit dem großen Hinweisschild „Jesus lebt!“ ignorieren sie offensichtlich ganz bewusst, weil er nicht zu ihrem gedanklichen Weg passt. Wer kann es ihnen verübeln? Alles andere wäre schlicht und ergreifend unlogisch! Tote kommen nicht wieder. Das ist das, was sie durch ihre bisherigen Erfahrungen als Wissen gespeichert haben. Deshalb erwarten sie nicht, dass Jesus ihr Wissen sprengen wird. Das lässt ihr gedanklicher Weg nicht zu.

Auch Glaube kann sterben und wieder auferstehen

Es ist wirklich kurios: Während diese beiden Menschen gedanklich völlig mit dem Tod beschäftigt sind, läuft der lebendige Jesus neben ihnen her. Jesus begleitet sie auf ihrem Weg in ihre alte, gedankliche Heimat. Er geht mit ihnen in die ungewisse Zukunft. Denn was soll schon aus einem Jünger werden, dessen Meister als Verbrecher hingerichtet worden ist?

Die Jünger betrauern ihren verlorengegangenen Glauben, das verletzte Vertrauen, und währenddessen geht Jesus neben ihnen her, spricht mit ihnen und tröstet sie. Später, nachdem er sich ihnen zu erkennen gegeben hat, werden sie sagen: „War es uns nicht seltsam warm ums Herz, als er unterwegs mit uns sprach und uns die Schrift auslegte?“ (Lukas 24,23).

Kurios: Während die Emmaus-Jünger gedanklich völlig mit dem Tod beschäftigt sind, läuft der lebendige Jesus neben ihnen her.

In Zeiten, in denen sich Glaube unmöglich anfühlt, beruhigt mich diese Bibelstelle. Denn sie zeigt mir: Meine gedanklichen Wege sind etwas Normales und Menschliches. Und Jesus, dem das Normale, Menschliche nicht fremd ist, geht sie dennoch mit. Ich kann gedanklich mit Tod und Hoffnungslosigkeit beschäftigt sein und mich auf ein Ziel zubewegen, das im Unklaren liegt – Jesus folgt meinen Wegen. Unerkannt, und das durchaus sogar mit Absicht. Denn so steht es in dem Bericht: „Gott verhinderte, dass sie ihn erkannten“ (Lukas 24,16).

Jesus gibt sich als Begleiter nicht immer zu erkennen. Vielleicht, weil es noch zu früh ist. Weil ich noch etwas Entscheidendes über mich und meine Gefühle lernen muss und die Erfahrung auf dem Weg wichtig ist. Nicht nur Jesus konnte sterben und wieder auferstehen. Auch ein Glaube kann es. Und im Falle der Emmaus-Jünger musste er es auch. Denn erst, indem sie ihren alten Glauben allein an den Propheten und Wundertäter Jesus sterben ließen, konnten sie Jesus als den erkennen, der er wirklich ist – als den Überwinder des Todes.

Nicht nur Jesus konnte sterben und wieder auferstehen. Auch ein Glaube kann es.

Selbst, wenn der Glaube verloren geht oder stirbt, ist es nicht zu spät. Irgendwo auf dem Weg zum nächsten unbestimmten Ziel kann es gut sein, dass Jesus sich dazugesellt. Ob ich ihn zunächst erkenne oder nicht. Denn auch – und gerade! – solche Wege geht Jesus mit uns mit. Und ich wünsche jedem, der sich auf solchen Wegen befindet, dass er sich irgendwann beiläufig umdreht und plötzlich feststellt: „Oh! Du hier? Ich habe dich gar nicht bemerkt!“

 

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

Katrin Faludi hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert. Hauptberuflich arbeitet sie seit vielen Jahren als Radioredakteurin, nebenberuflich ist sie Buchautorin. Zu ihren Themen gehören Lebenshilfe und seelische Gesundheit, denen sie mit einer Prise Humor sehr gerne die Schwere nimmt. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und mag alles, was mit Sprache(n) zu tun hat.

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Kommentare (2)

Carina H. /

Ja, mit den Gedanken habe ich auch so meine Probleme. Manche machen mich selbst betroffen und Jesus? ER ist ganz sicher traurig, ich meisstens auch. Gut zu wissen das Jesus mich kennt und trotzdem liebt.

Beate /

Danke für diese ermutigende Andacht und auch das coole Video dazu

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