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© Priscilla du Preez / unsplash.com

28.12.2021 / Theologie / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Mein Bibelbuch (34)

Ein persönlicher Blick in die Heilige Schrift: Hanna Willhelm über das Buch Philemon.

 

Biblische Geschichten sind manchmal so spannend, wie nur das Leben sie schreiben kann. Läse man sie in einem Roman, würde man sie für unglaubwürdig halten – vor allem, wenn ein Happy End dabei ist.

Der Brief des Apostel Paulus an seinen Freund Philemon enthält so eine Story. Philemon war ein vermögender Mann aus dem Gebiet der heutigen Türkei. Wie es damals üblich war, gehörten ihm auch Sklaven und Sklavinnen. An diesem Punkt fängt nun die romanhafte und doch tatsächlich geschehene Handlung an:

Philemon wird unter dem Einfluss von Paulus Christ. Sein Anwesen wird darauf hin zu einem Treffpunkt für Christen aus der näheren Umgebung. So schön, so gut. Einer Person scheint das Leben in diesem Haus aber trotzdem nicht zu schmecken: Philemons Sklave Onesimus beschließt zu fliehen. Diese Entscheidung kann ihn das Leben kosten, wenn er geschnappt wird.

Ein Autor würde in einem Roman diese Flucht mit all ihren Gefahren nun ausführlich beschreiben. Paulus stellt in seinem Brief an Philemon jedoch lediglich nüchtern fest: Dein entlaufender Sklave ist bei mir in Rom im Gefängnis gelandet. Hier ist Onesimus ebenfalls Christ geworden und unterstützt mich, wo er kann. Ich würde ihn gerne bei mir behalten, will das aber nicht ohne dein Einverständnis machen.

Wörtlich schreibt Paulus weiter: „Vielleicht kannst du es so sehen: Onesimus lief für eine gewisse Zeit weg, damit du ihn für immer zurückbekommst. Er ist jetzt nicht mehr nur ein Sklave, sondern mehr als das, ein geliebter Bruder, besonders für mich. Nun wird er dir noch viel mehr bedeuten, nicht nur als Sklave, sondern auch als ein Bruder im Herrn. Wenn du mich nun als Freund ansiehst, dann nimm ihn genauso herzlich auf, wie du mich aufnehmen würdest! Wenn er dir in irgendeiner Weise Schaden zugefügt hat oder dir etwas schuldig ist, dann setze es auf meine Rechnung. 

Ich, Paulus, schreibe dies mit eigener Hand: Ich werde es bezahlen. Und ich brauche dich nicht daran zu erinnern, dass du dich selbst mir schuldest. Ja, mein Bruder, ich möchte mich an dir freuen. Bereite mir diese Freude in Christus! Ich vertraue auf deinen Gehorsam und schreibe diesen Brief in der Zuversicht, dass du meine Bitte erfüllen und sogar noch mehr tun wirst!“ (Philemon 1,15-21 NL)

Paulus schreibt hier nicht grundsätzlich gegen die damals gängige Praxis der Sklavenhaltung an. Aber er stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Er stellt den Sklaven Onesimus auf eine Ebene mit seinem Herrn. Paulus macht klar: Selbst wenn die Gesellschaft Menschen in unterschiedliche Klassen einteilt, gilt diese Rangordnung für Christen nicht mehr. In Christus sind Onesimus und Philemon wie Brüder, und nicht wie Herr und Untergebener.

Wir können nur spekulieren, ob Philemon der eindringlichen Bitte des Paulus nachgekommen ist. Wahrscheinlich hat es ein Happy End gegeben. Aber unabhängig davon frage ich mich, wie Philemon und Onesimus mit der neuen Situation klargekommen sind. Hat sich Philemon damit schwergetan, seinen entlaufenen Sklaven freundlich aufzunehmen? Wie hat Onesimus sich in den Haushalt seines Besitzers wieder eingefügt? Wurde er frei gelassen oder blieb er unfrei? Ein Romanschreiber würde Antworten auf diese Fragen finden. Sie wären für seine Fantasie ein toller Freifahrtschein. Im Blick auf die tatsächlich geschilderten Ereignisse aus dem Philemonbrief bleiben sie aber offen.

Vielleicht ist das gut so. Denn auf diese Art und Weise werde ich als Leserin herausgefordert, mir meine eigenen Gedanken zu dieser Geschichte zu machen. Bin ich bereit, meine Ansichten auf den Kopf zu stellen, wenn jemand mit entsprechender Erfahrung mich dazu herausfordert?

Kann ich aus Liebe zu einem anderen Menschen sogar auf mir zustehendes Recht verzichten? Oder – aus dem Blickwinkel von Onesimus betrachtet – kann ich mich aufgrund meines Glaubens in ein bestehendes System einfügen, selbst wenn es mir große Mühe macht? Teile ich meine Mitmenschen nach meinem Dafürhalten in Gut und Böse ein? Werte ich manche Mitchristen ab, weil sie einen anderen sozialen oder ethnischen Hintergrund haben?

Romane wollen unterhalten. Sie wollen die Welt aber auch ein kleines bisschen verändern, indem sie eine andere Perspektive aufzeigen. Der Brief von Paulus an Philemon kann ähnliches bewirken, wenn ich mich als Leser oder Leserin darauf einlasse. 

 

Weitere Informationen zum Thema Bibel finden Sie auch auf unserem Dossier:

 

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

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