Navigation überspringen
© Till Rottmann / unsplash.com

05.09.2022 / Andacht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Franziska Decker

Kein Vollbad zum Nulltarif

So teuer kann Flucht sein.

 

Sie stand vor mir wie ein Berg. Allein der Gedanke daran trieb meinen Puls in die Höhe. Wiederholt war ich versucht, das Angebot einer Kollegin anzunehmen, für mich einzuspringen, wenn ich mich doch noch anders entscheiden würde. Aber das war keine Option. Ich war an der Reihe, diese Aufgabe zu übernehmen. Niemand sonst. Das hatte ich von Gott deutlich verstanden.

Je näher der Termin rückte, desto lieber hätte ich mich davor gedrückt. Obwohl ich niemandem Gericht predigen sollte. So wie es Jonas Aufgabe war. Je mehr ich mich mit ihm beschäftige, desto besser verstehe ich ihn und seine Flucht.

Flucht hat viele Gesichter

Menschen fliehen, um sich vor etwas zu schützen, z. B. vor einem Krieg oder einer drohenden Überschwemmung. Menschen fliehen aber auch vor subjektiv empfundenen Gefahren, die sie vor allem in ihrem Inneren wahrnehmen. Wenn sie beispielsweise ihren Platz oder ihren guten Ruf gefährdet sehen.  

Für Jona steht einiges auf dem Spiel. Wer predigt anderen schon gerne Gericht? Das will Jona nicht, denn er ahnt, dass die Bewohner von Ninive seine Nachricht nicht mit Begeisterung aufnehmen werden. In der Überzeugung, dass Flucht die Lösung ist, macht er sich aus dem Staub. Gute Nerven hat er! Sich unten ins Schiff zu legen und zu schlafen. Wo er sich doch gerade bewusst einem Auftrag Gottes widersetzt hat.

In einer Krise ziehen wir Menschen uns häufig zurück und isolieren uns. Besonders dann, wenn wir schuldig geworden sind. Wir leben keine intensiven Beziehungen mehr, was gerade dann so wichtig wäre. Damit vermeiden wir, auf etwas angesprochen und möglicherweise in Frage gestellt zu werden. Irgendwann werden wir aber von der Realität eingeholt.

Flucht kostet

Durch die vielen Fragen der Schiffscrew wird Jona endlich wach. Auch innerlich. Sie fordern ihn zu einer aktiven Auseinandersetzung mit sich selbst heraus. Er muss Antworten finden, und indem er sie laut ausspricht, wird ihm vermutlich bewusst, wie schräg er gerade drauf ist. Beispielsweise sagt er, dass er den Herrn fürchtet. Gleichzeitig ist er gerade auf der Flucht vor eben diesem Herrn. Wie passt das denn zusammen? Das finde ich sehr entlarvend. Wie leicht kommen auch mir manchmal fromme Antworten über die Lippen. Außenstehende nehmen aber etwas ganz anderes in meinem Leben wahr.

Woher kommst du? In welcher Rolle bist du unterwegs? Fragen nach meiner Herkunft und nach meinem Platz im Leben helfen mir, sensibel zu werden für mich selbst, meine Situation und meine Ängste. Vielleicht habe ich Angst vor Misserfolg. Oder zwischenmenschliche Nähe und Beziehungen machen mir Angst. Ich kann auch weglaufen vor Konflikten am Arbeitsplatz oder vor der Trauer um einen lieben Menschen.

Flucht kann sehr unterschiedlich aussehen und bedeutet nicht automatisch, dass ich meinen äußeren Standort wechsle. Ich kann mich auch in Arbeit flüchten oder in Hilfsbereitschaft. In moralische Überlegenheit oder in eine Opferrolle. Ich kann den Rückzug in eine Krankheit antreten. Vielleicht flüchte ich mich auch ins Schweigen oder in eine Sucht u.v.m.

Mir meiner eigenen Abwehrmechanismen bewusst zu werden, empfinde ich als sehr hilfreich. Impulse dazu kommen häufig von außen.

Wer bemerkt den Wind zuerst? Es ist nicht Jona. Der schläft zu diesem Zeitpunkt noch. Die Schiffscrew nimmt wahr, dass sich ein Unwetter zusammenbraut. Manchmal bemerken zuerst die anderen, nicht die oder der Betroffene selbst, dass irgendetwas nicht stimmt und ein bestimmtes Verhalten voraussichtlich negative Folgen haben wird.

Die Zeche zahlen auch die anderen

Jona lässt sich seine Reise in eine andere Richtung einiges kosten. Aber nicht nur er bezahlt. Seine Entscheidung, nicht nach Ninive zu gehen, hat auch bedrohliche Auswirkungen auf seine Mitreisenden. Sie sitzen buchstäblich im selben Boot mit ihm. Erst verlieren sie ihr Hab und Gut, das sie bereits über Bord geworfen haben. In der Hoffnung, das Schiff wieder in den Griff zu bekommen und mit heiler Haut davon zu kommen. Dann bringt Jona die hart gesottenen Seebären kurzzeitig auch noch in einen Gewissenskonflikt als er sie auffordert, ihn ins Meer zu werfen.

Ich bin von Gott als soziales Wesen geschaffen und lebe in einem Netz von Beziehungen. Deshalb hat mein Lebensstil auch Auswirkungen auf die Menschen in meinem Umfeld. Das kann meine Familie betreffen, meine Gemeinde oder meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie sieht mein Lebenskonzept aus? Woran mache ich meinen Selbstwert fest?

Bin ich in meiner Grundüberzeugung nur so viel wert, wie ich leiste? Dann ignoriere ich vielleicht über Jahre oder Jahrzehnte Ruhezeiten, die mein Körper braucht, um sich wieder zu erholen. Vielleicht zahle ich mit meiner Gesundheit. Mache ich meinen Wert von meinem beruflichen Erfolg oder von meiner Hilfsbereitschaft abhängig? Dann kostet es mich eventuell meine Beziehungen. Meinen Kindern fehlt die gemeinsame Zeit mit ihrer Mutter oder ihrem Vater, die wertvoll für ihre Entwicklung wäre.

Die Ziele, die ich anstrebe und die Entscheidungen, die ich treffe, sind also nicht ausschließlich Privatsache. Sie können auch meine Mitmenschen teuer zu stehen kommen.

Richtungswechsel

Doch Gottes Barmherzigkeit ist größer als mein Widerstand oder mein Versagen. Er kann noch Gutes aus dem entstehen lassen, was ich vermasselt habe. Durch Jonas Widerstand erfahren die Seeleute am eigenen Leib die Größe und die Macht Gottes. Das verändert ihre Beziehung zu ihm positiv und nachhaltig. Und Jona? Gott lässt ihn nicht allein mit den Konsequenzen seines Handelns.

Das macht mir Mut, mich immer wieder zu öffnen für Gottes Reden. Auch dann, wenn die Aufgaben mir zu groß erscheinen. Ich darf ihm vertrauen, dass er mich in diesen Herausforderungen auch begleitet und mich ausstattet mit dem, was ich brauche, um sie zu bewältigen. Das gibt meiner Flucht vor dem, was meiner Seele eine Bedrohung scheint, eine neue Richtung. Zu Gott hin, statt weg von ihm.
 

 Franziska Decker

Franziska Decker

  |  Coach Evangelisation & Follow-Up

Franziska Decker ist Coach „Evangelisation und Follow-Up“ und in Seelsorge und Beratung tätig. Sie fördert Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Sozialkompetenz und in ein Leben hineinzuwachsen, wie Gott es sich vorgestellt hat. Sie ist gastfreundlich, liebt die Nordsee und Wanderungen sowie Stille und aufmerksame Blicke nach innen.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren