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02.05.2024 / Essay / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Prof. Dr. Philipp Bartholomä

Die Superkraft der Kirche

Kann Kirche weg? Weit gefehlt! Wo Kirche sich auf ihren Kern besinnt, steht ihre große Kehrtwende noch bevor.

Über den Autor: Prof. Dr. Philipp Bartholomä war viele Jahre Pastor und lehrt seit 2019 Praktische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) in Gießen. Gemeinsam mit Stefan Schweyer hat er „Gemeinde mit Mission“ geschrieben. Das Buch gibt konkrete Anregungen, wie christliche Gemeinden heute Menschen mit Gott in Berührung bringen können.
 

Reine Buchläden haben keine Zukunft. Dachten viele. Auch in den USA. Bis die größte US-amerikanische und altehrwürdige Buchhandelskette Barnes & Noble eine erstaunliche Kehrtwende hinlegte.

Doch eins nach dem anderen. Vor wenigen Jahren stand das 140 Jahre alte Unternehmen vor dem Aus. 2018 schrieb Barnes & Noble 18 Millionen Dollar Verlust. Die Prognosen waren schlecht. 1.800 Mitarbeiter wurden entlassen. Man hatte alles versucht, um gegen den übermächtigen Online-Giganten Amazon zu bestehen. Doch nichts half.

Die Entwicklung einer eigenen E-Book-Plattform geriet zum finanziellen Desaster. In den Buchläden ließ die Unternehmensführung hippe Coffeeshops installieren, in der Hoffnung, Kaffeeliebhaber im Vorbeigehen noch zum Kauf von Büchern animieren zu können. Doch die Freunde guten Kaffees gingen lieber gleich zu Starbucks. Barnes & Noble überbot sich zudem mit Rabattaktionen und vergrößerte deutlich die Verkaufsfläche für sogenannte Non-Book-Artikel wie Spielzeug, Grußkarten, Kalender und sonstigen Kitsch. All das konnte den freien Fall der Verkaufszahlen nicht stoppen.

Was ist diese Super-Kraft?

2019 ergriff Barnes & Noble den letzten Strohhalm. James Daunt wurde als neuer CEO eingesetzt. Der traf eine Reihe spannender Entscheidungen: Daunt verzichtete von Beginn an auf größere Preisnachlässe, „Zahl eins, nimm zwei“ war mit ihm nicht zu machen. Er war sich sicher: Bücher sind wertvoll und deshalb nicht überteuert.

Der neue CEO legte sich auch mit den großen Verlagen an. Die boten den Buchläden im Einkauf starke Rabatte. Als Gegenleistung sollten qualitativ fragwürdige, aber für die Verlage wichtige Titel in großer Zahl bestellt und aggressiv beworben werden. Daunt spielte dieses Spiel nicht mehr mit – und wies seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, nur Bücher ins Schaufenster zu stellen, von denen sie selbst überzeugt waren.

Mit dem neuen CEO kehrte Barnes & Nobles zum Kerngeschäft zurück: Bücher. Daunt verkleinerte auch die Non-Book-Verkaufsflächen und setzte alles daran, seine Buchläden zu einem, so sagte er es selbst, „intellektuell inspirierenden Umfeld“ zu machen, in dem „der Geist angeregt wird“.[1]

Es dauerte nicht lange, bis es Barnes & Noble besser ging. 2022 eröffnete das Unternehmen 16 neue Buchläden. Für die kommenden Jahre gibt es Pläne für über 30 neue Standorte. Dabei setzte James Daunt auf eine scheinbar antiquierte, aus der Zeit gefallene Technologie: das gedruckte Buch. Und schrieb damit eine Erfolgsgeschichte. Kein Wunder, dass Beobachter fragen: Mit welcher „Super-Kraft“ hat er das geschafft? Ganz einfach: James Daunt liebt Bücher!

Welche Hoffnung gibt es für die Kirche?

Die Geschichte von Barnes & Noble kann als hoffnungsvolles Gleichnis für die christliche Kirche dienen. Denn auch sie scheint unter dem Druck der Säkularisierung zu einem Auslaufmodell geworden zu sein. In einer nach-christentümlichen Gesellschaft hat die Kirche kaum noch Relevanz für das persönliche oder gesellschaftliche Leben.

Die christliche Erzählung hat ihre frühere Prägekraft als dominierende Weltdeutung verloren – gerade in Kernbereichen unseres Lebens wie Familie, Sexualität, Bildung, aber auch Wirtschaft und Politik. Viele Menschen verstehen die christlichen Inhalte, Symbole, Rituale nicht mehr.

Der Himmel ist immer mehr Menschen verloren gegangen, so beschreibt es der Historiker Thomas Großbölting.[2] Wo Gott fehlt, fehlt heute nichts.[3] Kirchen stehen heute für ein altmodisches, nicht mehr zeitgemäßes „Produkt“, nach dem kaum noch eine Nachfrage besteht.

Die Kirche wird ihren Weg in Zukunft unter radikal veränderten Vorzeichen finden müssen. Welche Hoffnung gibt es für die Gemeinde Jesu?

Wie sich Kirche überflüssig macht

Zunächst sollte uns die Geschichte von Barnes & Noble eine Warnung sein: Es ist nicht zielführend, auf mangelnde Nachfrage mit einer Anpassung des „kirchlichen Produkts“ zu reagieren. Wer den eigenen inhaltlichen Kern aufgibt (Stichwort: Non-Book-Artikel!), macht sich auf Dauer überflüssig.

Wenn das Eigentliche – im Fall der Kirche also das, was Jesus am Kreuz für unsere Rettung getan hat und warum das überhaupt nötig war – nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, „säkularisiert“ sich Kirche selbst.

Wenn sich der Auftrag von Kirchen und Gemeinden vermehrt beschränkt auf die Förderung des Gemeinwohls, auf Klimarettung, soziales Engagement und Weltverantwortung, schafft sich Kirche am Ende des Tages ab. Denn inzwischen hat sich in weiten Teilen der Gesellschaft die Überzeugung durchgesetzt, dass man für gelebte Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe weder auf Gott noch auf die Kirche angewiesen ist.

Auch der Versuch, Glaubenswahrheiten an den kulturellen Konsens und an gesellschaftliche Erwartungen anzupassen und sie so „verbilligt“ zu verkaufen (Stichwort: Rabatte!), erweist sich als hinderlich. Die Kirche will damit Menschen den Zugang zum christlichen Glauben erleichtern, indem man biblische Inhalte „genießbarer“ macht und ethische Ansprüche reduziert.

Doch die Hoffnung, durch Anpassung der Botschaft mehr Kirchenferne für den christlichen Glauben zu gewinnen, erweist sich kontinuierlich als Illusion.

Wo haben inhaltliche Entleerung oder theologische Beliebigkeit nachhaltig zu gesunden Gemeinden geführt? Das Gegenteil passiert: Es hat der Kirche immer geschadet, wenn Gottes Wort in Frage gestellt, verdreht oder gar bewusst ignoriert wurde.

Kirche ist kein Auslaufmodell

Wenn wir etwas von James Daunt und Barnes & Noble lernen können, dann das: Die Kirche hat Zukunft, wo Christen den Herrn der Kirche leidenschaftlich lieben und sie eine neue Sehnsucht nach seiner Gegenwart entwickeln. Je mehr wir den lieben, der uns zuerst geliebt hat, desto stärker wird sich diese „Super-Kraft“ entfalten.

Damit ist auch klar: Die Quelle unserer Kraft, Leidenschaft und Hoffnung ist der auferstandene Christus, der seine Gemeinde liebt und mit ihr ans Ziel kommt – allen Irrungen und Wirrungen einer säkularisierten Umgebung zum Trotz.

Durch die Gemeinde lässt Gott die Mächte und Gewalten der unsichtbaren Welt „die ganze Tiefe und Weite von Gottes Weisheit erkennen“ (Epheser 3,10). Dort, wo Gemeinde nach Gottes Plan gebaut wird, wo geistlich tote Sünder aus Gnade errettet und zu Kindern Gottes werden, wo Gott das, was schwach ist vor der Welt erwählt und in seinen Dienst stellt, wo sich Gemeinden aus Menschen unterschiedlicher nationaler und sozialer Herkunft, aus Frauen, Männern, Jungen und Alten zu einer Einheit zusammensetzen – überall dort nimmt Gottes Idee von Kirche Form an.

Wer das erkennt, der versteht, warum die Kirche auch bei uns nie ein Auslaufmodell sein wird.

Gottes Zusage, nüchterner Blick

In diesem Prozess können Kirchen und Gemeinden unter überbordendem Erwartungsdruck ersticken und angesichts überschaubarer Erfolge hoffnungslos werden. Deshalb sollte die Kirche von heute die Spannung aushalten, die Wirklichkeit nüchtern anzuschauen und sich gleichzeitig zuversichtlich an Gottes Verheißungen zu orientieren.

Diese realistische und gleichzeitig hoffnungsvolle Ausrichtung passt zum Gleichnis Jesu von der Saat, die auf vielerlei Boden fällt (Matthäus 13,1-9.18-23). Jesus betont an dieser Stelle, wie wichtig es ist, die Botschaft des Evangeliums reichlich „auszusäen“, also zu verbreiten.

Gleichzeitig macht er klar, dass viele Menschen entweder nicht zuhören wollen oder die Botschaft nicht verstehen können. Einige reagieren nur oberflächlich, und viele sind nicht bereit, Jesus dauerhaft zu folgen. Diese durchaus mühevolle Perspektive entspricht der alltäglichen Erfahrung vieler, die heute aktiv am Aufbau und der Gründung von Gemeinden beteiligt sind. Wer diese Perspektive ignoriert, verkennt die Realität unserer säkularen Gesellschaft.

Doch ein Teil der Saat fällt auf fruchtbaren Boden und bringt in Zukunft eine reiche Ernte hervor. Wie groß diese Ernte in unseren Breiten in den kommenden Jahren sein wird, wissen wir nicht. Doch es lohnt sich, aus Leidenschaft für Gott und aus Freude am Evangelium alles daranzusetzen, auch unter schwierigen Bedingungen vitale Gemeinden zu entwickeln – als intellektuell und emotional inspirierende Orte, wo der Geist Gottes in Menschen den Glauben an Christus weckt.

Dabei gilt uns die Aufforderung und der Zuspruch von Paulus: „Setzt euch unaufhörlich und mit ganzer Kraft für die Sache des Herrn ein! Ihr wisst ja, dass das, was ihr für den Herrn tut, nicht vergeblich ist“ (1.Korinther 15,58). Denn die große Kehrtwende steht der Gemeinde Jesu erst noch bevor!

 

[1] Ted Gioia, What Can We Learn from Barnes & Nobles' surprising Turnaround?, The Honest Broker, 28.12.2022 [https://www.honest-broker.com/p/what-can-we-learn-from-barnes-and; zuletzt eingesehen am 04.03.2024]

[2] Thomas Großbölting, Der verlorene Himmel: Glaube in Deutschland seit 1945, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013.

[3] So Jan Loffeld, Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt: Das Christentum vor der religiösen Indifferenz, Freiburg: Herder, 2024.

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Kommentare (1)

Ina F. /

Seltsame Idee, die institutionelle Kirche mit einem Buchhändler zu vergleichen, also einem Unternehmer.
Die etablierte Kirche ist gerade kein Unternehmen und wird schon gar nicht wie eines geführt, mehr

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