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04.12.2007 / / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Andreas Schnabel

Diagnose Krebs - Orientierung finden in persönlichen Krisen

„Ich gehe weiter, nur ein wenig weiter, geh’ in Gottes Freude, geh’ in Gottes Licht hinein. Ich war für ein paar Jahre dein Begleiter, doch jetzt geh’ ich weiter, um bei meinem Herrn zu sein.“ Diese Liedstrophe von Manfred Siebald stand auf der Todesanzeige meiner Frau, die im Sommer 2000 im Alter von 51 Jahren starb. Das war und ist die größte Krise meines Lebens.

„Ich gehe weiter, nur ein wenig weiter, geh’ in Gottes Freude, geh’ in Gottes Licht hinein. Ich war für ein paar Jahre dein Begleiter, doch jetzt geh’ ich weiter, um bei meinem Herrn zu sein.“ Diese Liedstrophe von Manfred Siebald stand auf der Todesanzeige meiner Frau, die im Sommer 2000 im Alter von 51 Jahren starb. Das war und ist die größte Krise meines Lebens.

Ursel und ich lernten uns auf einer Pfingsttagung im Alter von 20 Jahren kennen und lieben. Wir waren beide überzeugte Christen und heirateten im Frühjahr 1970. Die erste große Krise kam schon am Ende des Jahres, als unsere Zwillinge am Tag ihrer Frühgeburt starben. Dies war vor allem für meine Frau eine sehr große Herausforderung – auch im Glauben. Der Schmerz war für uns beide immens und selbst 25 Jahre später, als wir zusammen einen Fernsehfilm mit dieser Thematik sahen, liefen die Tränen. Obwohl Gott schon geheilt hatte, tat die Narbe noch sehr weh.

Als Ursel im Juli 1999 wegen Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus musste, wurden Verwachsungen diagnostiziert, die einen leichten Eingriff notwendig machen würden. Es hieß, dass wir unseren für eine Woche später geplanten Urlaub ohne weiteres antreten könnten.

Der Anfang vom Ende

Doch es kam anders. Als ich am Tag der Operation im Krankenhaus anrief, teilte man mir mit, dass meine Frau noch nicht wieder auf dem Zimmer sei. Das machte mich unruhig. Ich verließ die Firma früher und fuhr ins Krankenhaus, wo mir gesagt wurde, dass meine Frau auf der Intensivstation ist und ich bestimmt einen Arzt sprechen möchte.

Ich traf dann auch einen jungen Arzt im Praktikum auf dem Flur, der mir im Stehen sagte, dass man meine Frau „aufgemacht“ und überall Krebs gefunden hätte. Deshalb wäre auch ein künstlicher Darmausgang erforderlich geworden. Auf meine entsetzte Frage, ob dies der Anfang vom Ende sei, kam die knappe Antwort: ja. Ich konnte dann die Intensivstation besuchen. Als Ursel kurz aus ihrem Dämmerschlaf wach wurde, sah sie mein bleiches Gesicht und wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war.

Vor dem Eingriff hatte sie unterschreiben müssen, dass sie es den Ärzten gestattete, bei Erfordernis einen künstlichen Darmausgang zu legen, und sie fragte sofort danach. Ich habe das bestätigt, aber in diesen Augenblicken nicht den Mut und die Kraft gehabt, mehr zu sagen. Sie schlief dann ein und ich fuhr zu ihrem Arbeitgeber, um zu sagen, dass meine Frau nicht mehr kommen würde. Als ich in unser Haus kam, spürte ich wie mich die aufrechte Haltung verließ und die Tränen liefen. Genau in diesem Augenblick kam mein Sohn die Treppe herunter und fragte nach seiner Mutter.

Nach meinem Kenntnisstand blieb mir nicht anderes übrig, als zu sagen, dass seine Mutter sterben würde. Das waren die schlimmsten Momente meines Lebens: meinen vier Kindern zu sagen, was los ist. Nach und nach habe ich dann unter vielen Tränen meine Schwiegereltern, Geschwister, die Ältesten der Gemeinde und Freunde angerufen.

Enttäuschte Hoffnung

Das war, als wenn eine Bombe geplatzt wäre. Die nächsten Monate vergingen mit viel Hoffnung, tiefen Nöten durch die Chemo-Behandlung und positiven Erfahrungen mit anderen Christen, die uns durch ihre Gebeten, Besuche und – ganz praktisch – mit der Vorbereitung von Mahlzeiten unterstützten.

An meinem Arbeitsplatz begann auch eine schwierige Zeit. Natürlich hatten alle Chefs und Kollegen Verständnis und waren mitfühlend, aber es wollte auch keiner mit mir darüber sprechen. Das Gleiche habe ich nach dem Tod meiner Frau erlebt. Die Menschen stehen dieser Situation hilflos gegenüber und möchten nicht damit konfrontiert werden. Auch mit meinen Kunden, die sich immer liebevoll erkundigten, war es oft nicht einfach: Gerade hatte ich mit Ursel gesprochen und gehört, dass es nicht so gut geht, um danach mit Kunden zu sprechen und einen möglichst positiven Eindruck zu hinterlassen.

Es hat sehr viel Kraft gekostet, meine Stimme möglichst aufgeschlossen klingen zu lassen, obwohl im Herz nur Niedergeschlagenheit war. Nach sieben Monaten wurde eine Totaloperation durchgeführt und uns gesagt, dass die bisherigen Chemotherapien den Krebs nicht so weit zurückgedrängt hätten, wie die Ärzte gehofft hatten.

Jetzt folgte jede Woche eine Chemotherapie, was Ursel total erschöpfte. Ich habe versucht, so viel Zeit wie irgend möglich mit ihr zu verbringen und kann dies auch nur allen empfehlen, die vielleicht in einer ähnlichen Situation sind. Während dieses Jahres habe ich die komplette Hausarbeit übernommen, geputzt, eingekauft und gekocht, versucht auch gegenüber den Kindern, zwei leben noch in meinem Haushalt, einen möglichst starken Vater darzustellen, obwohl sie auch alle meine absolute Hilflosigkeit und Traurigkeit gesehen haben. Nicht nur der Beruf ging weiter, sondern auch die Aufgaben in der Gemeinde, die ich versucht habe wahrzunehmen. Meine liebe Frau hat extra die Chemobehandlungen so gelegt, dass ich die Gemeindestunden besuchen konnte.

Eine andere Perspektive

In den letzten zwei Monaten konnte keine Chemotherapie mehr durchgeführt werden, da der Körper zu schwach war. Meine Frau verbrachte diese Zeit im Krankenhaus. An drei verschiedenen Tagen konnte ich sie für einige Stunden nach Hause holen. Wir haben gegrillt und sie konnte ihre Enkelkinder genießen. Die Ärzte hatten uns zu diesem Zeitpunkt gesagt, dass es keine Hoffnung mehr gäbe. Bis dahin hatte Ursel immer noch gehofft, geheilt zu werden; doch nun versuchte Jesus ihre Augen auf den Himmel zu lenken.

Wir beide konnten während der ganzen Zeit immer offen über den Tod reden, da wir davon überzeugt waren, dass Jesus Christus eine Wohnung für meine Frau bereitet hatte. Die Zeit des Abschiednehmens begann und Ursel war innerlich so stark, dass ich sie nach Kochrezepten fragen konnte und nach all dem, was ich noch wissen musste, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Die letzte Woche ihres Lebens verbrachte sie in einem Hospiz. Älteste der Gemeinde haben ihr Haupt noch mit Öl gesalbt und über ihr gebetet. Ursel betete dann auch und bedankte sich bei Jesus für ihr schönes Leben und die Gewissheit, dass alle ihre Schuld vergeben wurde. Dies sind Momente, die man nie vergisst. Mit stockenden Stimmen konnten wir auf ihren Wunsch hin noch eine Liedstrophe singen.

Ich kann Gott nur von ganzem Herzen danken, dass er mich durch diese Zeit hindurchgetragen hat. Woher hätte ich sonst die Kraft bekommen, alle Aufgaben bewältigen zu können? Das Schlimmste ist, das Leid bei dem Menschen, den man über alles liebt, zu sehen. Es ist, als würde man innerlich zerrissen. Aber der Herr ist treu und hat zu seinem Wort gestanden, dass er uns nicht verlässt.

Ulrich Olmesdahl
Jahrgang 1947, vier Kinder und zwei Enkel, Leiter Logistik und Verkaufsverwaltung bei einem Automobilzulieferer, Mitältester in der Christlich-Freikirchlichen-Gemeinde Mettmann.
Es war auch eine Zeit, in der ich oft Kollegen und Kunden von meinem Glauben erzählen konnte. Die Bewältigung von solchen Krisen ist ein langer Prozess, der bei mir noch immer andauert, weil die inneren Verletzungen einfach zu tief sind. Zu Jesus Christus, meinem Herrn und Retter ist in dieser Zeit eine noch tiefere Beziehung entstanden. Ich weiß nicht, wie viele Nachtstunden ich im Gebet verbracht habe, um alle meine innere Not und Verzweiflung zu Ihm zu bringen. Aber ich bin gespannt, wie er auch die weiteren Herausforderungen meines Lebens mit mir meistern wird.

Aus Christ & Wirtschaft 1/02
Mit freundlicher Genehmigung
Links ins Web

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