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03.01.2008 / / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Hao Hebbinghaus

Das Wunder an der »deutschen« Grenze

Eine wahre Geschichte aus der Kategorie: »Die Wege Gottes sind unergründlich«:. Hao Hebbinghaus wollte nach Westberlin und weil die Grenzposten der DDR eine Bibel und darin eine Predigt fanden, die sie annehmen ließ, er sei Helfer für Republikflüchtige, musste er seine Predigt von den Männern der NVA halten - Männer, denen es die Überzeugung verbot, je einen Gottesdienst zu besuchen...

Es war 1970. Ich fuhr mit dem Auto zu einem Kongress von und für Evangelisten nach West-Berlin. Damals war der Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik noch nicht geschlossen, der die problemlose Transitfahrt durch die DDR regelte. Darum musste ich mich einer intensiven Zollkontrolle unterziehen.

Nach der Einsicht meiner Reisepapiere wurde ich gefragt: „Was wollen Sie in Berlin-West?“ – „Ich will einen Evangelistenkongress besuchen“, gab ich wahrheitsgemäß zur Antwort. „Welche Briefmarken führen Sie mit sich?“, lautete die zweite Frage. Ich entgegnete: „Was soll ich denn mit Briefmarken?“ Der Zöllner wurde energischer: „Wenn Sie zu einem Philatelistenkongress fahren wollen, werden Sie doch auch Briefmarken mit sich führen.“

Erst da wurde mir klar, dass der Mann missionarisch arbeitende Evangelisten mit Briefmarkensammlern verwechselte. Da er sich unter einem Evangelisten nichts vorstellen konnte, erzahlte ich, dass es sich um Prediger handelt, die nicht nur in Gottesdiensten, sondern auch bei so genannten „Evangelisationen“ predigen. Auf die Frage: „Wer kommt denn alles zu diesem Kongress?“, sagte ich ihm, dass viele bekannte, auch internationale Prediger sich dort träfen.

Die Miene des Zöllners wurde ernster: „Wird dort auch der Amerikaner Billy Graham sein?“, fragte er interessiert. „Ja“, antwortete ich, „dieser Prediger kann doch bei einer solchen Zusammenkunft nicht fehlen“. Was ich dann zu hören bekam, versetzte mich anfangs in ein mitleidiges Lächeln. Der Zöllner warnte mich eindringlich vor diesem „militaristischen Graham“, der ein Kriegshetzer der schlimmsten Sorte sei.

Die Ausführungen des Uniformierten, der inzwischen Verstärkung geholt hatte, endeten mit der Spitze: „Wissen Sie denn nicht, dass Graham immer ein Maschinengewehr in seinem Gepäck hat und es unter Umständen auch einsetzt?“ Nun konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich erklärte den verdutzten Zöllnern, dass Billy Graham zwar als das „Maschinengewehr Gottes“ bezeichnet würde, er aber nicht im Besitz eines solchen Mordinstrumentes sei. Mein Gegenüber schenkte meiner Aussage kein Gehör und überschüttete mich mit einem gut geschulten Redeschwall, der mit einer intensiven Durchsuchung meines Autos endete.

Zur Freude der beiden mit Eifer an die Arbeit gehenden Zöllner wurden sie fündig: Sie entdeckten meine Bibel. Als sie Seite um Seite durchblätterten, entdeckten sie eine Spruchkarte mit einem Bibelvers aus Psalm 18,30:
Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.
Außerdem befand sich dort noch ein Konzept für ein Referat, das ich einmal über den Propheten Jona gehalten hatte. In dieser Ausarbeitung, mit dem Thema „Fluchtwege“ war aufgezeigt, wie ein Mensch versucht von Gott zu fliehen, aber doch wieder von ihm eingeholt wird.

Diese Notizen mit dem Aufruf, „über die Mauer zu springen“, waren für die emsig suchenden Zöllner Grund genug zur Annahme, dass sie einen „dicken Fisch“ gefangen hatten. Jetzt lachte ich nicht mehr, denn ich musste nachweisen, dass ich kein Helfer war, der eine »Republikflucht« vorbereitete. Das anschließende Verhör dauerte drei Stunden. In dieser Zeit musste ich vor etlichen Personen mit und ohne Uniform ausführlich meine Predigt über Jona halten. Immer wieder wurde ich von meinen Zuhörern mit Fragen zum Bibeltext unterbrochen. Es war wohl der erste „Gottesdienst“ für die Grenzorgane der NVA.

Als sie schließlich von meiner Unschuld überzeugt waren, erhielt ich die konfiszierten „Tatgegenstände“ wieder und durfte meine Reise fortsetzen. Eine Bibel neben Spruchkarten mit Bibelstellen habe ich seitdem nicht mehr mit nach West-Berlin oder in die DDR mitgenommen. Eigentlich schade, denn es hätte sicher noch viele Zöllner gegeben, die – wie Jona – von Gott weggelaufen sind und für die es an der Zeit gewesen wäre, wieder umzukehren.

Und wenn ich heute nach Berlin fahre, denke ich immer wieder an meine Grenzpredigt, auch wenn die Baracke, in der ich predigen musste, längst abgerissen ist. Dann wünsche ich mir auch im wiedervereinten Deutschland solche wissbegierigen Zuhörer, für die es gewiss genauso an der Zeit wäre, zu diesem Gott umzukehren.

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