Navigation überspringen
© Riccardon Mion / unsplash.com

14.04.2020 / Interview / Lesezeit: ~ 9 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Achtsam für Gottes Gegenwart

Erfolgsautorin S.Garlough Brown über geistliche Übungen und ihren Erfolgsroman.

 

Die US-Amerikanerin Sharon Garlough Brown hat mit ihrer Debutserie „Unterwegs mit Dir“ eine erstaunliche Erfolgsgeschichte hingelegt. Der Autorin gelingt es in ihren Büchern, tiefgehend und unterhaltsam zu erzählen, und dem Leser dabei ganz nebenbei Hilfestellung in Form von geistlichen Übungen für sein eigenes Glaubensleben zu geben. Im Interview mit dem ERF erzählt die Pastorin über ihren eigenen Erfahrungen mit diesen Übungen und wie sie dazu kam, einen Roman darüber zu schreiben.

 

ERF: In Ihren Büchern spielen geistliche Übungen – Exerzitien – eine entscheidende Rolle. Wie sind Sie auf diese geistliche Praxis gestoßen?

Sharon Garlough Brown: Ich habe geistliche Übungen schon in jungen Jahren kennengelernt, als ich gerade erst Christ geworden war. Aber ich war noch nicht reif genug zu verstehen, um was es dabei geht und praktizierte sie aus Angst. Ich fürchtete, ich würde Gott enttäuschen und müsste hart arbeiten, um seine Liebe zu verdienen.

Geistliche Übungen machten mir Angst. Ich fühlte mich schuldig, wenn ich nicht genug betete. Ich meinte, ich müsse mehr in der Bibel lesen. Erst später lerne ich geistliche Übungen als eine Möglichkeit kennen, auf Gottes außerordentliche Liebe und Gnade einzugehen.
 

ERF: Wie kam es zu dieser Wende?

Sharon Garlough Brown
Sharon Garlough Brown (Foto: InterVarsityPress)

Sharon Garlough Brown: Es war ein Prozess. Gott nahm mich eine Zeitlang aus dem Pastorin-Sein heraus, wie bei einem meiner Charaktere im Buch „Unterwegs mit Dir“. Ich identifizierte mich nämlich komplett über das, was ich für Gott leistete. Als ich weder Job noch Büro hatte, keine Anrufe mehr bekam, begann ich mich zu fragen: Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht für Gott arbeite?

Es war eine Reise, bis ich wirklich verstanden hatte, dass ich Gottes geliebte Tochter bin – unabhängig davon, ob ich für ihn arbeite oder nicht. Diese Identität gibt er mir. Das hat mich befreit und ich merkte, dass ich geistliche Übungen machen kann, um Gottes Liebe zu empfangen und seine Gegenwart zu spüren – auf eine frohe und von Angst befreite Art.

Es war eine Reise, bis ich wirklich verstanden hatte, dass ich Gottes geliebte Tochter bin – unabhängig davon, ob ich für ihn arbeite oder nicht.
Sharon Garlough Brown

Gott nicht in Schubladen stecken

ERF: Die evangelische Theologie ist aufgrund der Kirchengeschichte eher zurückhaltend, was Exerzitien angeht: Ignatius von Loyola, auf den einige der bekanntesten geistlichen Übungen zurückgehen, war kein Freund der neuen Konfession. Hatten Sie als Protestantin ebenfalls Vorbehalte?

Sharon Garlough Brown: Ja. Diese Übungen waren ganz anders als meine normalen Erfahrungen. Eines Tages lud meine Exerzitienleiterin mich ein, mit meiner Vorstellungskraft über einem biblischen Text zu beten. Ich wusste, wie man die Bibel liest, wie man das Wort Gottes lehrt und wie man predigt. Aber in einen Bibeltext einzutauchen und sozusagen zu einer der biblischen Figuren zu werden - das war mir unangenehm. Ich brauchte lange, um das einzuüben und anfangs bereitete es mir Unbehagen.


ERF: Warum haben Sie sich trotzdem auf die Übung eingelassen?

Sharon Garlough Brown: Ich habe Gott gebeten, er möge mir großes Vertrauen in ihn schenken, und irgendwann habe ich die Früchte dieser Übung in meinem Leben gesehen. Ich begriff, dass Gott manche Schulblade, in die ich ihn gesteckt hatte, nicht für sich geschaffen hat. Und ich fing an, darüber nachzudenken, wie Jesus die Vorstellungskraft genutzt hat. Er wusste, welche Kraft in Geschichten steckt.

Gott lädt uns ein, alle Gaben, die er uns geschenkt hat, einzusetzen, wenn wir uns mit der Bibel befassen. Sich mit der eigenen Vorstellungskraft auf einen biblischen Text einzulassen, ist eine Gebetsübung, bei der wir eingeladen sind, Gott zu begegnen. Wir lassen dabei zu, dass er uns einen Spiegel vorhält, so dass wir ein klareres Bild von uns bekommen und heil werden. Außerdem kann der Heilige Geist durch diese Übung bildlich gesprochen Fenster öffnen, durch die wir Gott deutlicher erkennen können.

Gott lädt uns ein, alle Gaben, die er uns geschenkt hat, einzusetzen, wenn wir uns mit der Bibel befassen. Sich mit der eigenen Vorstellungskraft auf einen biblischen Text einzulassen, ist eine Gebetsübung, bei der wir eingeladen sind, Gott zu begegnen.
Sharon Garlough Brown

ERF: Hatten Sie jemals Angst, sich bei diesen Übungen zu sehr auf Ihre eigenen Gefühle zu verlassen, statt auf biblische Wahrheit zu bauen?

Sharon Garlough Brown: Diese Gefahr besteht immer. Deswegen ist es so wichtig, diese Übungen in Gemeinschaft zu praktizieren. Denn die Gemeinschaft kann uns sowohl ermutigen, als auch zur Rechenschaft ziehen. Aber es gibt auch das andere Extrem, wenn wir nämlich die Rolle unserer Emotionen außer Acht lassen. Auch Gott hat Emotionen und wir sind nach seinem Bild geschaffen. Wenn wir auf unsere Gefühle achten, können sie uns dabei helfen zu entdecken, was sich darunter verbirgt.

Ich habe fälschlicherweise sehr lange geglaubt, ich dürfe nicht ärgerlich, ängstlich oder aufgewühlt sein. Aber Gott lädt uns ein, ehrlich zu sein und uns mit der Hilfe des Heiligen Geistes zu fragen, was sich hinter diesen starken Emotionen verbirgt. Gefühle sind keine Fakten, aber sie sind ein starker Hinweis für das, was in mir vorgeht. Deswegen will ich sie nicht außen vor lassen. Ich will aber auch nicht von ihnen gegängelt werden. Ich kann sie Gott – bildlich gesprochen - als Opfer bringen, darüber reden und beten.

Gefühle sind keine Fakten, aber sie sind ein starker Hinweis für das, was in mir vorgeht. Deswegen will ich sie nicht außen vor lassen. Ich will aber auch nicht von ihnen gegängelt werden.
Sharon Garlough Brown

Gottes Gegenwart im Alltag nachspüren

ERF: Können Sie einmal ein konkretes Beispiel für eine geistliche Übung nennen?

Sharon Garlough Brown: Eins meiner Lieblingsgebete nennt man im Deutschen das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Im Englischen nennen wir dieses Gebet Examen. Es stammt aus dem 16. Jahrhundert von Ignatius von Loyola. Es ist als Abendgebet gedacht, in dem wir uns betend auf das besinnen, wo wir uns tagsüber der Gegenwart Gottes bewusst waren und wo wir geschlafen und Gottes Gegenwart nicht beachtet haben.

Wir überdenken betend, wie wir uns Gott genähert haben und wo wir ihn abgelehnt haben. Und wir denken betend darüber nach, wo wir voller Glaube, Hoffnung und Liebe gelebt haben und zum Gehorsam befähigt wurden und auch darüber, wo wir uns entmutigt und bedrückt fühlten.

All das besprechen wir mit Gott und erkennen dabei, wie Gott in unserem ganz normalen Alltag am Werk ist. Es ist eine Übung zur Besinnung, die ihre Wurzel in Psalm 139 hat. Der Kern des Examens ist: Herr, erforsche und prüfe mich und zeige mir, wo ich dir gehorsam war und wo ich mich dir widersetzt habe.

Vor allem der letzte Abschnitt des Gebets kann uns geistlich weiterbringen. Wenn wir Tag für Tag richtig und achtsam leben, dann werden aus diesen Tagen richtig gelebte Wochen, Monate und Jahre, in denen wir mehr Erfahrung darin sammeln, die Gegenwart Gottes wahrzunehmen.
 

ERF: Das klingt wie eine Garantie für ein gesundes und erfolgreiches geistliches Leben. Ist es das?

Sharon Garlough Brown: So würde ich das nicht sagen. Aber es kann uns offener für die Möglichkeit machen, Gott mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ich halte es für bemerkenswert, dass wir Tag für Tag die ungeteilte Aufmerksamkeit des allmächtigen Gottes genießen. Aber Gott hat nicht immer unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit ist eine Art, achtsamer zu werden.
 

ERF: Was war rückblickend die bedeutendste Veränderung in Ihrem Leben, nachdem Sie mit den geistlichen Übungen begonnen haben?

Sharon Garlough Brown: Mehr Freiheit. Das erwarten man nicht, wenn man das Wort geistliche Übung hört. Wir denken eher, es sei eine Aufgabe oder Pflicht. Aber es entsteht Freude und Freiheit daraus. Ich habe irgendwann entdeckt, dass die geistliche Übung gar nicht schwer zu praktizieren ist. Sie fügt sich ganz natürlich in das tägliche Leben. Es gehört dann zu unserem Tagesablauf in unserem Leben mit Gott.

Ich habe irgendwann entdeckt, dass die geistliche Übung gar nicht schwer zu praktizieren ist. Sie fügt sich ganz natürlich in das tägliche Leben.
Sharon Garlough Brown

ERF: Was raten Sie, wenn jemand geistliche Übungen einmal ausprobieren möchten?

Sharon Garlough Brown: Ich rate den Menschen, da zu beginnen, wo sie sind. Introvertierte Menschen neigen eher zu Übungen der Stille und Einsamkeit. Also sollen sie damit anfangen. Extrovertierte werden eher von Übungen in der Gruppe angezogen. Da sollten sie dann anfangen. Gott wird das gebrauchen, um uns in das hineinwachsen zu lassen, was uns zunächst unangenehm ist, so dass Christus uns besser formen kann.
 

ERF: Welche Rolle spielt das Bibelstudium in diesem Prozess?

Sharon Garlough Brown: Eine ganz zentrale. Wir sind offen für die Kraft des Heiligen Geistes und halten uns vor Augen, dass der Heilige Geist niemals dem widerspricht, was im Wort Gottes und in der Person und im Werk Jesu Christi offenbart wird.

Sowohl das persönliche als auch das gemeinsame intensive Befassen mit der Bibel ist unsere Grundlage. Das befähigt uns, befreit an die anderen Übungen heranzugehen, weil wir wissen, wer Gott ist. Wir haben sein Wort in unserem Herzen verankert und dadurch können wir auch die anderen Übungen praktizieren.

Ein neues Genre ensteht

ERF: Nachdem Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit geistlichen Übungen gemacht hatten, haben Sie in Ihrer Gemeinde 2008 eine Exerzitien-Gruppe für Frauen gegründet. Die Zeit in dieser Gruppe war für die Teilnehmerinnen eine intensive, heilsame, aber auch schmerzhafte Erfahrung. Hat Sie das überrascht?

Sharon Garlough Brown: Die Frauen hatten eine gemeinsame Sehnsucht: Sie wünschten sich einen sicheren Ort, an dem sie ehrlich sein konnten – Gott gegenüber und untereinander. Sie sehnten sich danach, frei von Oberflächlichkeit zu sein, wollten keine Masken tragen müssen, um zu verbergen, wer sie wirklich waren. Weil sie alle gemeinsam diese Sehnsucht hatten, kamen wir sehr schnell intensiv ins Gespräch. Hier begann die Lebensveränderung, denn die Frauen verpflichteten sich gegenseitig, mit der Offenheit der anderen vertrauenswürdig umzugehen.

Auf diese Weise trauten sich die Frauen sogar, ihre Sünden und ihr Versagen zu bekennen. Im Jakobusbrief steht, dass wir einander unsere Sünden bekennen sollen, damit wir geheilt werden können. Und das ist richtig. Wenn wir unsere Schuld ans Licht bringen und jemand uns die Gnade, Vergebung und Wahrheit Jesu vorlebt, statt uns zurückzuweisen oder uns zu blamieren, dann ist das sehr heilsam. Der Heilige Geist bewirkte dadurch unglaubliche Heilung und Freiheit damit.

Die Frauen sprachen auch ihre Sorgen voreinander aus, die zu betrauern sie nie zuvor gewagt hatten. Wir glauben oft der Lüge, wir müssten stärker sein als unser Schmerz – ihn kleinreden und verleugnen. Aber Gott sagt: Bringt ihn zu mir, als Opfer. Die Frauen wurden fähig, laut auszusprechen, was ihre Herzen verletzt hatte, was ihnen Wunden zugefügt hatte und was sie nie zuvor jemandem gesagt hatten.

Wir glauben oft der Lüge, wir müssten stärker sein als unser Schmerz – ihn kleinreden und verleugnen. Aber Gott sagt: Bringt ihn zu mir, als Opfer.
Sharon Garlough Brown

ERF: Hatten Sie an irgendeinem Punkt Angst, das Ganze könnte kippen und zu intensiv oder zu problematisch für die Gruppe werden?

Sharon Garlough Brown: Diesbezüglich müssen wir immer sehr achtsam sein. Es können in einer Gruppe Dinge an die Oberfläche kommen, bei denen man die Hilfe eines Pastors, eines Seelsorgers oder eines erfahrenen Arztes braucht. Die Teilnehmer müssen einander behutsam begleiten und einander gegebenenfalls auch Mut machen, außerhalb der Gruppe professionelle Hilfe zu suchen. 
 

ERF: Sie haben sich durch die Erfahrung mit dieser Gruppe von Gott aufgefordert gefühlt, ein Buch zu schreiben, woraus später dann die Reihe „Unterwegs mit Dir“ entstanden ist. Waren Sie von dem Erfolg des Romans überrascht?

Sharon Garlough Brown: Ich war erstaunt, was der Heilige Geist mit diesem Buch getan hat. Ich wusste nur, dass Gott wollte, ich soll den Glaubensschritt tun und diese Geschichte über Frauen schreiben, die sich durch den Heiligen Geist und mit gemeinsamen geistlichen Übungen verändern. Mehr wusste ich nicht.

Jetzt sagt man mir, ich hätte ein neues Genre geschaffen: eine Art Hybrid aus Fiktion und Übungen, um geistlich geformt zu werden. Auch das war nicht meine Absicht. Ich wusste nicht, wie man Fiktion schreibt und wusste daher auch nicht, wie man die Regeln dieses Schreibens bricht. Ich wusste lediglich, dass ich weiterhin Ja sagen musste, wenn ich spürte, dass Gott mich auf dieser Reise leitete. Dem musste ich treu bleiben.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!
 

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren