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© Andres Gomez / unsplash.com

22.11.2021 / Andacht / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Katrin Faludi

5.000 Menschen, 12 Jünger, ein Problem

Wie hätte sich die Geschichte heute zugetragen?

„Jesus, wir haben ein Problem.“

Petrus räuspert sich, doch der Rabbi scheint ihn nicht gehört zu haben. Oder tut er nur wieder so? Petrus beobachtet, wie Jesus einem kleinen Jungen die Hand auflegt. Das ist doch typisch. Wenn der Rabbi mit Heilen beschäftigt ist, so wie hier auf einem einsamen Feld irgendwo in der Nähe von Betsaida, vergisst er alles um sich herum.

Manchmal, findet Petrus, ist es gar nicht so einfach, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Wieder räuspert er sich.

„Rabbi?“

Jesus schäkert mit dem Kind, tätschelt noch einmal lächelnd dessen Kopf und schickt es zurück zu seinen Eltern, ehe er sich zu Petrus umdreht. „Ein Problem, sagtest du?“
Petrus seufzt. Natürlich hat er wieder mal nur so getan. „Sieh dich doch mal um, Jesus. Was siehst du?“

Der Rabbi lässt seinen Blick über das Feld und die umliegenden Hügel schweifen. Ein frischer Hauch liegt in der Luft, der vom nahen See Genezareth herüberweht. Auf dem verdorrten Gras und den Steinen hocken Menschen, unzählige Menschen. Viele sind hierhergekommen, um Jesus predigen zu hören. Andere haben sich der Menge nur aus Neugier angeschlossen.

Wenn in dieser Einöde schon mal was passiert, darf man das auf keinen Fall verpassen, haben sie sich wohl gedacht. Als klar wurde, dass Jesus nach der Predigt auch noch Krankheiten heilen würde, hat sich schnell eine lange Schlange gebildet. Stundenlang schon stehen die Menschen in der Nachmittagssonne an. Viele sehen hungrig aus.

„Es wird langsam spät, Rabbi“, sagt Petrus. „Die Leute brauchen etwas zu essen.“ Wie zur Bekräftigung seiner Worte meldet sich sein Magen.

Jesus zieht überrascht die Brauen hoch. „Ach ja … da war was.“
„Schick die Leute in die umliegenden Dörfer“, schlägt Petrus vor. „Hier mitten in der Pampa gibt es ja nichts zu essen.“

„Die Leute wegschicken?“ Jesus krault sich nachdenklich den Bart, während er die Anstehenden mustert. Es müssen noch Hunderte sein. „Ach nein. Sie haben schon so lange gewartet. Kümmert ihr euch darum.“

Petrus verbeißt sich ein sarkastisches Lachen. „Wie stellst du dir das vor, Rabbi?“
„Ganz einfach“, sagt Jesus freundlich. „Gebt ihr ihnen zu essen.“

Petrus sperrt entgeistert den Mund auf und die Jünger, die ihn begleitet haben, wechseln ebenso verdatterte Blicke.

„Entschuldige, Rabbi“, meldet sich Thomas zu Wort. „Aber wie sollen wir das anstellen? Das ist logistisch gar nicht machbar!“

„Was haben wir denn noch dabei?“, erkundigt sich Jesus und winkt schon die Nächste heran, eine Frau, die offensichtlich unter Rückenschmerzen leidet.

„Fünf Brote und zwei Fische“, meldet Matthäus, der immer den Überblick hat. „Und die Fische beginnen langsam zu stinken.“

„Da kenn ich noch welche…“, posaunt Simon und schielt demonstrativ zu Andreas neben ihm, der dafür eine Kopfnuss andeutet.

„Wunderbar“, sagt Jesus halbherzig. Es ist offensichtlich, er würde sich gerade lieber voll und ganz der Rückenleidenden widmen. „Dann macht doch was draus.“

„Witzbold“, brummelt Johannes verstohlen in das Kopfschütteln der übrigen Jünger hinein. „Sollen wir für die vielen Leute etwa einkaufen? Wie viele sind das überhaupt?“

Matthäus kneift ein Auge zu, während er die Menge bemisst. „Schätze, so um die Fünftausend.“

„Na, toll.“

„Männer“, fügt Matthäus hinzu. „Plus Frauen und Kinder.“

Die Jünger seufzen. Jesus auch. Er streicht noch einmal über den Rücken der Frau, die plötzlich kerzengerade dasteht und wie die Mittagssonne strahlt, weil ihre Schmerzen weg sind. Jesus schenkt ihr ein warmes Lächeln, während sie sich überschwänglich bedankt. Dann dreht er sich wieder zu den Jüngern um. „Na schön. Gebt mir die Brote und die Fische.“

Bartholomäus hält Jesus die geöffnete Tasche hin, in der sich die Brote und Fische befinden. Jesus blickt zum Himmel auf und bittet Gott um den Segen für das Essen. Dann bricht er die Brote in Stücke und reicht sie den Jüngern, damit sie diese unter den Leuten verteilen. Die Jünger staunen nicht schlecht, als sie Stück für Stück von den Broten abbrechen, die trotzdem nicht weniger werden.

Sie sind zwar Einiges von Jesus gewöhnt, aber das hier ist wieder etwas Neues. „Hätten wir das mal früher gewusst!“, seufzt Bartholomäus wehmütig. Er hat sich während der langen Wanderungen immer am meisten über Hunger beklagt.

Als die Jünger mit der Tasche voll Brot zu den Menschen gehen, erleben sie ihre nächste Überraschung.

„Was ist das für Brot?“, erkundigt sich eine Frau misstrauisch und versucht, einen Blick in die Tasche zu erhaschen.

„Ganz normales Brot“, erklärt Bartholomäus etwas ungeduldig. Er hat keine Zeit für lange Diskussionen, schließlich müssen sie noch etliche Menschen sattkriegen.

„Aus Weizen?“

„Äh … denke schon.“

„Ich kann nicht glauben, dass euer Jesus uns so etwas zumutet! Weizen macht den Körper krank, wusstest du das nicht? Ich vertrage den schon lange nicht mehr! Und ihr solltet so etwas auch nicht mehr essen.“

„Wir haben auch noch Fisch.“ Bartholomäus klingt nun deutlich gereizter.

„Wer weiß, was der schon für Umweltgifte aufgenommen hat! So etwas esse ich aus Prinzip nicht.“

„Ist nicht wahr…“

„Jesus heilt bestimmt auch Lebensmittelunverträglichkeiten“, kommt es besänftigend von Thaddäus.

„Wenn Sie sich bitte dort anstellen würden.“

Die Frau wirft ihm einen giftigen Blick zu. Die Jünger ziehen zum nächsten Grüppchen weiter, um dort ihr Brot anzubieten.

„Was wollt ihr denn hier?“, raunzt einer der Männer sie an.

„Wir dachten, ihr hättet vielleicht Hunger“, sagt Johannes freundlich.

Der Mann dreht sich zu seinen Begleitern, etwa fünfzehn an der Zahl, um. „Männer, hat irgendeiner von euch Hunger?“

„Rülps.“

„Da hört ihr’s. Wir sind satt.“

„Aber guckt doch mal. Das Brot hat Jesus höchst persönlich gesegnet und … äh … vermehrt! Das ist quasi göttlich! Wenn ihr das ablehnt…“

„Ach Quatsch, ein Brot ist wie das andere. Eures brauchen wir nicht.“

Johannes klopft Petrus auf die Schulter. „Wer nicht will, der hat schon.“

Sie wenden sich dem nächsten Grüppchen zu, ein paar jungen Frauen, die im Kreis stehen und sich auf seltsame Weise verbiegen. So etwas haben die Jünger noch nie gesehen. Petrus räuspert sich.

„Wir sind mitten im Flow!“, zischt eine der jungen Frauen und wirft ihm einen strengen Blick zu.

„Siehst du denn nicht, dass wir uns gerade optimieren?“

„Ah ja. Wir wollen euch auch nur etwas Brot und Fisch vorbeibringen“, erklärt Petrus.

„Und das haben sie bitter nötig“, murmelt einer der Jünger. Die Kleidung der jungen Frauen schlottert um ihre dürren Körper.

„Brot?“, kreischt eine. Auf das Stichwort fallen alle aus ihren Posen und starren die Jünger entsetzt an.

„Sagt bloß, ihr…“, beginnt Petrus resigniert.

„Ist das denn fair gehandelt?“ Die Vorturnerin verschränkt energisch diese Zweiglein von Armen vor der Brust und sieht ihn mit heiligem Gerechtigkeitssinn im Blick an.

„Öhm…“ Petrus und die anderen Jünger tauschen hilflose Blicke, was der jungen Frau nicht entgeht. Ihre Augen beginnen vor Überlegenheit zu glühen.

„Unter welchen Arbeitsbedingungen ist das Brot hergestellt worden? Wurden Menschen während des Prozesses ausgebeutet? Stammen die Fische aus artgerechter Haltung? Wurde das Getreide vor dem Dreschen betäubt? Warum ist da kein Öko-Siegel auf eurer Tasche?“

„Was ist ein Öko-Siegel?“

Abermals beginnen die jungen Frauen zu kreischen und werfen Petrus vor, er habe ja rein gar nichts verstanden. Sie wissen, dass sie recht haben.

„Okay, okay!“, wiegelt er ab. „Wir gehen ja schon!“

Als die Abenddämmerung hereinbricht, schleppen die Jünger ganze Körbe voll Brotreste zu Jesus. Jeder wuchtet einen und knallt ihn vor dem Rabbi auf dem Boden. Jesus hat gerade den letzten Menschen in der Schlange geheilt und greift dankbar nach einem Stück Brot.

„Ist ja ganz schön was übriggeblieben“, stellt er kauend fest.

„Die Leute wollten dein Brot nicht“, erklärt Petrus niedergeschlagen. Die anderen Jünger nicken.

„Sie behaupten, es mache krank.“

„Sie haben sich den Bauch schon mit anderem Zeug vollgeschlagen.“

„Es ist ihnen nicht gut genug.“

„Wir haben es wirklich versucht, Rabbi, aber…“

„Schon gut“, winkt Jesus und beißt erneut ab. „Es ist nur Brot. Die Leute werden wieder hungrig werden, so oder so. Die aber, die heute zu mir gekommen sind, werden nie wieder hungern. Denn die sind heute wirklich satt geworden.“

„Sag bloß, du hattest auch noch Brot dabei!“, stöhnt Simon. „Dann hätten wir uns den ganzen Aufwand ja…“

„Nein.“ Jesus schüttelt den Kopf und sieht heiter in die Runde. „Ihr müsst verstehen: Ich bin das Brot.“
Und während über den ratlosen Gesichtern der Jünger die Sonne untergeht, lächelt Jesus in sich hinein. Er weiß, eines Tages werden sie es begreifen.
 

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

Katrin Faludi hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert. Hauptberuflich arbeitet sie seit vielen Jahren als Radioredakteurin, nebenberuflich ist sie Buchautorin. Zu ihren Themen gehören Lebenshilfe und seelische Gesundheit, denen sie mit einer Prise Humor sehr gerne die Schwere nimmt. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und mag alles, was mit Sprache(n) zu tun hat.

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Kommentare (2)

Kerstin /

Heute würde dieses Wunder schon daran scheitern, dass es den Jüngern egal wäre, was mit all diesen Menschen passiert. "Die haben einfach nicht genug Gottvertrauen, wenn sie mehr beten würden, dann mehr

Renate /

Danke für diese treffende Andacht!

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