Navigation überspringen
© Good Studio; elenabsl / stock.adobe.com

02.03.2023 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Hans Wagner

Einmalige Chancen

Hans Wagner über den Wandel der Arbeit. Und ein Gottesgeschenk.

Jeder ist einzigartig: Kann diese Floskel weg – oder beschreibt sie das handfeste Potential jedes Einzelnen für unsere tägliche Arbeit?

Es sind die 1980er Jahre, ich arbeite beim Finanzamt Wiesbaden. Eine für viele Jahre typische Tätigkeit damals: Die Erstellung eines Körperschaftsteuerbescheides mittels Kugelschreiber und Blaupapier, unterstützt von einem Taschenrechner.

Dann kam die Frage: Wer hat Interesse an einem Pilotprojekt bei der Einführung eines Computersystems mitzuwirken? Das war damals etwas ganz Neues und bedeutete für mich vor allem: Faszination! Mein Chef sagte zu – und wir waren als Team mit dabei.

Es machte Spaß und wir hingen uns voll rein, ohne genau zu wissen, woran wir uns eigentlich beteiligten: An der Umwandlung unserer Arbeitswelt durch Digitalisierung. Wenig später kam die zu erwartende Frage aus dem Finanzministerium: „Wieviel Arbeitsplätze können durch diese Umstellung eingespart werden?“

Bis heute bin ich hin- und hergerissen von den Auswirkungen der technischen Entwicklung. In der Regel haben wir auf der einen Seite die Erleichterung monotoner oder auch schwerer Arbeit durch meist digital gesteuerte Prozesse und Maschinen. Gleichzeitig steht auf der anderen Seite der Verlust von Arbeitsplätzen.

Computer erledigen Aufgaben schneller und zuverlässiger als der bemühte Mensch. Mein Bäcker möchte, dass ich meine zwei Brötchen lieber mit Karte zahle – das spart Zeit, auch beim Kassensturz am Abend. Ich habe auch schon spontan nachts um drei in einem Hotel übernachtet – dank digitaler Prozesse, ohne einem Menschen zu begegnen, bevor ich mich ins Bett legte. Ist das noch gut so?

Natürlich beantworten wir solche Fragen oft nach unserem persönlichen Interesse! Auch ich nutze sehr gerne die Vorteile eines flexiblen Arbeitsplatzes, wie er mir beim ERF angeboten wird. Für viele Berufstätige wird der Arbeitsort und die Arbeitszeit immer beweglicher, weil wir inzwischen an jedem Internetzugang der Welt unser Notebook anschließen und auf Dokumente zugreifen können. Das ist perfekt für eine neue Generation, die sich danach sehnt, dass Beruf und Freizeit mehr ineinandergreifen.

Statt „Work-Life-Balance“ heißt es nun „Work-Life-Blending“. Es geht nicht mehr um die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Arbeitszeit und Freizeit, sondern um einen fließenden Übergang dieser Bereiche. Das Familienleben muss sich weniger an starre Vorgaben der Firma anpassen – arbeiten ist agil geworden. Und global.

Ein TV-Bericht machte mich neulich darauf aufmerksam, dass es im Winter in den südlichen Ländern neben vielen Senioren neue Kundschaft aus Deutschland gibt: Junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihren Job in einer sommerlichen Umgebung mit Blick aufs Meer erledigen. Klingt auch für mich verlockend.

Der Einzelne gewinnt im Miteinander

Doch die damit verbundenen Herausforderungen sind auch schnell sichtbar. Wenn nicht mehr die Firma sagt, wann ich Feierabend habe – wer macht es dann? Na klar, ich selbst. Aber wann ist es genug? Wann ist es zu viel oder zu wenig? Wie schaffe ich die Anforderungen? Wie finde ich in ausreichendem Umfang die notwendige Ruhe?

Selbstmanagement ist immer mehr gefordert, die selbstbestimmte Einteilung meiner Lebenszeit in die Bereiche Arbeit, Familie, Freizeit, soziales Engagement, Ruhe und mehr. Nicht wenige sind damit auch überfordert. Ich höre sie schon, die Stimmen, die sich nach dem geregelten „Früher“ ausstrecken.

Aber wir müssen ehrlich sein: Früher war gestern, heute ist der Anfang von morgen. Ein Zurück zu den Fleischtöpfen alter Ordnungen oder Strukturen gibt es nicht. Unsere Welt hat sich verändert, dramatisch beschleunigt durch den Krieg vor unserer Haustür.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident von Deutschland, sagte es in einer Grundsatzrede so: „Die Welt seit dem Epochenbruch ist eine andere – und das bedeutet, dass wir von alten Denkmustern und Hoffnungen Abschied nehmen müssen.“[1] Dies gilt auch für unsere Arbeitswelt.

Wie aber können wir selbst Neues schaffen oder mitgestalten und gleichzeitig verhindern, dass viele Menschen darin verloren gehen? Prof. Dr. Maja Göpel ist Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. In ihrem Buch „Wir können auch anders“ schreibt sie über einen notwendigen Transformationsprozess im Umgang mit Umwelt, Wirtschaft und Politik. Dabei begeistert sie mich mit ihrem Ansatz, vieles in seiner Gesamtheit grundsätzlich neu zu denken, ohne wesentliche Lebensaspekte einfach auszublenden.

Eine ihrer Erkenntnisse: „Wenn es [...] wichtiger wird, sich selbst zu erhalten, anstatt sich gemeinsam fortzuentwickeln, entstehen für alle unbefriedigende Ergebnisse!“[2] Oder anders ausgedrückt: Jeder Einzelne gewinnt am Ende nur in einem Miteinander!

Das kannst du!

Dieses Fazit erinnerte mich an die Entstehung der ersten christlichen Gemeinden und ihre Betonung der starken Gemeinschaft. Mit der Auferstehung und Himmelfahrt von Jesus Christus lässt Gott die Menschen nicht allein. Im Heiligen Geist kam er zurück in unsere Welt und ist dort auch noch heute, direkt in unserer unmittelbaren Umgebung.

Der Apostel Paulus hat diese Wirklichkeit in seinen Briefen im Neuen Testament immer wieder aufgegriffen und beschreibt, wie dadurch das Miteinander in Gemeinden unter Berücksichtigung aller Unterschiedlichkeiten gelingen kann:

„Es ist wie bei unserem Körper: Der eine Leib besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht alle Teile haben dieselbe Aufgabe. Genauso bilden wir vielen Menschen, die zu Christus gehören, miteinander einen Leib. Aber einzeln betrachtet sind wir wie unterschiedliche und doch zusammengehörende Körperteile“ (Römer 12,4-5).

Dann beginnt er in aller Ausführlichkeit, Unterschiedlichkeiten aufzulisten, um gleichzeitig ihre Wichtigkeit zu betonen. „Wenn jemand die Gabe hat zu lehren, soll er als Lehrer wirken. Wenn jemand die Gabe hat zu ermutigen, soll er Mut machen.“ … und so weiter. Viele Bücher sind inzwischen verfasst worden über die von Gott geschenkten Gaben und über das geistliche Leben einer sogenannten „gabenorientierten Gemeinde“.

Ich frage mich, ob dieses System auch ein grundsätzliches Modell für unsere Arbeitswelt sein kann. Gott hat seine Vielfalt nicht erst bei Entstehung der Gemeinden an Menschen weitergegeben, sondern von Anbeginn seiner Schöpfung.

Jeder Mensch ist einmalig. Wir sehen das in Krimis, wenn der Täter mal wieder anhand von einzigartigen Fingerabdrücken überführt wird. Es gibt und gab Milliarden von Menschen – und damit Milliarden von Individuen. Ihre jeweilige Einmaligkeit geht weit über Finger, Augen oder Ohren hinaus.

Unsere Psyche, unsere Begabungen, unser Denken und Handeln – alles ist in seiner Summe einmalig, selbst wenn wir uns hier und da von anderen etwas abgucken. Alles in uns wehrt sich gegen Gleichschaltung, zum Beispiel des Denkens. Nein, wir sind als Individuen geschaffen.

Wie wäre es, wenn wir diese von Gott geschenkte ganz persönliche Einmaligkeit auch für unser Berufsleben in den Blick nehmen? Vielleicht haben Sie als Kind auch den Satz gehört: „Das kannst du nicht, das musst du noch lernen!“, und Sie arbeiten sich noch heute an diesem Anspruch ab. Konnten mit Ihren Ergebnissen nie genügen, es den Eltern nicht recht machen.

Wie klingt stattdessen die Formulierung: „Das kannst du – wir helfen dir, damit mehr daraus wird!“? Wie wäre es mit einem neuen Ansatz, der mehr die eigenen Fähigkeiten als die Unfähigkeiten berücksichtigt? Wie wäre es mit einem Neuanfang mit dem, wie Gott Sie ganz individuell geschaffen hat? Sie müssen nicht gleich Ihre Arbeit aufgeben, aber vielleicht hilft schon die Veränderung der inneren Haltung.

Was tue ich für mein Glück?

In einem der meistgelesenen Bücher Deutschlands der letzten Jahre, „Das Café am Rande der Welt“, fragt John Strelecky nach den „Big Five For Live”, so auch ein späterer Buchtitel. Also: Was sind die fünf Dinge, die Sie am Ende Ihres Lebens erlebt haben möchten? Und was tun Sie dafür?

Diese Frage können Sie auch an Ihre Arbeit stellen: Was sind die fünf Dinge, die zu einem guten Arbeitsleben gehören? Geht es um die Art der Arbeit, was ist also Ihre Traumaufgabe? Wieviel Arbeitszeit wollen Sie investieren? Wieviel Ruhe als Ausgleich haben? In welchem Umfeld wollen Sie arbeiten? Nur wenn Sie sich diese Fragen beantwortet haben, gibt es auch die Möglichkeit, sich daran zu orientieren.

Ich habe meine Fragen so formuliert: Gott, was willst du von mir? Welche Fähigkeiten und Begabungen hast du mir dafür zur Verfügung gestellt? Und wie finde ich darin ein von dir erfülltes Leben? Finanzbeamter, Theologe, Pastor, Mediengestalter Print, Radioredakteur – all das habe ich in meinem Leben gearbeitet, gelernt, studiert, immer wieder neu angefangen und vor allem: Gott gegenüber sehr dankbar darin gelebt. Wäre das auch eine Frage für Sie und Ihre Arbeit: Gott, was willst du von mir?

Hans Wagner ist Leiter von ERF Plus. Gerade als Theologe hat er sich für ein Leben mit dem lebendigen Gott der Bibel entschieden, in dem nicht das Verstehen im Mittelpunkt steht, sondern das Vertrauen.


[1] „Alles stärken, was uns verbindet”, eine Rede vom 28. Oktober 2022, nachzulesen unter www.bundespräsident.de

[2] Wir können auch anders; Maja Göpel; S. 239; Ullstein

 Hans Wagner

Hans Wagner

  |  Unit Lead und Produktverantwortlicher ERF Plus

Als Finanzbeamter, Theologe, Mediengestalter-Print und Moderator hat sich der gebürtige Niederrheiner viel Fachwissen angeeignet und ist mit ganzem Herzen unterwegs, um Menschen zu einer Begegnung mit Jesus Christus einzuladen. Er legt Wert auf eine verständliche Sprache und mag musikalisch vor allem die Zeit der 1970er Jahre.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren