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© Bret Kavanaugh / unsplash.com

26.02.2020 / Interview / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Katja Völkl

Die organisierte Sterbehilfe wird legal

Kirchenvertreter reagieren mit „großer Sorge“.

 

Darf mir ein anderer beim Sterben helfen und sich dafür bezahlen lassen? Seit Jahren wird in Deutschland um dieses Thema gerungen, heute hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Ja. Damit wird organisierte Sterbehilfe auch in unserem Land legal. Was bedeutet das konkret und was sagen Christen zu diesem Urteil? Katja Völkl hat darüber mit Regina König gesprochen. 

 

ERF: Regina, was bedeutet konkret das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?

Regina König: Bis jetzt ist es Ärzten und geschäftsmäßig organisierten Sterbehilfevereinen verboten, den Suizid eines Patienten zu unterstützen, z.B. durch Bereitstellung todbringender Medikamente. Hohe Geldstrafen und bis zu drei Jahren Haft sieht dafür das Strafgesetzbuch vor. 2015 wurde dieses Gesetz erlassen. Dagegen haben Schwerkranke, Ärzte  und Sterbehilfevereine geklagt – und heute Recht bekommen. Allerdings kann der Mediziner den Wunsch des Sterbenden, ihn beim Suizid zu unterstützen, ablehnen; es gibt also kein Recht auf Sterbehilfe. Und aktive Sterbehilfe wird auch mit diesem Urteil in Deutschland verboten bleiben.
 

ERF: Wie hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil begründet?

Regina König: In unserer Verfassung ist das Recht auf selbstbestimmtes Sterben festgelegt. Und nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes widerspricht das Verbot der organisierten Sterbehilfe diesem Grundrecht. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, müsse auch die Freiheit beinhalten, dabei die Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen zu können.
 

ERF: Wie sehen die Regelungen bei unseren europäischen Nachbarn aus?

Regina König: In vier Ländern ist Sterbehilfe erlaubt: Die Schweiz lässt den assistierten Suizid zu, in Belgien ist aktive Sterbehilfe sogar für minderjährige möglich, auch Luxemburg erlaubt Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen und die Niederlanden haben als erstes Land der Welt aktive Sterbehilfe legalisiert. Mittlerweile diskutiert die niederländische Gesellschaft über die Option, allen Menschen ab 75 Jahren ein todbringendes Medikament zur Verfügung zu stellen, damit jeder selbstbestimmt entscheiden kann, wann sein Leben vollendet ist.
 

ERF: Gibt es erste Reaktionen der Kirche?

Regina König: „Mit großer Sorge“, so wörtlich, haben sich die Vertreter der beiden großen Kirchen gemeinsam zu Wort gemeldet: Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Dieses Urteil stelle einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar, so wörtlich, und weiter: „Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen.“ Die beiden Kirchen fordern vielmehr einen Ausbau der Hospizarbeit und der palliativen Begleitung Sterbender.
 

ERF: Wie beurteilst du das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Regina König: Das Gericht hat die Freiheit jedes Einzelnen betont und deutlich gemacht, dass auch am Ende des Lebens die individuelle Entscheidung respektiert werden müsse. Für mich als Christin endet jedoch die Freiheit des Einzelnen, wenn es um Leben und Tod geht. Beides liegt nach meiner Überzeugung in Gottes Hand. Das alte Gebot „Du sollst nicht töten“ bietet unserem Leben Schutz und gibt ihm Wert – bis zur letzten Sekunde. Auch im Schmerz, in der Verzweiflung, in der Einsamkeit. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erweitert zwar meine Freiheit, beschneidet allerdings mit der Option, dass mir Dritte beim Suizid helfen können, empfindlich den Schutz des Lebens.
 

ERF: Kannst du auch verstehen, dass manche Schwerkranke dieses Urteil begrüßen?

Regina König: Ja, dafür habe ich Verständnis, wenn Menschen unter ihrer Krankheit leiden, Schmerzen ertragen müssen, verzweifelt sind und den Lebenssinn verlieren. Trotzdem halte ich das Urteil für einen Schritt in die falsche Richtung, denn so wird es mehr und mehr gesellschaftsfähig, dass ein Leben beendet werden kann, das mich, meine Angehörigen und letztendlich auch die Sozialsysteme belastet. Diese Marschrichtung empfinde ich als äußerst risikobehaftet. 


ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Sie denken an Suizid, machen sich um jemanden Sorgen oder haben einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren? Hier finden Sie Erste-Hilfe-Tipps, Notfallkontakte und Hilfsangebote.

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Gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung

 Katja Völkl

Katja Völkl

  |  Moderatorin und Redakteurin

Die gebürtige Münsteranerin ist Live-Moderatorin in „Aufgeweckt“ und für aktuelle Berichterstattung zuständig. Von Hause aus ist sie Lehrerin für Deutsch und Philosophie und Sprecherzieherin. Sie liebt Hunde, geht gerne ins Kino und gestaltet Landschaftsdioramen.

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