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© Braden Collum / unsplash.com

24.07.2019 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Ulrich Eibach

Der Mensch als Konstrukteur seiner selbst?

Eine theologisch-ethische Beurteilung der Anthropotechnik.

 

Prof. Dr. Ulrich Eibach ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Bonn. (Bild: Angelika Eibach)
Prof. Dr. Ulrich Eibach ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Bonn und war Krankenhauspfarrer an der dortigen Universitätsklinik. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu Naturwissenschaft, Theologie und Ethik.
(Bild: Angelika Eibach) 

Die Möglichkeiten, das menschliche Leben durch biotechnische Eingriffe zu verändern, nehmen schnell zu und haben tiefreichende Auswirkungen auf den Menschen und die Zukunft der Menschheit überhaupt. Hier ist insbesondere an die Eingriffe ins Erbgut und ins Gehirn zu denken. Ihnen entspricht im Bereich der Technik die Informationstechnologie, insbesondere die Herstellung von Robotern mit künstlicher Intelligenz.

Für den israelischen Historiker und Bestsellerautor Yuval Harari leitet das Verschmelzen von Bio- und Informationstechnologien das Ende des Glaubens an den Menschen als Krone der Schöpfung ein. Durch die neuen Technologien werde der Mensch zum Verbesserer der unvollkommenen Natur.

Einen Gott und Schöpfer brauche man dann nicht mehr, der Mensch trete an seine Stelle und werde gar zum Schöpfer einer besseren Welt, die frei von Krankheiten ist. Für Gott ist kein Platz mehr, er wird – auch wenn es ihn noch gibt – gleichsam arbeitslos und überflüssig. Zwar glaubt der Mensch noch, dass er die Entwicklung der Natur noch gemäß seinen Wünschen gestalten kann, in Wahrheit kommt es aber immer mehr dazu, dass die Eigengesetzlichkeiten der neuen Technologien den Menschen zu ihrer Marionette degradieren.

Nietzsche und der „Übermensch“

Die Überlegungen von Harari sind nicht grundsätzlich neu. Schon Friedrich Nietzsche vertrat die Ansicht, dass die Naturwissenschaften und die Technik der Welt ihren Untergang bereiten werden. „Dabei geschieht es allerdings, dass die nächste Wirkung die von kleinen Dosen Opium ist: Steigerung der Weltbejahung“.

Der Mensch, der Gott „getötet“ habe, sei dazu freigesetzt und verurteilt, sein eigener Gott und Schöpfer zu sein und sich als sein eigenes Kunstwerk hervorzubringen. Er kenne als sein eigener Schöpfer keine Grenzen mehr an. Der Mensch ist autonom und freigesetzt, seinem Leben in einem sinnlosen Naturgeschehen selbst Sinn und Wert dadurch zu schaffen, dass er auch sich selbst nach seinen Vorstellungen umgestaltet und „züchtet“.

Weil der Mensch Gott getötet habe, müsse er sein eigener Gott und Schöpfer werden, müsse sich nicht zuletzt auch durch Züchtung nach darwinistischen Prinzipien zu einem starken „Übermenschen“ formen, der keines Gottes mehr bedarf. Der Mensch müsse dies mit einer Gewalt und wachsenden Geschwindigkeit tun, die keine Zeit mehr lasse, dass er sich besinnt auf das, was er tut. Ja, der auf sich selbst geworfene Mensch ohne Gott habe geradezu Furcht davor, innezuhalten und sich zu besinnen. Der Grund dafür sei vor allem darin zu suchen, dass man nicht mehr wisse, was die Ziele des Fortschritts in der Beherrschung der Natur und des Lebens sind.

In dieser Krise der Ziele erklärt man den „Fortschritt“ selbst zum Ziel, der nicht durch eine Besinnung in seiner Geschwindigkeit gehemmt werden soll. Wenn die „Konstruktion“ eines „Übermenschen“ das Ziel des Fortschritts ist und dieser auch ohne Besinnung auf dieses Ziel zuläuft, dann müssen wir uns im Grunde überhaupt nicht auf die Ziele des Fortschritts besinnen. Alles, was der Erhöhung des Menschen zum „Übermenschen“ dient, ist daher gut. Grenzen, nicht zuletzt ethische Grenzen, sind nicht dazu da, dass sie beachtet, sondern dass sie überwunden werden.

Genetik und Menschenzüchtung

Aufgabe der Medizin ist es, kranke Menschen möglichst zu heilen oder ihre Leiden zu lindern. Die vorgeburtliche genetische Diagnostik dient vor allem dazu, genetisch bedingte Krankheiten zu entdecken. Die Konsequenz ist überwiegend eine Abtreibung des Kindes im Mutterleib. Je effektiver und verbreiteter die Diagnostik ist, umso mehr wird sie zur Grundlage einer Form der „Eugenik“, der Ausmerzung von unheilbaren Kindern im Mutterleib.

Es ist denkbar, dass diese Diagnostik in Zukunft zur notwendigen „Eintrittskarte“ ins Leben wird, weil die Gesellschaft so von Menschen befreit wird, die nicht ihrer Norm von Leben entsprechen. Dagegen helfen offensichtlich auch die Bemühungen um die Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft wenig (vgl. Art. 3 Grundgesetz).

Insbesondere die Methoden, durch die ins Erbgut eingriffen werden kann, sind in vieler Hinsicht ambivalent. Durch sie können nicht nur Krankheiten geheilt werden. Das Leben kann durch sie auch tiefgreifend verändert werden, nicht nur das individuelle sondern auch – und zwar unwiderruflich – das Leben der Gattung Mensch.

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist die Grundlage für Eingriffe ins Genom, z. B. durch sogenannte „chemische Genscheren“, mit der Gene aus dem Genom ausgeschnitten bzw. eingebaut werden können.

Werden solche Eingriffe an Keimzellen vorgenommen und wird damit ein Embryo erzeugt, so ist das ein unwiderruflicher Eingriff ins Leben, der die nachkommenden Generationen bestimmt. Wahrscheinlich werden in Zukunft auch künstliche Gene erzeugt und ins Erbgut eingebaut. Damit ist das Tor zur Menschenzüchtung weit geöffnet.

Der Mensch ist damit auf dem Weg, sein eigener Schöpfer zu werden. Das Leben wird in seinen Grundlagen verfügbar, es wird nicht mehr vom Schöpfergott her empfangen, sondern von Menschen nach ihrem „Bilde“, ihren Vorstellungen „gemacht“. Ähnliches kann man auch in Bereichen der Technik beobachten, insbesondere in der Entwicklung von Robotern mit künstlicher Intelligenz.

Der Mensch ist auf dem Weg, sein eigener Schöpfer zu werden. Das Leben wird in seinen Grundlagen verfügbar, es wird nicht mehr vom Schöpfergott her empfangen, sondern von Menschen nach ihrem „Bilde“, ihren Vorstellungen „gemacht“. – Prof. Dr. Ulrich Eibach

Wenn Nietzsche damit Recht hat, dass der Mensch, der „Gott getötet“ hat, sich als sein eigenes „Kunstwerk“ hervorbringen muss, und dass er das mit einer Geschwindigkeit tun muss, die keine Besinnung mehr zulässt, dann ist es auch Aufgabe von Christen und Kirchen, zu dieser Besinnung zu rufen. Dazu gehört es vor allem, die Frage nach den Zielen zu stellen, die mit den neuen Technologien angestrebt werden. Wissen wir, was wir tun?

Ein bedeutender Mediziner sagte in einem Vortrag anlässlich der Einweihung eines Forschungszentrums, dass es Aufgabe der Medizin sei, dem Menschen eine von Krankheiten freie, höchstmögliche Lebenszeit zu ermöglichen, nicht zuletzt durch die neuesten genetischen Erkenntnisse und Möglichkeiten. Das läuft darauf hinaus, dass der Mensch den Tod besiegen will.

Auf die Frage, woran der Mensch denn dann sterben solle, antwortete er, dass dem Leben eine genetisch bedingte höchstmögliche Lebenszeit einprogrammiert sei. Was aber ist, wenn wir dieses genetische Programm entschlüsseln und das Leben so über die natürliche Lebenszeit hinaus verlängert werden kann? Wer soll darüber entscheiden, wer in Genuss solcher lebensverlängernder Maßnahmen kommen darf?

Soll alles Machbare gemacht werden?

Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Heilung von eindeutigen Krankheiten mittels der neuen gentechnischen Methoden und der Verbesserung des menschlichen Erbguts. Doch die Trennschärfe kann unklar sein: Eingriffe ins Erbgut mit dem Ziel, den frühzeitigen Tod zu verhindern, sind vielleicht überwiegend noch ethisch zu rechtfertigen; eine Entschlüsselung der genetischen Ursachen für die Endlichkeit des Menschenlebens und ihre Veränderung wäre es auf jeden Fall nicht.

Eine Verlängerung der bisher höchstmöglichen Lebenszeit würde zu unübersehbaren sozialen und ökonomischen Folgen führen, insbesondere für künftige Generationen. Sie wäre – wenigstens aus christlicher Sicht – eindeutig abzulehnen, weil daran deutlich wird, dass der Mensch Schöpfer seiner selbst sein und keine Begrenzungen seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten anerkennen will.

Die ethische Herausforderung besteht also nicht darin, dass wir besser und schneller durch biochemische und technische Mittel an die Erfordernisse der ökonomisch-technischen Zivilisation angepasste Menschen brauchen, sondern umgekehrt darin, dass diese technische Zivilisation an die biologische und die seelisch-geistige Natur des Menschen angepasst bleibt.

Wer soll über die Anwendung entscheiden?

Die Würde des Menschen (Art. 1 Grundgesetz) wird von immer mehr Philosophen und Juristen mit Freiheit und Selbstbestimmung gleichgesetzt. Sie vertreten zudem den Standpunkt, dass die neuen gentechnischen Methoden „wertneutral“ sind und dass es daher bei ihrer ethischen Bewertung allein darauf ankomme, zu welchen Zwecken sie angewendet werden.

Ferner vertreten sie die Auffassung, dass man die neuen technischen Möglichkeiten, sein Leben und Erbgut zu verändern, keinem Menschen vorenthalten darf, dass aber auch niemand genötigt werden darf, sie in Anspruch zu nehmen. Dennoch würde das meines Erachtens dazu führen, dass letztlich alles Machbare auch gemacht wird, denn die meisten Menschen wollen den Anschluss an die technischen Entwicklungen nicht verlieren. Ein genereller Verzicht auf das „Machen alles Machbaren“ - z. B. auf verändernde Eingriffe ins Erbgut von Keimzellen und frühen Embryonen – ist nicht vorgesehen.

Hat Nietzsche also mit der Vorhersage Recht, dass die mit immer größerer Geschwindigkeit vorangetriebene technische Beherrschung des Lebens es geradezu erzwingt, dass der Mensch seine eigene Natur primär als Material für ein besseres „Kunstprodukt“ gebraucht, dessen Schöpfer er selbst ist? Für verändernde Eingriffe ins Erbgut wird man zunächst geltend machen, dass durch sie genetisch bedingte Krankheiten geheilt werden können.

Die Folge der Diagnostik genetisch bedingter oder mitbedingter Krankheiten ist einmal, dass die Diagnose einer erblichen und nicht heilbaren Krankheit meist zum Abbruch der Schwangerschaft führt (z. B. Down Syndrom). Die neuen Methoden der „Genchirurgie“ werden in absehbarer Zeit wahrscheinlich schon vor dieser Diagnostik einsetzen. Dafür stellt sich aber ein neues Problem.

Der Übergang von Krankheit zur Gesundheit wird fließend und mit ihm der von Heilung und Verbesserung (Optimierung) des Lebens gemäß menschlichen Wünschen. Der Mensch wird zunehmend ein „Produkt“ seiner selbst, zunächst ein Produkt dessen, was man uns Menschen als wünschenswert und machbar anbietet. Dass der einzelne Mensch diesen Angeboten langfristig widersprechen und auf sie verzichten kann und wird, kann bezweifelt werden, auch wenn die Biotechniken vielleicht etwas mehr Zeit brauchen als die Informationstechnologien.

Nietzsches Hinweis, dass der schnelle Fortschritt im technisch Machbaren keine Besinnung mehr auf dessen Ziele zulässt, ist gründlich zu bedenken, gerade auch dann, wenn der Mensch für die „Menschenzüchtung“  Ziele wie eine von Krankheiten und dem Tod freie Welt angibt (Transhumanismus).

Auch wenn wir durch dieses Bedenken die Entwicklung hin zur „Menschenzüchtung“ nicht verhindern, können wir so vielleicht doch erreichen, dass wir wissen, was wir tun und in wessen Dienst wir das tun – im Dienst des Menschen oder, mit Johann Wolfgang Goethes Romanfigur Dr. Faustus, im Dienste Mephistos und seiner „Ökonomie“. Es ist eine Illusion zu meinen, dass sich in den vielen Fortschritten in der Beherrschung des Lebens (z.  B. Heilung von Krankheiten) zugleich auch ein Fortschritt zu einer humaneren oder gar heilen Welt vollzieht.

Christen sollten deshalb stets daran erinnern, dass der Mensch in dieser Welt immer nur ein unvollkommenes Wesen bleibt, ein „Gottebenbild im Fragment“. Sein Leben wird nur von Gott durch Leiden und den Tod hindurch zur Gottebenbildlichkeit vollendet. Ohne die Fähigkeit, Leiden zu ertragen, kann das Leben in den Grenzen des Geschöpfseins nicht gelingen. Die Leidensfähigkeit ist ein notwendiger Gegenpol zur Glücksfähigkeit.

Ohne die Fähigkeit, Leiden zu ertragen, kann das Leben in den Grenzen des Geschöpfseins nicht gelingen. Die Leidensfähigkeit ist ein notwendiger Gegenpol zur Glücksfähigkeit. – Prof. Dr. Ulrich Eibach

Das Interview wurde der SMDTransparent 02/2019 entnommen. Wir danken der SMD für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung auf erf.de.

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