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27.08.2013 / Bericht / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Blick in den Abgrund

Was ist das Böse? Woher kommt es und wieso töten Menschen einander?

Das Böse fasziniert uns Menschen. Vielleicht schalten aus diesem Grund etwa neun Millionen Deutsche Woche für Woche am Sonntagabend den „Tatort“ ein. Krimis sind in der Film- und Literaturwelt eins der Lieblingsgenres der Deutschen. Sie bieten Unterhaltung und Spannung gemischt mit einem kleinen Blick in die menschlichen Abgründe. Doch was genau macht einen Menschen zum Mörder? Wie wird ein Mensch böse?

Dieser Frage widmen sich die beiden Dokumentarfilme „Das Böse – Warum Menschen Menschen töten“ und „Die Natur des Bösen“, die beide für das „Incredible Filmfest“ nominiert sind, das heute in Potsdam startet. Während „Das Böse“ eher vom wissenschaftlichen Standpunkt aus der Frage nachgeht, warum Menschen böse werden, beschäftigt sich „Die Natur des Bösen“ mit der grundlegenden Frage nach dem Bösen. Für Regisseurin Katharina Pethke („Die Natur des Bösen“) liegt Gut und Böse sehr nah beieinander. Sie ist der Ansicht, dass auch gute Absichten ins Böse umschlagen können. Gerade diese Ambivalenz zwischen Gut und Böse hat sie an der Thematik interessiert.

Mehr zum "Incredible Filmfest":

Das "Incredible Filmfest" findet in diesem Jahr erstmalig in Potsdam statt. Das Festival wird heute Abend mit einer Gala eröffnet. Bis einschließlich 31. August werden auf dem Filmfest die nominierten Filme gezeigt und Podiumsdiskussionen veranstaltet. Zwei nennenswerte Programmpunkte sind die Podiumsdiskussion zum Thema des Bösen (28. August, 16 Uhr) und die Preisverleihung am Abschlussabend (31. August, 20 Uhr).

Man muss immer an das Gute im Menschen glauben

Diese Problematik wird in ihrem Film am Beispiel des Dorfes „Insel“ deutlich. In dem Dorf wohnen zwei frühere Sexualstraftäter und die Bürger protestieren heftig dagegen. Dies geht sogar so weit, dass Anwohner mit einer anderen Ansicht aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen werden. Pethke dazu: „Die „Insel“-Situation hat mich am meisten gepackt, weil ich bildhaft gesprochen hin und hergerissen war und selbst nicht wusste, wie ich mich in der ganzen Sache positioniere. Da habe ich gemerkt, wie kompliziert das mit dem Guten und dem Bösen ist.“ Persönlich folgt sie der Ansicht des Theologen Karl-Josef Kuschel, der in ihrem Film auch zu Wort kommt: „Der Mensch ist dem Bösen ausgeliefert, er ist verführbar zum Bösen, aber er ist nicht böse.“ Pethke ist daher überzeugt: „Man muss immer an das Gute im Menschen glauben, denn sonst glaubt man nicht mehr an das Menschliche.“

Sie gibt in ihrem Film bewusst der theologischen Auslegung des Bösen Raum, obwohl sie die Frage nach Gut und Böse nicht vornehmlich als religiöse, sondern eher als grundmenschliche Frage versteht. Aber die Religion biete hier Antworten, die unsere Wahrnehmung des Bösen beeinflussen. Pethke liegt allerdings nicht daran, mit ihrem Film Antworten zu präsentieren, sie selbst hat für sich noch keine klare Antwort darauf gefunden, was das Böse ist. Am treffendsten hat es für sie der Psychologe Arno Gruen formuliert, der das Böse als „Überwindung der Menschlichkeit“ ansieht.

Gottes Liebe dem Bösen entgegenstellen

Eine ähnliche, aber doch abweichende Einschätzung gibt der Juror Michael vom Ende, der auf dem Filmfest als Gast zu einer Podiumsdiskussion zum Thema geladen ist. Er äußert sich folgendermaßen: „Die Anlage, alles Schlimme zu tun, steckt in jedem Menschen.“ Als Christ folgt er in seiner Einschätzung der biblischen Ansicht: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ (1. Mose 8,21) Dabei besteht für ihn „böses Handeln“ nicht nur in den offensichtlich bösen Taten, sondern fängt schon viel früher an. „Böse sein beginnt für mich da, wo ich gegen mich, gegen den Mitmenschen oder gegen Gott etwas denke oder tue“, so Michael vom Ende. Ihn erschreckt nicht nur, wozu Menschen fähig sind, sondern „ich bin auch erschrocken, zu welcher Kaltschnäuzigkeit oder Hartherzigkeit ich selbst manchmal fähig bin.“

Als Theologe hängt für ihn das Böse auch mit dem Teufel zusammen. Er ist einerseits überzeugt, dass Gott Herr über alles ist, aber dennoch der Kampf zwischen Gut und Böse in dieser Welt noch nicht ganz ausgefochten sei. „Ich kann sagen: ‚Ja, Gott hat den Bösen besiegt.‘ Aber trotzdem spiegelt sich dieser Kampf immer noch in unserem Herzen, unserem Leben und in dieser Welt wider“, fasst vom Ende seine Überzeugung in Worte.

Das Böse ganz auszuräumen, sei in dieser Welt nicht möglich, aber es gibt laut Michael vom Ende dennoch Hoffnung, wenn man „motiviert von der Liebe Gottes dem Bösen Liebe entgegenstellt“. In einem Gefängnis in Taiwan habe er Mörder und Schwerverbrecher kennengelernt, deren Leben sich aufgrund der Begegnung mit Gott vollständig gewandelt hat. „Ich habe selbst gesehen und erlebt, dass Mörder und Schwerstverbrecher weinen über das, was sie getan haben, und einen neuen Lebensstil einüben“, so vom Ende. Er ist überzeugt, dass die Liebe Gottes selbst Gewaltverbrecher zur Umkehr bringen kann, auch wenn er einräumt, dass es immer Rückfälle geben könne.

Trauma aus der Kindheit oder Killermodus?

Doch was sagt die Wissenschaft zu der Thematik des Bösen? Dieser Frage widmet sich die Dokumentation „Das Böse – Warum Menschen Menschen töten“ von Karin Jurschick. Sie zeigt mehrere wissenschaftliche Methoden auf, um dem Bösen auf die Spur zu kommen. Eine davon besteht darin, anhand eines MRT die Gehirnströme verschiedener Probanden zu messen, während man ihnen gewalttätige Simulationsvideos zeigt. So lässt sich herausfinden, welche Gehirnareale auf Gewalt reagieren. Die aktuelle Forschung vertritt hier die Ansicht, dass sich durch negative persönliche Erfahrungen das Gehirn verändern kann. „Es gilt auch für Psychopathen, dass sie in ihrer frühen Kindheit oder Jugend ganz besonders schlimme Dinge erlebt haben und sind darauf nicht hypersensibel für böse oder schlimme Dinge geworden, sondern sie sind unsensibel geworden, wahrscheinlich weil das, was sie erfahren haben, so schlimm war“, so erklärt der Hirnforscher Gerhard Roth von der Universität seine Theorie.

Das hieße, Gewalttätigkeit ist nicht angeboren, sondern traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend führen dazu, dass Menschen zu Gewaltverbrechern werden. Roth geht hier davon aus, dass genetische Anlagen nur zu einem Drittel gewalttätiges Verhalten beeinflussen, Umwelteinflüsse aber zu zwei Dritteln. Für ihn liegen die Ursachen aggressiven Verhaltens in der frühen Kindheit begründet. Doch greift diese Erklärung auch, um das Verhalten von Menschen in Kriegen zu erklären? Thomas Elbert, Neuropsychologe an der Uni Konstanz, äußert im Film die Ansicht, dass Gewaltausübung auch biologisch im Menschen angelegt ist. Er spricht hier von einem Jagdinstinkt oder Killermodus des Menschen, der nur durch dessen Sozialisation geregelt wird.

Das Problem der Unvorhersagbarkeit

Weitere Hinweise liefert der Psychologe und Hirnforscher Dr. Roland Weierstall von der Universität Konstanz. Weierstall ist überzeugt, „dass wir eine biologische Veranlagung haben, auch Gewaltreize als angenehm, belohnend oder erregend zu verarbeiten.“ Er geht zwar nicht davon aus, dass Menschen gewalttätig zur Welt kommen, doch die Veranlagung, in bestimmten Situationen Gewalt auszuüben, liegt seiner Ansicht nach in uns allen. Die Frage, ob ein Mensch sich gesellschaftskonform verhalte, hänge davon ab, welche Verhaltensmuster er im Sozialisierungsprozess gelernt habe. Weierstall äußert hier die These, dass einige Menschen auf manche Situationen nur mit Gewalt reagieren könnten, weil sie nicht anders gelernt haben, mit der betreffenden Situation umzugehen. Dafür seien meist verschiedene Faktoren verantwortlich, die in der persönlichen Geschichte, den biologischen Anlagen und dem aktuellen Anlass begründet liegen.

Hier letztlich herauszufinden, was zusammenkommen muss, um einen Menschen zum Mörder zu machen, hält Weierstall für unmöglich. Auch das Erstellen von Gutachten sei immer nur ein Abwägen dieser verschiedenen Faktoren. Obwohl er von dem Nutzen der Hirnforschung überzeugt ist, geht Weierstall nicht davon aus, dass es je möglich sein wird, das menschliche Gehirn ganz zu durchleuchten: „Ich glaube nicht, dass der Mensch je das Organ Gehirn vollständig verstehen wird.“

Daher hält er es auch nicht für möglich, dass Menschen ihre eigene Gewaltbereitschaft einschätzen können. „Persönliche Werte sind natürlich gut und schön. Es ist eine lobenswerte Einstellung, wenn man sagt: Ich werde nie im Leben jemandem Schaden zufügen. Aber auch da gilt: Es ist nicht vorhersagbar und auch man selbst ist nicht vorhersagbar. Man selbst weiß nicht, wie man in Extremsituationen unter Umständen reagieren wird.“ Gewaltprävention sollte seiner Ansicht nach im Umfeld der Familie ansetzen, denn „da entsteht viel Gewalt und da wird auch wieder viel Nährboden für zukünftige Gewalt gelegt.“

Nächstenliebe als Gewaltprävention

Was ist also nun das Böse? Haben wir es nur nicht besser gelernt oder werden wir schon böse geboren? Weierstalls Vermutung des Bösen als Maßlosigkeit erscheint gar nicht so unpassend. Denn schon im Paradies wurde es Adam und Eva zum Verhängnis, dass sie genau von dem einen Baum essen wollten, von dem zu essen ihnen verboten war. Auch der erste Mord der Menschengeschichte geschah, weil Kain auf Abel neidisch war. Liegt darin also die Wurzel allen Übels?

Vermutlich wäre auch dies zu kurz gegriffen. Doch eines ist sicher und darüber sind sich Bibel und Wissenschaft weitgehend einig: Die Anlage zum Bösen steckt in uns allen. Und um zu verhindern, dass wir Menschen uns gegenseitig umbringen, braucht es Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben. Solche Regeln bietet schon die Bibel in Form der zehn Gebote. Außerdem scheint es auch einen großen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft von Menschen zu haben, wie mit ihnen umgegangen wird. Die alte Regel „Was du nicht willst, das man dir tut, da füg auch keinem anderen zu“ ist daher vielleicht nicht das schlechteste Mittel zur Gewaltprävention.

Die Bibel fordert hier sogar nicht nur dazu auf, dem anderen nichts Böses zu tun, sondern ihn so zu lieben wie sich selbst (3. Mose 19,18). Das ist nicht immer leicht und nahezu unmöglich, wenn einem tatsächlich Gewalt angetan wurde. Doch es ist vielleicht eine der wenigen Möglichkeiten, aktive Gewaltprävention zu üben und das Böse zu bekämpfen.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Rebecca Schneebeli ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet nebenberuflich als freie Lektorin und Autorin. Die Arbeit mit Büchern ist auch im ERF ihr Steckenpferd. Ihr Interesse gilt hier vor allem dem Bereich Lebenshilfe, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungspflege. Mit Artikeln zu relevanten Lebensthemen möchte sie Menschen ermutigen.

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Kommentare (10)

Gerald /

Aufgrund der Tatsache, dass es im Unterhaltungsprogramm des Deutschen Fernsehens nahezu nur noch Krimis gibt und dies in Deutschland einmalig zu sein scheint, muss man wohl von den Einschaltquoten mehr

Chris /

Matthäus 10, 34 „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!

gabi /

ich bin zu der Ansicht gekommen, dass das wesen des menschen von grundauf böse ist und nur durch erziehung, konvetion und Religion kann diese bestie in schach gehalten werden. es gibt aber, wie mehr

Jaques L. /

Noch ein Beispiel: Pazifismus. Die Grünen sind das beste Beispiel dafür, dass Pazifismus ohne Gott immer in Kriegstreiberei enden MUSS. Aktuell heisst es im Grünen Kampfblatt, der TAZ, in Bezug auf mehr

Christian H. /

Ein angenehm sachlicher Artikel zu diesem Thema!
Erschreckend dagegen die agiatorische Tendenz einiger untenstehender Kommentare - "Gutmensch" und/oder "Humanismus" als abwertende Vokabeln, dazu mehr

Gerd H. /

Relativ neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Psychopathen und Hirnforschung finden sich hier: http://www.tagesspiegel.de/wissen/hirnforschung-psychopathen-fuehlen-mit-bei-bedarf/8545950.html

Jaques L. /

Ich kann den Beiträgen von Gert und Marion nur beipflichten. Mehr noch: Der Teufel ist selbst Gutmensch! Ein Beispiel: Der Präsident des Deutschen Museums in Berlin, Hans Ottomeyer, bescheinigte mehr

Marion /

Die Bibel sagt ganz eindeutig, das der Mensch böse ist und das schon von Jugend an. In einem Psalm erwähnt das auch David.
Nur in Jesus Christus liegt für uns Menschen die Hilfe frei zu werden von der Macht der Sünde, er ist die Lösung dieser eigentlichen Not.
Alles andere ist Kuschel-Theologie.

standby /

Gott ist gut und der Mensch ist getrennt von Gott vom Bösen verführt. Das Böse beginnt mit einer Lüge, wie auch jeder Krieg oder Gedanken über den Mitmenschen. Die Lüge ist das Übel in der Welt. mehr

Gert K. /

Die Bibel erteilt eindeutig dem Humanismus und dem Gutmenschentum eine Abfuhr. Ich als Christ kann anderen Gedankengänge in kleinster Weise folgen!

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