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Mentoring: Voneinander lernen, miteinander wachsen

Glaubens-FAQ / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Ilona Mahel

Mentoring: Voneinander lernen, miteinander wachsen

Wer im Glauben wachsen will, ist mit einer Mentoring-Beziehung sehr gut beraten. Die richtige Person zu finden, ist nicht einfach. Die Mühe lohnt sich trotzdem.

Als Odysseus gen Troja aufbrach, stellte er seinem Sohn Telemachos einen seiner engsten Freunde, einen Mann namens Mentor, zur Seite. Dieser sollte Telemachos zur Mündigkeit führen und ihm Berater, Begleiter und Erzieher sein.

Der Ursprung des Begriffs Mentoring liegt also in der griechischen Mythologie. Auch heute noch sind Mentoren gefragt, wenn es um persönliche Begleitung und Beratung geht: Eine Mentoring-Beziehung einzugehen bietet eine große Chance für Wachstum im geistlichen Leben und zur Prägung der Persönlichkeit.

Das Grundprinzip dabei ist: Lehren und gelehrt werden, das heißt, beide – der Mentor und der Mentee – können von der Beziehung profitieren. Tobias Faix formuliert dafür folgende Definition: 

Der Mentor versucht, dem Mentee in seiner persönlichen und geistlichen Entwicklung zu helfen und seine Fähigkeiten und Gaben zu fördern und freizusetzen. Der Mentor ist fähig, seinen Mentee zu unterstützen und positiv zu beeinflussen, so dass dieser sein Potential entfalten kann. (Mentoring. Chancen für geistliches Leben und Persönlichkeitsprägung, S. 49)

Für manche mag das Wort „Mentoring“ die Befürchtung hervorrufen, dass es sich nur um einen weiteren Modetrend handelt, der letztlich mehr oder weniger wirkungslos verpufft, oder lediglich etwas für Leute ist, die in höheren Positionen arbeiten. Letztlich aber kennt wohl fast jeder Menschen, die uns beeinflusst, weitergebracht oder gefördert haben.

So können zum Beispiel gute Freunde Mentoren sein. Oder sogar Personen, die zu einer ganz anderen Zeit gelebt haben als wir, deren Biografie uns aber weiterbringt und viel Gutes zu sagen hat.

Warum ist Mentoring überhaupt gefragt?

Im Lauf der Jahrhunderte hat sich unser Lebensumfeld von einer Agrargesellschaft über das Industriezeitalter bis zur heutigen Wissensgesellschaft entwickelt. Das Tempo der Veränderungen sowie die Mobilität der Gesellschaft sind der Grund dafür, dass Flexibilität, Kreativität, Erfahrung und Führungskompetenz wichtiger denn je sind.

Solche Werte lassen sich aber nur schlecht per Lehrbuch vermitteln. Die Kunst besteht darin, aus Wissen Kompetenz werden zu lassen. Dies kann im Rahmen einer Mentoring-Beziehung geschehen. Wer sich auf eine solche einlässt, lernt auf eine dynamische und eben persönliche Art, sein Potential auszuschöpfen.

Geistliches Mentoring

Was auf die Arbeitswelt zutrifft, gilt auch für den Bereich des geistlichen Wachstums. Selbiges erfordert eine lebendige Beziehung zu Menschen, die den Weg des Glaubens vor einem gegangen sind, denn der christliche Glaube ist ein nachahmender Glaube.

Dass Jesus seine Jünger aufgefordert hat ihm nachzufolgen, ist charakteristisch für christliche Spiritualität. Auch der Missionsbefehl aus Matthäus 28 kann als Auftrag zum Mentoring verstanden werden:

Geht hinaus in die ganze Welt, und ruft alle Menschen dazu auf, mir nachzufolgen! Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Lehrt sie, so zu leben, wie ich es euch aufgetragen habe (Verse 19-20).

Viele Menschen haben Sehnsucht nach persönlicher, geistlicher Betreuung, weil sie erlebt haben, wie beflügelnd es sein kann, wenn jemand an sie glaubt. Laut Larry Kreider passiert dies in unseren Gemeinden jedoch noch viel zu wenig:

Statt auf tiefe, konstruktive Beziehungen Wert zu legen, halten wir in der Kirche von heute gläubige Menschen allzu oft dazu an, ja keinen Gottesdienst und kein Bibelgespräch zu versäumen und sich an übergemeindlichen Aktivitäten oder evangelistischen Einsätzen zu beteiligen, damit sie ihren eigenen Glauben aufpeppen und „stark werden im Herrn“.

Die Theorie ist: Möglichst viel Unterweisung aus Gottes Wort plus möglichst viel aktive Beteiligung an geistlichen Diensten = mehr geistliche Reife. So wichtig diese Dinge auch sein mögen, solch eine falsche Grundannahme bringt Gläubige hervor, die Predigt auf Predigt, Buch auf Buch, CD auf CD, Seminar auf Seminar konsumieren, und das alles in dem unbewussten Bestreben, den Mangel an echten Beziehungen auszugleichen.

Es gilt also generell, in unseren Gemeinden eine Atmosphäre zu schaffen, in der eine generelle Offenheit für Mentoring, d.h. für ehrliche, tiefgehende und inspirierende Beziehungen, da ist. Dabei können die Menschen, die erst Mentee sind, durchaus auch zu Mentoren für Andere werden.

Die Mentoring-Beziehung

Die Beziehung zwischen Mentor und Mentee soll eine dauerhafte und ganzheitliche Weiterentwicklung im persönlichen und geistlichen Bereich gewährleisten. Dazu schreibt Faix: 

Mentoring ist eine freiwillige und persönliche one-to-one Beziehung, die sich je nach beteiligten Personen entwickelt. Jede Mentoren-Beziehung ist unterschiedlich und kann verschiedene Teilaspekte abdecken. Dabei legen der Mentor und sein Mentee die Schwerpunkte ihrer Beziehung gemeinsam fest.“ (Mentoring. Chancen für geistliches Leben und Persönlichkeitsprägung, S. 43)
 

Folgende Punkte sind für die Gestaltung der Mentoring-Beziehung wichtig:

  • Einander Zeit geben: Eine Mentoring-Beziehung basiert auf Vertrauen zwischen den Beteiligten – und dieses wächst erst mit der Zeit.
    Es kann daher hilfreich sein, öfter etwas zusammen zu unternehmen (Eis essen, Sport, Kino, etc.), um einander besser kennenzulernen, bevor man „ans Eingemachte“ geht.
     
  • Konkrete Ziele bestimmen: Wenn man auf nichts zielt, trifft man es bestimmt … Entscheidend ist daher, sich vorher gemeinsam zu überlegen, welche Ziele man im Rahmen der Mentoring-Beziehung erreichen möchte.
    Auf Dauer zur Last werden sollte die Beziehung für keinen von beiden. Wichtig ist daher auch zu bestimmen, für wie lange die Mentoring-Beziehung geplant ist.
     
  • Feste Zeiten vereinbaren: Eine gewisse Regelmäßigkeit ist förderlich, um am Ball zu bleiben. Ob dafür ein wöchentliches Treffen oder ein größerer zeitlicher Abstand am besten geeignet ist, können die Beteiligten verhandeln.
     
  • Art der Kommunikation und Ebene der Vertraulichkeit festlegen: Jeder Mensch hat eine persönliche Schmerzgrenze, was Offenheit und Direktheit angeht. Es empfiehlt sich deshalb zu klären, welche Fragen der Mentor stellen und welche nicht oder wie offen er bestimmte Probleme ansprechen darf.
    Ebenso wichtig ist es festzumachen, dass die Gespräche zwischen Mentor und Mentee vertraulich sind und daher nicht an Dritte weitergegeben werden.
     
  • Die Beziehung überprüfen: Von Zeit zu Zeit kann es sinnvoll sein, Ziele neu zu definieren oder generell zu prüfen, inwieweit die Beziehung die Erwartungen der Beteiligten erfüllt. Beide haben jederzeit das Recht, die Beziehung zu beenden, jedoch sollte es vorher ein klärendes Gespräch geben.
    Auch wenn die Mentoring-Beziehung ein natürliches Ende erreicht hat, ist es sinnvoll, ein Abschlussgespräch zu führen und Erfolge zu feiern.
     

Der Mentor

Ein Mentor erkennt und fördert Potential und Berufung des Mentees, stößt einen Entwicklungsprozess an und gibt Motivationsschübe. Er sollte außerdem in der Lage sein, mit den Augen Gottes zu sehen, d.h., sich seinem Mentee liebevoll und fördernd zuwenden. Des Weiteren sind folgende Fähigkeiten erforderlich:

  • Blick für das Potenzial anderer
  • Langfristiges Denken
  • Gespür für das Wirken und Reden Gottes
  • Gut zuhören können
  • Die richtigen Fragen stellen
  • Andere ermutigen
  • Konfliktfähig und geduldig, aufmerksam und interessiert sowie selbstkritisch sein
  • Bereit und fähig, geistliche Verantwortung zu übernehmen
     

Der Mentee

Mancher mag sich fragen, warum man überhaupt einen Mentor braucht. Wie oben bereits erwähnt, sehnen sich viele Menschen nach persönlicher geistlicher Begleitung, weil sie erkennen, dass das Lesen von Büchern oder Anhören von Predigten allein sie nur minimal voranbringt.

Letztlich ist ein Mentor für jeden ratsam, der sich nach geistlichem Wachstum und persönlicher Veränderung sehnt. Folgende Fragen können dabei hilfreich sein: Welche Defizite und Bedürfnisse habe ich? Wie ist meine Familiensituation? Bin ich mit meiner geistlichen Entwicklung zufrieden? 

Mentee zu sein heißt, sich zu investieren, denn Mentoring bedeutet Arbeit – schließlich bekommt der Mentee keine vorgefertigten Lösungen, sondern darf selbst Erfahrungen sammeln und Schritte ins Neuland wagen, bei denen er begleitet wird.

Als Mentee sollte man daher selbst Verantwortung übernehmen können und Initiative zeigen sowie offen, lernbereit und selbstkritisch sein.

Mentoring – wieso ich?

Die Suche nach einem Mentor bzw. einer Mentoring-Beziehung fängt mit Sehnsucht an – Sehnsucht nach Veränderung. Wenn ich mit meinem Leben so weit zufrieden bin, werde ich mir kaum einen Mentor suchen wollen.

Aber vielleicht ist es auch so: Ich möchte meine Persönlichkeit genauer unter die Lupe nehmen, bestimmte Verhaltensweisen ändern oder neues Verhalten erlernen. Oder ich bin mit meinem geistlichen Leben unzufrieden und wünsche mir mehr Tiefgang.

Ein weiterer Bereich könnte das Arbeitsfeld sein, in dem ich mich weiterentwickeln und neue Aufgaben übernehmen möchte.

Für alle diese Bereiche kann es sehr sinnvoll und motivierend sein, einen persönlichen Berater zu suchen. Es mag eine Weile dauern, bis man die richtige Person gefunden hat, aber die Mühe wird sicher belohnt!
 

Weiterführende Literatur

  • Anderson, Keith R. & Reese, Randy D. 2000. Geistliches Mentoring. Asslar: Projektion J.
  • Faix, Tobias. 2000. Mentoring. Chancen für geistliches Leben und Persönlichkeitsprägung. Neukirchen-Vluyn: Aussaat.
  • Kreider, Larry. Authentisches geistliches Mentoring. www.gloryworld.de (Zuletzt aufgerufen: 08.04.2015, 15:25 Uhr)