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Apokryphen: Nützlich oder können sie weg?

Glaubens-FAQ / Lesezeit: ~ 16 min

Autor/-in: Maria Dietz

Apokryphen: Nützlich oder können sie weg?

Eine historische und thematische Einordnung der alttestamentlichen Apokryphen.

Sie sind teilweise historisch, mystisch und abenteuerlich. Manche von ihnen lesen sich wie ein Geschichtsbuch aus der Bibel, andere wie ein Roman, wieder andere wie eine philosophische Abhandlung. Manchen sind sie bekannt, andere haben nur davon gehört und wieder andere – zu denen auch ich gehört habe –, wissen wenig bis gar nichts über die Apokryphen.

Das war ein Grund mehr, mich damit mal selbst zu beschäftigen. Ich möchte mit dir teilen, was ich über die Apokryphen in Erfahrung bringen konnte. Dich erwartet eine historische und thematische Einordnung. Außerdem gebe ich dir eine Einschätzung, wie du mit den Apokryphen umgehen und an sie herantreten kannst.

1. Was sind die Apokryphen?

Das Wort „Apokryph“ stammt vom griechischen „απόκρυφος“ (apόkryphos) ab. In die deutsche Sprache übersetzt bedeutet das Adjektiv so viel wie „verborgen“ oder „dunkel“. Diese Begriffe sind Hinweise auf den Stellenwert, den diese Texte haben, denn die Apokryphen sind nicht Teil der Tenach, des hebräischen Urtextes des christlichen Alten Testaments (AT).

Insgesamt gibt es 14 Werke, die zu den alttestamentlichen Apokryphen gezählt werden. Davon sind heute sieben Teil des katholischen Kanons. Diese sind nur in manchen Bibeln überhaupt enthalten.

Außerdem gibt es noch eine Reihe neutestamentlicher Apokryphen. Sie entstanden circa zwischen 200 Jahren vor und 400 Jahre nach Christus. Zu den Apokryphen des neuen Testaments zählen unter anderem Evangelien, Berichte über das Leben einzelner Apostel, Apokalypsen und Briefe. Wenn in diesem Artikel die Rede von Apokryphen ist, sind nur die alttestamentlichen gemeint.

Diese sind eine Reaktion auf die kulturellen und sozialen Umstände der Israeliten. Das Volk muss sich in einer Welt zurechtfinden, die immer mehr von der griechischen Kultur beeinflusst wird. Sie sind herausgefordert, ihren Glauben, ihre Werte und ihre Lebensform aufrechtzuerhalten und sie nicht zu sehr mit anderen Kulturen zu vermischen.

Eine historische Einordnung

Die Apokryphen entstanden in der Zeit zwischen dem Alten und Neuen Testament (NT), in den sogenannten 400 Jahren des Schweigens. Diese 400 Jahre umfassen das 3. Jahrhundert vor Christus und reichen bis zum 1. Jahrhundert nach Christus. Anders als in der hebräischen Bibel (Tenach) kommen die Apokryphen heute in Katholischen Bibeln und in manchen der evangelischen Bibeln vor.

In der Zeit zwischen dem AT und NT, ungefähr 200 Jahre v. Chr., tauchen die Apokryphen in der Septuaginta auf. Die Septuaginta ist die Übersetzung des AT aus dem Hebräischen ins Griechische. Aus der Septuaginta wurden sie in die darauffolgende lateinische Version, der Vulgata, übernommen.

Die Apokryphen lagen also nicht in der hebräischen Heiligen Schrift vor, sondern wurden erst in griechischer Sprache der Septuaginta hinzugefügt.

Die Autoren des NT zitierten sowohl aus den hebräischen Schriften als auch aus dem griechischen Wortlaut (Septuaginta). Das heißt: Sowohl die hebräische als auch griechische Übersetzung des Alten Testaments waren in Gebrauch. Es gibt Hinweise darauf, dass sich sowohl Jesus als auch andere Personen des Neuen Testaments auf Apokryphen beziehen.1

Die Apokryphen und der biblische Kanon

Über den Stellenwert der Apokryphen waren sich schon die frühen Kirchenväter Hieronymus und Augustinus uneinig. Hieronymus unterscheidet zwischen Texten, die zum Kanon der Heiligen Schrift gehören und „Texten der Kirche“, zu denen er unter anderem die Apokryphen zählt. Augustinus dagegen ist der Auffassung, dass die Apokryphen zum Kanon der Bibel gehören.

Beim Konzil von Karthago, 397 n.Chr., treffen die beiden Standpunkte aufeinander. Letzten Endes entscheidet sich das Konzil für die Position von Augustinus. Mit dieser Entscheidung fand die katholische Position ihren Anfang.

Einige Jahrhunderte später, mit der Reformation um Martin Luther, stellen sich die Reformatoren erneut die Frage, welche biblischen Texte zu den sogenannten „inspirierten Texten“ gehören und als verlässliches Wort Gottes gelten.

Beeinflusst durch die Bewegung des Humanismus, der sich auf den Urtext in Originalsprache und nicht auf die Übersetzung philosophischer Schriften beruft, kommt Luther zu einem folgenschweren Entschluss. In seiner Unterscheidung zwischen biblischem Kanon und Apokryphen stützt er sich nicht mehr nach katholischer Tradition auf die lateinische Vulgata, sondern auf die hebräische Ausgabe des AT und die griechische des NT.

In Folge dieser Neueinschätzung stuft Luther die Apokryphen als „nicht der heiligen Schrift gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen“ ein.2

Als sich die Wege der katholischen und evangelischen Lehre trennten, trennte sich auch das Kanon-Verständnis der beiden Strömungen. Beim Konzil von Trient (zwischen 1545 und 1536) wurde beschlossen, dass die Apokryphen fest zum katholischen Bibelkanon gehören, also gleichgestellt mit allen anderen Texten sind.

Obwohl die Apokryphen bei Luther und anderen Reformatoren wie Huldrych Zwingli oder Johannes Calvin nicht aus den Bibelübersetzungen verschwanden, wurden sie in einem gesonderten Teil der Bibel zusammengefasst. Im Laufe der Zeit wurden sie durch diese Sonderstellung nach und nach weniger in Gottesdiensten und Bibelunterricht der evangelischen Gemeinden genutzt. Erst nach dem zweiten Weltkrieg verschwinden die Apokryphen aus immer mehr der evangelischen Bibelausgaben.

Heute sind die Apokryphen unter anderem in einigen Ausgaben der Lutherbibel und der Einheitsübersetzung zu finden.

An der Entstehung der Einheitsübersetzung wirkten sowohl katholische als auch evangelische Theologinnen und Theologen mit.

2. Die verschiedenen apokryphen Schriften und ihr Inhalt

Unabhängig vom katholischen oder evangelischen Verständnis gibt es folgende 14 Texte, die als Apokryphen bezeichnet werden: 1. Esra, 2. Esra, Zusätzliche Kapitel zum Buch Esther, Die Geschichte der Susanna, Der Gesang der drei Männer im Feuerofen, Bel und der Drache, Das Gebet Manasses, Tobit (oder Tobias), Judit, Weisheit Salomos, Jesus Sirach (oder Ecclesiasticus), Baruch, 1. Makkabäer, 2. Makkabäer.

1. und 2. Esra behandeln Prophezeiungen und geschichtliche Ereignisse, die auch in den kanonischen Büchern Esra, Nehemia und den beiden Chronikbüchern nachzulesen sind. Die beiden Apokryphen entstammen den Federn mehrerer Autoren und wurden erst 270 n. Chr. zur Septuaginta hinzugefügt. Im ergänzenden Kapitel zum Buch Ester, das Teil des Alten Testaments ist, finden sich Verse in griechischer Sprache, die erst in der Septuaginta an „Esther“ angefügt wurden.

„Die Geschichte der Susanna“ ist ursprünglich in aramäischer Sprache verfasst und war im Danielbuch zu finden. Sie steht allerdings nicht in der Tenach. Sie liegt in zwei Fassungen vor, die im Kern von einer Frau erzählen, die zu Unrecht verurteilt wird. Im letzten Moment kann sie vom Propheten Daniel gerettet werden. Die Erzählung verdeutlicht, dass man Menschen nicht allein aufgrund ihres gesellschaftlichen Status vertrauen sollte und ist eine Kritik an der Oberschicht.

Im „Gesang der drei Männer im Feuerofen“ wird die Geschichte aus Daniel 3,23 aufgegriffen. Hier wird von drei Männern, namens Schadrach, Meschach und Abed-Nego berichtet, die sich weigerten den damaligen König wie einen Gott anzubeten. Zur Strafe wurden sie in einen Feuerofen geworfen, den sie aber durch ein göttliches Wunder überlebten. Das Apokryphon ist ein Dankpsalm, der in der katholischen Tradition an das Buch Daniel angehängt ist.

Ein weiterer Zusatz zum Buch Daniel ist ein Apokryphon, das unter mehreren Namen bekannt ist: „Der Brief des Jeremia“, „Bel und der Drache“ oder „Vom Bel und vom Drachen zu Babel“. Es ist eine Sammlung von Legenden, die sich über den Götzendienst lustig machen.

Ähnlich wie die vorangegangenen Apokryphen ist „Das Gebet von Manasse“ ein Text, der nachträglich zum AT angefügt wurde. Ergänzend zu 2. Chronik 33 verdeutlicht das Gebet die Situation von Manasse. Seine Regentschaft ehrte Gott nicht, was dazu führte, dass er von seinen assyrischen Feinden gefangen genommen und nach Babylonien verschleppt wird.

Von der katholischen Kirche anerkannte und von Luther geduldete Apokryphen

In der katholischen Tradition gehören die Bücher Tobit, Judit, die Weisheit Salomos, Jesus Sirach, Baruch, 1. und 2. Makkabäer zum Kanon der Heiligen Schrift. Das sind auch die Apokryphen, die auch in einigen evangelischen Bibelausgaben zu finden sind und von Luther geduldet wurden.

Tobit

Im Buch „Tobit“ wird uns von Tobit, seinem Schicksal und dem seiner Familie berichtet. Tobit stellt sich in der Ich-Perspektive als einen Mann vor, der – anders als seine Familie – Gott treu dient. Er durchlebt viele Herausforderungen, erblindet und wird nach einiger Zeit durch einen Engel auf wundersame Weise geheilt.

Das Buch „Tobit“ ist eine komplexe Erzählung aus tragischen Ereignissen, in denen sich Gott durch die Hand des Engels Rafaël als heilender Gott beweist.

Sie enthält einen zweiten Erzählstrang, bei dem eine entfernet Verwandte des Tobit durch denselben Engel die Gunst Gottes erfährt und später seinen Sohn Tobias heiratet. Am Ende des Buches lobt Tobit Gott mit dem sogenannten „Lobgesang des Tobit“.  

„Tobit“ ist eine Geschichte, die seine Leser belehren und ihnen Weisheit vermitteln will. Sie entstand ungefähr 150 Jahre v. Chr. in Mesopotamien. Passend zu der Lebenssituation der Juden zwischen 300 vor und 100 nach Christus, zeigt Tobit wie jüdisches Leben in einer fremden Kultur funktionieren kann.

Die Weisheit Salomos

Auch wenn Salomo als Autor nicht namentlich erwähnt wird, gibt es in diesem Buch deutliche Hinweise, die auf ihn als Autor schließen lassen. Auch die Ähnlichkeit zum Buch der Sprüche verstärkt diese Zuschreibung.

Das Apokryphon „Weisheit Salomos“ oder einfach „Weisheit“ genannt, beinhaltet Ratschläge, Gegenüberstellungen und Aussprüche, die verdeutlichen sollen, was weise ist und wie das Leben gelingen kann.

Anders als die Sprüche von Salomo ist das Apokryphon stark durch philosophische Strömungen aus der Zeit des letzten vorchristlichen Jahrhunderts beeinflusst. Die in den Sprüchen vorgestellten Prinzipien sowie die personifizierte „Frau Weisheit“ werden in „Weisheit Salomos“ weiterentwickelt und gehen über das hinaus, was in anderen Büchern des Alten oder Neuen Testaments kommuniziert wird.

Jesus Sirach

Ein weiteres Buch, das Weisheit vermitteln möchte, ist „Jesus Sirach“. Das 132 v. Chr. im ägyptischen Alexandrien entstandene Buch bespricht Themen wie Gottesfurcht, den freien Willen des Menschen, die Frage nach einem guten Gott in einer Welt voller Leid sowie den Umgang mit Ranghöheren und Ärzten.

Der Autor dieses Buches konnte erst Mitte des 20. Jahrhunderts als Simon, Sohn des Jesus, Sohn des Eleasar des Sohnes des Sira identifiziert werden.

Besonders ist, dass sich der Enkel des Autors in einem Vorwort als der Übersetzer des Apokryphons vorstellt. Diese ungewöhnliche Einleitung lässt darauf schließen, dass es zu dieser Zeit wichtig war, originale und übersetzte Texte streng voneinander zu unterscheiden.

Baruch

Der Name „Baruch“ ist schon durch Jeremia bekannt; denn ein Mann namens „Baruch“ soll sein Schreiber gewesen sein. Das Apokryphon „Baruch“ ist eine der ältesten Schriften, die dem Schreiber Jeremias zugeordnet werden können, und stammt wahrscheinlich aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus.

Das Buch ist zusammengesetzt aus drei Teilen, die wirken, als wären sie nachträglich zusammengefügt worden. Nach der historischen Einordnung folgt das Bußgebet der Verbannten. Es erinnert an das Gebet in Daniel 9. Teilweise wirkt es sogar, als würde daraus direkt zitiert. Das Weisheitslied ähnelt dem Stil von Sirach 24 oder Hiob 28. Die Klage- und Trostlieder am Ende von „Baruch“ haben Ähnlichkeit zu anderen apokryphen Texten.

Makkabäer

In der Septuaginta gab es vier Makkabäerbücher, von denen es aber nur zwei in die griechische Bibel geschafft haben. „1. Makkabäer“ und „2. Makkabäer“ sind zwei Geschichtsbücher, die aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus berichten.

Besonders das erste Buch ist historisch verlässlich und berichtet über Kämpfe des Volks der Makkabäer. Im zweiten Buch werden die Ereignisse aus „1. Makkabäer“ aufgegriffen und in verherrlichender Weise von den Aufständen der Juden gegen die Kultur der Griechen berichtet.

3. Judit

Ein sehr bekanntes Buch der Apokrphen ist das Buch „Judit“. Anhand dieses Apokryphons möchte ich abwägen, weshalb dieses und andere Apokryphen in der evangelischen Tradition nicht als „inspirierte Texte“, beziehungsweise nicht als verlässliche Texte gelten.

Wie die Bücher „Esther“ und „Ruth“ aus dem Kanon der Bibel handelt das Buch „Judit“ von ihrer Namensgeberin. Es stammt aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Ob das Buch in Israel oder Ägypten entstand und ob es in aramäischer oder hebräischer Sprache verfasst wurde, ist bis heute unklar.

Judit wird als eine fromme wohlhabende Witwe beschrieben, die die Not ihres Volkes sieht und zur Tat schreitet. Mithilfe ihrer Schönheit und einer List rettet sie ihr Volk vor dem feindlichen Heerführer Holofernes. Diese heroische Geschichte ist ähnlich wie „Die Geschichte der Susanna“ eine Erzählung, die belehren soll.

Die Romanfigur Judit

Anders als bei „Esther“ und „Ruth“ gleicht das Buch „Judit“ einem historischen Roman. Judit wird als trauernde Witwe beschrieben: „Sie war sehr schön von Gestalt und von blühendem Aussehen. Ihr Mann Manasse hatte ihr Gold und Silber, Knechte und Mägde, Vieh und Felder hinterlassen, über die sie verfügte. Und es gab niemanden, der ihr etwas Schlechtes nachsagen konnte, denn sie fürchtete Gott sehr.“ (Judit 8, 7-8)

Die Treue zu Gott sowie zu ihrem verstorbenen Mann wird durch Judits Leidensfähigkeit deutlich. Wir erfahren, dass sie seit dem Tod ihres Mannes, der über drei Jahre zurückliegt, trauert. Sie schläft nicht mehr in ihrem Haus, sondern im Trauergewand in einem Zelt auf dem Dach. Noch dazu heißt es, sie fastete „alle Tage ihrer Witwenschaft“ (Judit 8,6), ausgenommen an jüdischen Feiertagen.

Schon in dieser Vorstellung wird Judith nahezu makellos dargestellt. Auch im weiteren Verlauf der Geschichte beweist Judit, ohne dass sie direkte Anweisungen von Gott bekommt, ein fast übermenschliches Gespür für das richtige beziehungsweise gottgefällige Handeln.

Als das jüdische Volk in der Stadt Betulia durch die Belagerung ihrer Feinde in große Not gerät, ermahnt Judit die Vorsteher und Einwohner der Stadt mit den Worten: „Das Wort, das ihr heute zu dem Volk gesprochen habt, war nicht recht. Ihr habt einen Eid geschworen, der nun zwischen Gott und euch steht, und habt versprochen, die Stadt unseren Feinden zu übergeben, wenn der Herr uns unterdessen nicht hilft!“ (Judit 8, 11)

Diese Verurteilung aus dem Mund einer Frau, die in der damaligen Kultur eine niedere Stellung hatte, ist äußerst mutig und erscheint angesichts des kulturellen Backgrounds fast frech. Aber Judit wird nicht nur angehört, sondern ihr wird auch das weitere Vorgehen anvertraut. Usija, das derzeitige Oberhaupt der Israeliten, scheint ihr blind zu vertrauen. Es werden weder Zweifel geäußert noch Rückfragen an Judit gestellt.

Judits Plan wird vertraut, weil sie eine gottesfürchtige Frau ist. In dieser Geschichte wird dabei völlig unterschlagen, dass auch der gottesfürchtigste Mensch fehlerhaft ist. Im Alleingang führt Judit ihren Plan aus, und bittet Gott ihren Plan zu segnen, damit ihr Volk gerettet wird. Und so geschieht es auch.

In der ganzen Juditerzählung gibt es keinen Makel, der die Figur Judit menschlich macht. Ihr Plan, das Volk Israel zu retten, geht auf, sie wird vom ganzen Volk gefeiert und führt auch nach diesem Triumph ein fehlerfreies Leben.

In den letzten Versen wird Judit sehr heroisch beschrieben: Judit „war hochgeehrt zu ihrer Zeit im ganzen Land“ (Judit 16,21) und „sie schenkte ihrer Magd die Freiheit“ (Judit 16,23). Bevor sie stirbt, spendet sie all ihren Besitz und „niemand vermochte die Israeliten in Furcht zu versetzen, solange Judit lebte und weit über ihren Tod hinaus.“ (vgl. Judit 16,25)

Die Figur Judit erfüllt eine Vorbildfunktion und hat Attribute, die sehr erstrebenswert sind. Solche und ähnliche Geschichten wurden in den vier Jahrhunderten vor Christus sowohl im Judentum als auch in anderen Kulturgruppen der griechischen Antike erzählt.

Die makellose Darstellung Judits weist darauf hin, dass sie nur eine Art Vorbildrolle erfüllt, die Werte vermitteln soll, und es sich bei ihr nicht um eine historische Person handelt.

Historische Unsauberkeiten im Buch „Judit“

Neben der Figur Judit gibt es weitere Hinweise darauf, dass das Apokryphon „Judit“ nicht den Anspruch hat, historisch korrekt zu sein. Das Ziel der Juditerzählung ist nicht, historische Ereignisse zu dokumentieren, sondern ein Weltbild und die damit verbundenen Herausforderungen zu zeigen.

Zu diesem Zweck wurden Ereignisse und Persönlichkeiten aus ihrem authentischen Kontext gerissen und zu einer Geschichte zusammengesetzt. Außerdem gibt es frei erfundene Aspekte wie die Stadt Betula, die als Schauplatz der Geschichte dient, aber kein realer Ort ist.  

Im Buch „Judit“ lesen wir von Personen, Völkern und Orten, die tatsächlich existierten. Gleich im ersten Vers des Apokryphons ist die Rede vom zwölften Regierungsjahr des Nebukadnezar, den es tatsächlich gegeben hat. Dieses Regierungsjahr war 592 v. Chr. In „Judit“ soll er König der Assyrer gewesen sein, in Wahrheit war er aber König der Babylonier.

Einige Jahre später soll sich die Befreiung der Stadt Betulia zugetragen haben. Tatsächlich ist der babylonische König aber schon im Jahr 597 v. Chr. gegen Israel gezogen und hat Jerusalem zehn Jahre danach eingenommen.

Der damalige König Jojakim unterwarf sich Nebukadnezar. Anders als Jojakim, den es tatsächlich gab, konnte Usija (Usia) aus der Juditerzählung davon abgehalten werden, sich Nebukadnezar zu unterwerfen. An diesem Detail wird deutlich, dass die Erzählung zwar eine wahre Begebenheit aufgreift, diese aber zum Zweck der Belehrung umgewandelt hat.

Auch Usia ist eine Person, die es tatsächlich gegeben hat, nur in einem ganz anderen Jahrhundert als das Apokryphon „Judit“ ihn verortet. Wie auch Jojakim war er ein jüdischer König und wie der Usija aus „Judit“ blieb er Gott treu, solange er von gottesfürchtigen Menschen beraten wurde.

Im Kapitel 4 des Apokryphons lesen wir, dass das Volk „noch nicht lange aus der Gefangenschaft heimgekehrt“ (Judit 4,3 Einheitsübersetzung) war. Die Rückkehr des Volkes Israels aus Babel fand allerdings einige Jahrzehnte später als in „Judit“ angegeben statt.

Diese und weitere geschichtliche Details untermauern die Annahme, dass das Apokryphon „Judit“ weder historisch noch inhaltlich verlässlich ist.

Judit ist eine Kunstfigur, die im Apokryphon vorbildliches Verhalten, Mut und Treue verkörpert. Obwohl sie keine historische Person gewesen ist, steht sie doch für erstrebenswerte Attribute. Judits Treue zu Gott sowie die des Volkes Israel, das sich in der Not immer wieder im Gebet an Gott wendet, zeichnen ein Bild von wahrer Liebe und Hingabe gegenüber dem Gott Israels.

4. Fazit: Mit Vorsicht genießbar

Als ich zum ersten Mal von den Apokryphen gehört habe, war mein Interesse sofort geweckt. Es gibt weitere Texte aus der Zeit, in der die Bibel verfasst wurde? Das fand ich hochinteressant. Erst im zweiten Moment kamen Sorgen in mir auf: Was sind das für Texte? Hat es einen guten Grund, weshalb sie nicht im Kanon der evangelischen Bibel auftauchen? Sind diese Texte vielleicht sogar gefährlich und könnten mein Gottesbild negativ beeinflussen?

Weil ich auf diese Fragen keine schnelle Antwort finden konnte, habe ich mich lieber ferngehalten. Doch so ganz gingen mir die Apokryphen nie aus dem Kopf. Ihren historischen Ursprung zu betrachten, hat mir geholfen. Denn nun weiß ich:

Die Apokryphen waren in der hebräischen Fassung unseres Alten Testaments nicht vorhanden. Auch der Stellenwert, den sie für Jesus und die Schreiber des Neuen Testaments hatten, ist ungewiss.

Gleichzeitig werden im Neuen Testament Konzepte und Aussagen aus den Apokryphen von Jesus und den Schreibern des NT aufgegriffen. Ob diese Hinweise und Zitate aus den Apokryphen eindeutig als Wort Gottes gekennzeichnet werden, scheint mir undurchsichtig. Es gibt sowohl von katholischer, evangelischer und freikirchlicher Seite Hinweise, die jeweils andere Schlüsse über die Vertrauenswürdigkeit der Apokryphen zulassen.

Beim Lesen der Apokryphen fällt mir auf, dass die Menschen oft wie makellose Helden dargestellt werden oder die Texte wie im Fall von „Tobit“ sogar aus der Ich-Perspektive verfasst sind. Sowohl bei „Tobit“ als auch bei „Judit“ wurde mit historischen Daten und Ereignisse eigenmächtig umgegangen. 

Misstrauisch macht mich außerdem, dass einige Texte, wie der Zusatz zum Buch Esther oder der zum Danielbuch, erst viel später an die Originaltexte angefügt wurden. In beiden Fällen existiert eine kurze hebräische und eine teilweise viel längere Version in griechischer Sprache.

Im Fall vom Buch „Weisheit“, das Salomo zugeschrieben wird, sind deutliche Überschneidungen mit Lehren und philosophischen Strömungen der griechischen Welt wie zum Beispiel dem Hellenismus zu erkennen. Auch im Apokryphon „Jesus Sirach“ wird die Absicht deutlich, das Judentum im Sinne des Hellenismus zu modernisieren.

Ein Hinweis der Deutschen Bibelgesellschaft leuchtet mir in diesem Kontext sehr ein: Die Apokryphen „führen ihre Leser/innen in das Denken und den Glauben des Judentums in der Zeit zwischen den Testamenten ein. Damit sind sie für die Wirkungsgeschichte des Alten Testaments und das geistige Umfeld des Neuen Testaments von hoher Bedeutung“.

Luthers Aussage, die Apokryphen seien zwar kein Wort Gottes, aber auch nicht zu verachten, erscheint mir als diplomatischer Mittelweg für diese hochkomplexe Situation.

Eine weitere diplomatische und sogar weise Art mit Präzedenzfällen wie den Apokryphen umzugehen, finden wir in 1. Thessalonicher 5,21: „Prüft aber alles und das Gute behaltet.“ 

Meiner Einschätzung zufolge haben die Apokryphen Makel, die nicht zu verachten sind. Trotzdem weiten sie den Blick für das Denken der Menschen in der Zeit zwischen dem Alten und Neuen Testament und ordnen ein, wie die jüdische Welt sich gewandelt hat. Außerdem werden die Umstände und das vorherrschende Weltbild, in das Jesus mit seiner rettenden Botschaft hineintrat, durch die Apokryphen deutlicher.

Ich hoffe, dieser Artikel hat dir Impulse gegeben, die dich in deiner Auseinandersetzung mit den Apokryphen unterstützen. Vielleicht bist du jetzt neugierig geworden, selbst einmal in diesen Büchern zu lesen. Dann weißt du jetzt, dass es sich nicht um gefährliche Texte handelt, kannst aber ihren historischen Hintergrund und ihre theologische Bedeutung nun besser im Kontext der Gesamtbibel einordnen.
 

Quellen:

Artikel von die-bibel.de: Die Apokryphen des Alten Testaments

 Maria Dietz

Maria Dietz

  |  Redakions-Volontärin

Stammt aus dem schönen Frankenland. Das Germanistik- und Anglistikstudium hat sie vor einigen Jahren nach Mittelhessen geführt. Der unerwartete Schritt in die Medienwelt war eine Herausforderung, die ihr Leben auf mehreren Ebenen bereichert hat. Maria liebt das Landleben, Spätsommerabende, tiefe Gespräche über Gott und die Innenwelt und ihren Mann.

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