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/ Bibel heute

Unheil von Norden

Friedhelm Appel über Jeremia 6,9-26.

So spricht der HERR Zebaoth: Halte Nachlese am Rest Israels wie am Weinstock, strecke deine Hand immer wieder aus wie ein Winzer nach den Reben. »Ach, mit wem soll ich noch reden, und wem soll ich Zeugnis geben? Dass doch jemand hören wollte! Aber ihr Ohr ist unbeschnitten; sie können’s nicht hören. Siehe, sie halten des HERRN Wort für Spott und wollen es nicht. Darum bin ich von des HERRN Zorn so voll, dass ich ihn nicht zurückhalten kann.« So schütte ihn aus über die Kinder auf der Gasse und über die Schar der jungen Männer! Denn es sollen alle, Mann und Frau, Alte und Hochbetagte, gefangen weggeführt werden.[...]

Jeremia 6,9-26

Ich bin erschüttert. Wenn ich den Propheten Jeremia lese oder höre, dann ringe ich um Fassung. Ich bin betrübt.

Das ist doch eine schrecklich aussichtslose Situation. Wie kommen wir da heraus? Wo ist die Lösung? Gibt es keinen Lichtblick? Gibt es keinen Weg aus der Misere? Gibt es keine schlauen Menschen mehr? Politiker, Millionäre, Priester, Prediger, die mir eine durchdachte Strategie aufzeigen? Eine Methode zu einem Weg für mehr Wachstum, Nachhaltigkeit, Reichtum und Gesundheit.

Ein kurzer Rückblick

Gott hat Jeremia ins Land geschickt mit der Aufforderung: „Schaue doch selbst: wo sind die Menschen, die mir vertrauen? Wo sind die Gerechten, die Freundlichen, die Geduldigen, die sozial Engagierten, die Hilfsbereiten? Wo sind die, die auf meine Worte hören und sie befolgen? Die meisten halten sich doch ihre Ohren zu.“

Seit Jahrzehnten befindet sich das Land Israel oder was davon übrig ist, das Südreich Juda, in relativer Ruhe und Frieden. Die Großmächte sind mit sich selbst beschäftigt. Es gibt sogar eine Reformbewegung. Menschen entdecken den tieferen Sinn und Wert des Glaubens. Lobpreis Gottes keimt auf. Ninive, die Hauptstadt der bedrohlichen und kriegerischen Großmacht fällt.

Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer. Die fremden Religionen der neuen, dominanten Kulturen und deren Lebensstil nehmen überhand in Israel.

Äußerlich wird der Tempelgottesdienst weiter durchgeführt: religiös, akkurat, gewissenhaft und bis in Details peinlich genau. Aber innerlich wenden sich die Menschen ab von Gott.

Alkohol fließt, Drogen werden geraucht, Kinder geopfert, Prostitution an neu errichteten Opferstätten. Schamlosigkeit wird öffentlich dargestellt. Der Stärkere gewinnt. Immigranten werden angepöbelt und ausgegrenzt. Abgeschlagene fallen durch das soziale Netz.

Und dann kommt doch Ägypten und marschiert in das Land ein. Der Pharao entmachtet den König und die Regierung. Ein erster Donnerschlag. Ein Warnruf Gottes.

Aber die Mächtigen fühlen sich sicher. Priester, Prediger und Regierung stecken unter einer Decke. Korruption und Machtmissbrauch funktionieren. Die Gottesdienste laufen weiter. Sie dienen dem Erhalt der Struktur und Macht. Formsicher werden sie ausgeführt.

Wer kann das Land retten, die sozialen Unruhen und Ungerechtigkeiten beenden?

Jeremia klagt zu Gott.

Er ruft die Menschen zurück zu Gott dem Schöpfer; zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Zu dem Gott, der Israel zur Zeit von Mose die zehn Gebote gegeben hat. Dem Gott, der von David als Herrn der Herren anerkannt wurde.

Jeremia macht deutlich: das Land steht vor dem Zerfall. Der Zerfall des Landes kommt nicht von außen. Der Feind kommt von innen, aus dem Herzen der Menschen. Umkehr wäre nötig. Sonst wird Gott es zulassen, dass äußere Feinde, die Machthaber einer neuen Großmacht mit neuen und technisch weiterentwickelten Waffen das Land zerstören. Babylon.

Halte Nachlese, ruft Gott dem Jeremia zu.

Nachlese? Das ist nicht mehr die große Ernte. Das ist nicht das große Erntefest. Es ist nicht einmal eine Spätlese, von der man sagen könnte, die Ernte schrumpft, ist aber umso besser. Nachlese ist nur ein trauriger, hilfloser Rest. Aus Gottes Perspektive scheint das Land vollständig verloren bis auf einen kleinen, machtlosen Rest.

Jeremia soll seine Leute auf die bevorstehende Drangsal vorbereiten.

Dieser Einblick in die Situation des Propheten Jeremias erschreckt mich. Gibt es da nicht viele Parallelen zu heute?

Aber ich sehe auch einen wertvollen Ausblick:

Trotz der aussichtslosen und katastrophalen Lage sehe ich doch in der Verkündigung unseres Propheten große Zeichen der Hoffnung: Diese Zeichen der Hoffnung möchte ich für uns erschließen.

Jeremia bleibt in all den schwierigen Situationen treu bei seinen Leuten. Er wird damit das lebendige Zeichen dafür, dass auch Gott treu ist und an unserer Seite bleibt. Durch Dick und Dünn. Und das gilt auch uns bis über den Tod hinaus.

Jeremia fordert uns heraus, unsere Ohren zu öffnen, um auf Gottes Reden zu hören. Mit dem Hören auf Gott beginnt der Dialog mit Gott.

Der Dialog mit Gott ist das Gebet.

Wir kennen das Gebet meist als Dank, als Lob, als Lobpreis, als Bitte. Aber Jeremia lässt unseren Glauben wachsen durch eine neue Art des Gebetes: das Gebet der Klage.

Jeremia schreit zu Gott und schreibt ein ganzes Buch der Klage.

Auch der unscheinbare, machtlose Rest von Glaubenden sendet eine Botschaft der Ermutigung. Der unscheinbare Rest wird zum lebendigen Zeichen der Kraft und des Lebens. Der unscheinbare Rest beweist: Gott kommt zum Ziel, um sein Reich aufzubauen. Sein Reich der Gerechtigkeit, Liebe und Wahrheit.

Gott zeigt durch den machtlosen Rest: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft kommt in deiner Schwäche zum Ziel.“

Lernen wir neu das Klagen.

Klagen sind Schreie der Seele. Stammeln des verwundeten Herzens. Stöhnen der Schmerzen. Tränen des Verlustes und Tränen der Trauer. Rufe der Sehnsucht. Stottern der Enttäuschung.

Klagen sind keine wohlformulierten, akademischen oder religiösen Gedankengänge mit grammatikalisch richtigen Sätzen. Klagen sind Eruptionen der Gefühlswelt.

Klagen kommen aus dem Innersten meiner Seele. Aufgedeckt und verwundbar liegt mein Herz vor dem Angesicht Gottes, aber auch ehrlich und wahrhaftig.

Herr, hier bin ich. Siehst du mich? Mein Gott.

Klagen ist ein elementar einfacher Schritt in Gottes Gegenwart. Und da bin ich an der allerbesten Adresse!

Klagen findet seine Sprache in den Tränen. Wann habe ich, wann haben Sie das letzte Mal geweint?
Klagen findet seine Sprache im Essen, bzw. im Fasten.
Klagen findet seine Sprache in der Kleidung.
Klagen ist ganzheitlich. Körper, Seele und Geist sind ein Schrei zu Gott.
Klagen sind wertvolle Schritte auf dem Weg, auf dem Gott selbst uns begegnet.

Deshalb fordert der Prophet seine Leute zur Klage auf:
„Oh Tochter meines Volkes, zieh den Sack an und wälze dich im Staub! Trage Leid wie um den einzigen Sohn und klage bitterlich.“ (V 26)

Der Schlusssatz unseres Abschnittes weist mich auf eine noch größere Botschaft hin:

Mit dem Verweis auf die Trauer „wie um den einzigen Sohn“ lernt das Volk Israel die tiefsten Tiefen zu durchschreiten. Die Klagemauer ist groß.

Und diese tiefsten Tiefen hat auch Gott selbst durchschritten. Mit dem Verlust seines Sohnes beweist er, dass er bereit ist, alles für uns aufzugeben. Alles. Für uns. Um uns für sich zu gewinnen.

Gottes Schrei der Schmerzen von Golgatha ist längst verhallt. Aber ein anderer Ruf hallt durch das ganze Universum, durch die sichtbare und unsichtbare Welt in alle Ewigkeit. Der Ruf des auferstandenen Jesus Christus. Er lautet: „Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

So baut Gott sein Reich der Treue, Liebe und Gerechtigkeit.

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