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/ Wort zum Tag

Johannes 19,14-15

Gedanken zu Losung/Lehrtext des Tages.

Pilatus spricht: Seht, das ist euer König! Sie schrien aber: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn!

Johannes 19,14-15

Sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben.

Sacharja 12,10

Im vergangenen Jahr besuchte ich die Christuskirche in Reutlingen. Das Altarfresco von Walter Kohler, das er 1936 geschaffen hatte, beeindruckte mich sehr. Auf den Bildern waren Menschen mit langen zeitlosen Gewändern und Menschen mit moderner Werkstagskleidung dargestellt. Der Künstler wollte einerseits sagen, dass Christus selbst überzeitlich ist, andererseits aber wollte er Christus in unsere alltägliche Gegenwart hineinstellen. Dieses Altarbild fiel mir wieder ein, als ich Gottes Wort für heute bedachte - Johannes 19,14-15: „Pilatus spricht: Seht, das ist euer König! Sie schrien aber: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn!“ Wir spüren – und Walter Kohler macht uns das ja auf seinem Kreuzigungsbild unübersehbar deutlich -: bei dem Prozess Jesu sind wir keine unbeteiligten Zuschauer. Eigentlich wollen wir lieber die Augen zumachen und in den Schlaf abtauchen – wie die Jünger im Garten Gethsemane, einfach weglaufen – wie sie damals. Vielleicht sind wir auch wie Petrus: er verliert die Beherrschung wegen dieses Leidens und schlägt drein, aber als es zu heiß wird, als er Angst hat, mit hineingezogen zu werden, da zieht er sich aus der Affäre.
 
Aber ich lerne aus dem Wort für heute und aus dem Reutlinger Altarbild: Ich kann mich um das Kreuz nicht drücken. Ich bin nicht nur auf dem Altarbild bei der Kreuzigung mit dabei. Der Liederdichter Paul Gerhardt sagt es glasklar: „Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, das dich schläget.“ Für all das, was mich von Gott und meinen Mitmenschen trennt, was wir Sünde nennen, hätte ich eigentlich Strafe verdient. Aber so wie wir gern in unserer Firma einen Sündenbock suchen für das, was schief gegangen ist, wie die Israeliten den Sündenbock an den Hörnern packten, die Schuld damit auf ihn luden und ihn in die Wüste schickten, so nimmt Jesus Christus unsere Schuld auf sich.

Über der Eingangstür des alten Chirurgie-Gebäudes der Universitätsklink Gießen steht in lateinischer Sprache der Satz: Wir verletzen, um zu heilen. Das ist ja die Aufgabe der Chirurgen bis heute: krankes Gewebe herauszuschneiden, damit der Mensch weiter leben kann. Dieser Satz ist für mich immer ein Zugang zum Kreuz Jesu Christ. Er wird verwundet, gekreuzigt, damit ich leben kann. Der Theologe Eberhard Jüngel schreibt: „Es gibt eine Wunde, die darf nicht heilen, damit ich leben kann, das ist die Wunde Jesu Christi am Kreuz.“ Deshalb bin ich Walter Kohler dankbar, dass er mich mit hineingemalt hat in sein Kreuzigungsbild; ich bin beides zugleich: Ein Mensch, der am Kreuzestod Jesu schuld ist – und ein Mensch, der unter seinem Kreuz als ein begnadeter Mensch lebt. Ich kann aufrecht gehen, durch Christus bin ich frei. Ich kann zuversichtlich nach vorn sehen. Ich gehe – wie es Manfred Siebald sagt – unter seiner Gnade, was immer ich tue. Das alttestamentliche Wort für heute - Sacharja 12,10: „Sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben“ - weist schon darauf hin. Sacharja kündigt für das Haus David und die Bürger Jerusalems, die mit der Last ihrer Schuld nicht fertig werden und sich nach Vergebung sehnen, die Bedeutung des Todes des kommenden Messias an, die dann in Jesus Christus erfüllt ist.

Das bedeutet für mein Leben: So wie ich mich um das Kreuz nicht drücken kann und will, so wie ich nicht auf Distanz zum Gekreuzigten bleiben kann und will, so kann ich auch nicht auf Distanz gehen zu Leid und Schmerz der Menschen um mich herum und zu Leid und Schmerz in meinem eigenen Leben. Jesu Wissen um alles Leid, um allen Schmerz in unserem Leben, sein Wissen um alle Brüche in unserem Leben hat ihn begleitet als es seinen Weg der konsequenten Liebe ging bis zum Tod am Kreuz. Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so gesagt. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen. Die Religionen weisen hin auf die Erhabenheit Gottes und auf uns kleine Menschen. „Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen … Hier wird der Blick frei gemacht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt“ (Religionsloses Christentum) - soweit Bonhoeffer. In der Ohnmacht des Gekreuzigten wird die Macht seiner Liebe deutlich. In der Schwachheit des Gekreuzigten wird für uns begreifbar, dass er eine Schwäche für uns Menschen hat, die ja gerade seine Stärke ist. Deshalb dürfen wir sicher sein, dass wir in der größten Not – auch in unserer Todesnot - nicht gottlos – nicht ohne Gott – sind, dass wir in den schlimmsten Krisen unseres Lebens noch von ihm gehört werden, mehr noch, dass er mit uns leidet. Deshalb ist es wichtig, dass wir unser eigenes Leben und Leiden und das Leben und Leiden der Menschen um uns herum mit Jesu Leben und Leiden zusammen sehen. Im Blick auf Jesu Leiden und Sterben dürfen wir das eigene Leben und das Leben des anderen neu sehen. Das Kreuz Jesu ist das unübersehbare Plus-Zeichen der Liebe Gottes für uns.
 

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Kommentare (2)

marijke /

sehr tief gehend und berührend. besonders der gedanke über die ohnmacht Gottes, die durch Sein leiden in der welt macht und raum gewinnt. das ist für mich ein guter anstoß. liebe grüße

Holger Bischof /

Ein glaubhaftes Zeugnis für das
Heil im Kreuz Christi. Wohtuend
angesichts von Bestrebungen einer
zunehmenden Zahl von Theologen
die Sühnopfertheologie als
"mittelalterlich" zu verwerfen.