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/ Wort zum Tag

Gebet aus ungewöhnlichem Anlass

Wolfgang Buck über Jeremia 29,7.

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.

Jeremia 29,7

Das ist zur Zeit des Jeremia ein fast unglaublicher Satz! Warum? Hier sollen die Juden in Babel für ihre Unterdrücker beten, statt Gott an deren Untaten zu erinnern mit den Folgen, die sie nach sich ziehen, wie es in Psalm 137 beschrieben wird.

Doch der Reihe nach:

Im Jahre 587 v. Chr. hatten die Babylonier Jerusalem erobert und die Oberschicht nach Babel umgesiedelt, in die sog. „babylonische Gefangenschaft“. Dort herrschen Resignation und Hoffnungslosigkeit, dazu gibt es Propheten wie Hananja, die eine baldige Rückkehr ansagen. Man ist zerrissen zwischen Zweifeln und Hoffen.

Jeremia war in Jerusalem geblieben und schreibt im Auftrag Gottes einen revolutionären Brief, der Kernsatz daraus:

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.

Die Themen des Briefes: Nehmt die Situation als Chance, gründet Familien, vermehrt euch – und betet für Babel!

Wörtlich heißt es sogar: Suchet den Schalom für die heidnische Stadt, also die heilen Beziehungen. Das ist schon fast neutestamentlich, denn auch Jesus ruft ja später dazu auf, für die Feinde zu beten. Und die Juden in Babel haben es damals verstanden:

Als 539 der Perserkönig Kyros Babel kampflos übernimmt und ein Jahr später allen verschleppten Völkern die Rückkehr erlaubt, geht kaum jemand. Die großartigen Prophezeiungen zur Rückkehr im Buch Jesaja, in den Kapiteln 40-55 verpuffen – denn gehen mussten sie schon selbet, und das taten die meisten nicht. Noch 1000 Jahre später gibt es Juden in Babel, es entsteht dort auch der „babylonische Talmud“, eine der wichtigsten Schriften des Judentums.

Das Thema Resignation oder Integration verfolgt seitdem die Geschichte der Juden und färbt auch auf die Diskussion unter Christen ab: Vor 100 Jahren gab es den innerjüdischen Streit zwischen Zionismus und Assimilation. Die einen wollten den Staat Israel gründen, die anderen wollten sich endlich völlig in ihren Gastvölkern integrieren. Wie wir wissen, hat am Ende der Zionismus gesiegt, der Staat Israel wurde gegründet.

Jeremia rät damals zur zeitweiligen Integration und konstruktiver Mitarbeit in der Gesellschaft, und auch Paulus ermahnt die Christen Jahrhunderte später, für Kaiser und Obrigkeit zu beten.

Trotzdem bleibt auch für Christen die große Grundsatzfrage, wie wir uns der Gesellschaft gegenüber verhalten sollen, in der wir leben. Die einen plädieren für den totalen Rückzug aus der „bösen Welt“ (z.B. die Hutterer und die Amischen in den USA) – andere vertreten die Meinung, so gut wie möglich in dieser Gesellschaft mitzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen. Für die einen ist Politik ein schmutziges Geschäft, von dem ein Christ die Finger lassen sollte, andere gehen bewusst in die Politik, um aus christlicher Verantwortung heraus mitzugestalten – und ich denke, sie haben Jeremia auf ihrer Seite.

Denn Resignation war eigentlich noch nie eine christliche Tugend.

Aber die heute manchmal üblichen Hassmails und gehässigen Aufrufe – leider auch von Christen – gegen Politiker, deren Meinung und Entscheidungen man nicht teilt, ist für mich oft nur noch peinlich und zum Fremdschämen. Öffentlich vorgetragener Hass gehört sich für Jünger Jesu einfach nicht und steht im krassen Widerspruch z.B. zu unserer Jahreslosung: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Dahinter verbirgt sich vielleicht auch eine Glaubensarmut. Was trauen wir Gott eigentlich zu – und was meinen wir, selbst in die Hand nehmen zu müssen? Zur Zeit von Jeremia trauten die Juden Gott wenig zu: Die Großmacht Babel, die Sachzwänge und Gegebenheiten – das war alles zu übermächtig.

Doch gegen Ende des Briefes blicken wir wie durch ein offenes Fenster, wenn wir als Zusammenfassung der ganzen Diskussion lesen: Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung!

Ich denke, das kann auch uns gelten – auch in unserer politischen Situation. Darauf vertraue ich.

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Kommentare (2)

Ursula /

Sehr ausführlich und gut verständlich mit Blick in unsere Zeit ist dieses Bibelwort von Ihnen, Herr Buck, beschrieben. Vielen Dank!

Norbert B. /

Guten morgen,,
Diese Gedanken zu Jeremia 29, 7 empfand ich als sehr aufbauend und Glaubens stärkend.
Danke Pastor Buck
Gute befohlen Norbert B.