/ Wort zum Tag
Eine offene Tür
Hans-Georg Filker über 5. Mose 10,18-19.
Der HERR schafft Recht den Waisen und Witwen und hat Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben.
Es ist ziemlich genau sieben Jahre her, im Herbst 2015, da haben meine Frau und ich zum ersten Mal Samira wahrgenommen, ein elf Jahre altes Mädchen mit großen lebendigen Augen, die mit Begeisterung bei den Bewegungsliedern mitmachte, die meine Frau Claudia mit der Gitarre vor einem großen Kreis von Kindern, die meisten aus Afghanistan, in der Flüchtlingsunterkunft der Berliner Stadtmission in Spandau anstimmte.
Monate anstrengendster Flucht mit großen Entbehrungen und mehrfacher Todesgefahr lag hinter den Familien, die wir kennen lernten. Samira hatte noch drei jüngere Brüder. Ihre Mutter war schwanger und Nina kam im Februar in Berlin zur Welt, in eine andere Welt als die, aus der ihre Familie geflüchtet war. Sie mussten fliehen, weil Taliban in ihr kleines Haus eingedrungen waren. Weil der Vater gerade nicht da war, wurden der zufällig anwesende Onkel und ein Neffe von Taliban vor den Augen von Samira und ihrer Mutter erschossen.
Bei mir hatte gerade der Ruhestand begonnen und so beschlossen meine Frau und ich, uns für die Familien, die wir in der Flüchtlingsunterkunft kennen lernten, zu engagieren. Unsere Berliner Stadtmissionsgemeinde in Tegel richtete ein monatliches Begegnungs-Cafe ein und wir halfen den Geflüchteten bei den alltäglichen Tücken eines Lebens in einer anderen Welt: Schule, Jobcenter, Ausländerbehörde, Sparkasse… Formulare, vor denen wir selbst stirnrunzelnd saßen. Wir erlebten unglaublich viele engagierte Lehrerinnen und Mitarbeitende in den Behörden. Unmotivierte Verhinderer gab es auch, aber die waren zum Glück die Ausnahme. Heute sage ich: Unser reiches Land hat das geschafft! Und es ist sicher da besser gelungen, wo es Unterstützung und Hilfen gab.
Unser persönliches Leben ist durch die Begegnung mit den vielen Geflüchteten reicher geworden. Zu sieben Familien hat sich der Kontakt über die Jahre, zum Teil regelmäßig, gehalten. Neben der sprichwörtlichen Gastfreundschaft mit gutem Essen haben wir viel Freude bei den Begegnungen. Ja, auch Schwierigkeiten waren zu meistern. Einige, vor allem von den Älteren, sind nicht über ihre traumatischen Erfahrungen hinweggekommen und leiden bis heute daran. Andere gehen ihren Weg, alle machen Sprachkurse und etliche haben Ausbildungen abgeschlossen. Viele haben mittlerweile sozialversicherungspflichtige Jobs. Die Verständigung auf Deutsch klappt gut. Nur manchmal braucht es die Kinder als „Übersetzer“.
2022. Seit Februar herrscht Krieg in Europa, weil Russland die Ukraine überfallen hat. Wieder erreicht eine große Zahl von Flüchtlingen, vor allem Familien, Berlin und unser Land. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Die Berliner Stadtmission organisiert ein Hilfe-Zentrum am Hauptbahnhof. Unterkunftsmöglichkeiten werden bereitgestellt. Friedensgebete finden Resonanz in den Medien. Wir hatten Besuch von drei ukrainischen Erwachsenen und zwei Kindern. Wir haben den Geburtstag der Achtjährigen gefeiert, die vor wenigen Monaten so plötzlich aus einem schönen Leben in ihrer Heimat herausgerissen worden ist. Die „Spiele-Ecke“ für unsere Enkel ist schnell entdeckt und in Gebrauch…
Habe ich Ihnen schon das Bibelwort für den heutigen Tag mitgegeben? Es spricht die DNA des jüdisch-christlichen Glaubens an: die Liebe Gottes zu uns, zu den Menschen, vor allem aber für die, die in Not sind: Im 5. Buch Mose heißt es:
„Der HERR schafft Recht den Waisen und Witwen und hat Fremdlinge lieb, dass er ihnen Speise und Kleider gibt. Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben.“
Klare Sache. Nicht nur dulden und ertragen. Lieben! Das macht das Leben reich, vielfältig.
Wo immer Liebe im Spiel ist, gibt es natürlich auch Enttäuschungen, Umwege, Irritationen. Übrigens: So geht es Gott in seiner Liebe zu uns ja auch. Und trotzdem lässt er uns nicht los. Von unseren Erfahrungen könnte ich Ihnen noch Stunden erzählen, von der mittlerweile 18jährigen Samira, die auf dem Weg zum Abitur ist, von Nina die gerade eingeschult worden ist, von….Wenn wir unsere Herzen und die Türen offenhalten, bekommt Gottes Liebe auch Hände und Füße. Dazu möchte ich Sie ermutigen.Aber vielleicht haben Sie auch schon diese Erfahrung gemacht.
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Danke, lieber Bruder Filker, für die guten Worte, in denen ich meine Frau und mich gut wiedergefunden habe. Ich bin 2013 von der Kirchengemeinde gefragt worden, ob ich die Patenschaft für ein … mehr8-jähriges iranisches Kind übernehme, das mit ihrer Familie des Glaubens wegen fliehen musste. Am 2. Christtag ist Armina mit ihren Eltern getauft worden. Inzwischen gibt es noch ein Mädchen. Artina ist das Patenkind meiner Frau geworden. Unser Leben (als kinderloses Ehepaar) ist viel reicher geworden. Wir sind richtig zu einer Familie zusammengewachsen. Und das ist ein Gottesgeschenk. Armina ist Orgelschülerin und die Mutter inzwischen Lektorin in unserer Gemeinde. Das freut mich als altgedienten Prädikanten (*1950) natürlich sehr. Und Sie werden sich vorstellen können: In den Predigten, die ich halten darf, gibt es natürlich viele Anknüpfungspunkte. Noch einmal DANKE für Ihre guten Worte. Bleiben Sie gesegnet und ein Segen. Ihr Günther Dreisbach
Stark, ganz ganz stark, was ich da zu hören bekam. Das macht wieder Mut die Ärmel hochzukrämpeln