/ Wort zum Tag
Die Chance des Lebens
Wolfgang Buck über Lukas 18, 38-39.
Der Blinde rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Das ist die Chance meines Lebens, so wird der Blinde von Jericho damals gedacht haben. Jetzt oder nie!
Aber die Begleiter von Jesus sehen an der Not dieses Mannes vorbei. Blinde gab es damals überall. Was ist das schon Besonderes?
Und gleichzeitig galt bei vielen frommen Pharisäern der sog. Tun-Ergehens-Zusammenhang: Jedes Unglück hat seine Ursache in einer Sünde. Wenn der Mann blind ist, dann empfängt er gerade seine gerechte Strafe von Gott, da darf ich gar nicht eingreifen. So kann man sich fromm getarnt aus der Verantwortung stehlen.
Ganz besonders deutlich wird das an der Begegnung Jesu mit dem Blindgeborenen nach dem Johannesevangelium, Kapitel 9. Die damalige Logik: Wenn er schon blind geboren wurde, dann müssen doch die Eltern gesündigt haben, denn Gott ist ja gerecht. In der Geschichte streicht Jesus die Frage nach der Ursache radikal durch und nennt das Ziel: An ihm sollen die Werke Gottes offenbar werden (Joh 9,3).
Der Blinde in unserem Bericht hält sich nicht an das Redeverbot. Umso dringlicher ruft er. Und er benutzt zweimal eine Anrede, die eigentlich dem zukünftigen Messias vorbehalten ist: Sohn Davids. Das AT betont immer wieder, dass Heilung von Taubheit und Blindheit zur messianischen Zeit gehören, z.B. Buch Jesaja, Kapitel 29, Vers 18: Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen. Oder Jesaja, Kapitel 35, Vers 5: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der tauben geöffnet.
Taubheit und Blindheit sind in der Bibel manchmal doppeldeutig gemeint: Einmal körperlich im wörtlichen Sinn, aber auch im übertragenen Sinn für das Hören auf Gott und das Sehen und Erkennen seines Handelns.
Jesus verweigert sich dem Blinden nicht, wie es seine Begleiter tun. Er lässt ihn zu sich herankommen. Dieser Zug der Geschichte erinnert mich stark an die Begebenheit, bei der Jesus am Ende die Kinder segnet. Auch da sind es seine Begleiter, die Menschen abwimmeln wollen. Und auch dort hat Jesus ein besonderes Auge für die Bedürfnisse der Menschen.
Er bleibt stehen, lässt den Blinden rufen – und heilt ihn. Am Ende der Geschichte wird uns dann erzählt, dass dieser Blinde wie ein Jünger Jesus nachfolgt.
Auch das könnte eine tiefere symbolische Bedeutung haben. Denn in allen drei Evangelien, in denen uns diese Geschichte aus Jericho berichtet wird, geschieht sie dicht vor seinem Einzug in Jerusalem. Und dort sind gerade diejenigen wirklich blind, die zwar körperlich sehen können, aber nicht erkennen und wahrhaben wollen, was da geschieht: Die frommen Pharisäer.
Das war eine sehr fromme Laienbewegung, die es besonders ernst mit dem mosaischen Gesetz und den Geboten hielt, etwas spitz gesagt: Sie ähneln in ihrer Denkstruktur manchen Evangelikalen von heute. Ihre Tragik: Sie glauben, Gott besonders treu zu dienen, sie glauben, seinen Willen und seine Pläne gut zu kennen – aber im entscheidenden Moment sind sie blind und gefangen in ihrem selbstgebauten theologischen System, z.B. in ihren Endzeitvorstellungen. Da passt dieser konkrete Jesus irgendwie nicht hinein.
Bemerkenswert: Jesus sagt dem geheilten Blinden am Ende: Dein Glaube hat dir geholfen. Ich kann auch übersetzen: Dein Vertrauen hat dich gerettet. Das allein gilt. Kein Glaubensbekenntnis, keine noch so gut und biblisch durchdachte Theologie, sondern das schlichte Vertrauen auf Jesus. Darauf kommt es an. Das reicht. Wie gut!
Ihr Kommentar
Kommentare (4)
Das Wort zum Blinden von Jericho hat mir gefallen. Es geht also um Glauben und um Treue zum Herrn. Es fällt übrigens auf, dass vor und nach Jericho unser Herr Blinde geheilt hat.
Aber warum hat … mehrPastor Buck so ein Problem mit den Christen, die irgendwie hartnäckig an eine Endzeit festhalten. Ist es nicht ein ausgesprochen biblisches Thema und werden die Zeichen nicht allmählich konkret.
Gestern hab ich mir beim 'Wort zum Tag' gedacht, wenn es eben nicht den Bach runter geht, sondern es verändert sich alles irgendwie, warum sollte Gott dann alle Tränen abwischen, wo es uns, den Christen in westlichen Ländern doch so gut geht; pauschal betrachtet.
In Mt 24 macht uns der Herr klar, dass der Anfang der Wehen mit einer großen Verführung einher geht. Er warnt ausdrücklich und mehrfach vor ihr. Von den markanten Zeichen, die gestern schon beschrieben worden sind, muss auch der liberale und tolerante Geist, der Zeitgeist der Moderne erwähnt werden, der sich langsam in die Gemeinden einschleicht. Der Gemeinde zu Sardes (Offb 3) muss Jesus sagen: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. 2 Werde wach und stärke das andre, das schon sterben wollte, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
Off 1,3 "Glückselig, der liest und die hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist! Denn die Zeit ist nahe."
Leider wird die Offenbarung in den evangelisch-lutherisch … mehrtheologischen Einrichtungen nicht mehr oder nur selten gelehrt. Traurig. Das Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia ist eindeutig an die gerichtet, die "das Wort" bewahren. Die historisch-kritische Methode zeigt eindeutig, dass "das Wort" nicht mehr "bewahrt" wird. Die Entrückung wird ganz unter den Tisch gekehrt, obwohl viele Bibelstellen darauf hinweisen. Da passt doch eher das Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea, oder? Ich glaube, dass die heutige Blindheit größer ist, als je zuvor. Warum nur dieser Frust und das Aufbäumen gegen "die Wahrheit" ?
Was sollte in diesem "Wort zumTag" der Seitenhieb auf die Evangelikalen? Als alter Fussballer würde ich sagen: Das war von der Redaktion ein Eigentor, ihn nicht zu streichen! Denn lebt nicht der ERF … mehrentscheidend von den Verkündigern und Verkündigerinnen, die der Hörergemeinde das volle Evangelium von Gericht und Gnade Gottes in Jesus Christus einschließlich seiner Wiederkunft sagen möchten?
Wieso passt Jesus nicht in Endzeitvorstellungen. Er ist das Zentrum, auch der Endzeit. Und ein Christ der glaubt, vertraut und Jesus von ganzem Herzen liebt (es geht hier also nicht um … mehrPseudoevangelikale, die von ihren Werken getragen werden), freut sich auf nichts mehr als, dass Jesus wiederkommt, um ihn endlich umarmen zu können.
Sich mit der Endzeit zu beschäftigen heißt, die Wehen, die die Bibel vorausgesagt hat, zu erkennen und daraus die freudige Hoffnung zu entnehmen, bald seinem liebsten Freund, Herrn und König gegenüberstehen zu dürfen.
Vielleicht wollen Evangelikale, die sich nicht mit Endzeit beschäftigen, nicht aus ihrer vermeintlich heilen Welt herausgerissen werden ("ich vertraue auf Jesus, aber mir geht es gerade so gut, es eilt nicht, dass Jesus wiederkommt").
Und Evangelikale in die Nähe von Pharisäern zu rücken, nur weil sie sich mit der Endzeit beschäftigen, das geht gar nicht.