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/ Bibel heute

Die zweite Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung und der Rangstreit unter den Jüngern

Ulrich Tesch über Markus 9,30-37.

Und sie gingen von dort weg und zogen durch Galiläa; und er wollte nicht, dass es jemand wissen sollte. Denn er lehrte seine Jünger und sprach zu ihnen: Der Menschensohn wird überantwortet werden in die Hände der Menschen, und sie werden ihn töten; und wenn er getötet ist, so wird er nach drei Tagen auferstehen. Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen.[...]

Markus 9,30–37

Jesus hat seinen Jüngern etwas Bedeutendes zu sagen. Etwas, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Noch nicht! Jesus will das tiefe Geheimnis, das über seinem Leben und über seinem künftigen Schicksal liegt, zunächst mit seinen Freunden teilen.

Das ist nicht eine sachliche Nachricht, sondern sie betrifft ihn selbst mit seinem ganzen Leben.

Nach und nach wird Jesus im Laufe seines Lebens klar geworden sein, worauf sein Wirken unter den Menschen zuläuft. Jetzt nimmt Jesus wahr, dass sich die Stimmung gegenüber seinem anfänglichen Wirken geändert hat. Zunehmend bläst ihm der Wind des Widerstandes stärker ins Gesicht. Verdüstern sich die Mienen der Mächtigen in allen Orten, in die er kommt, werden ihre Worte immer schärfer.

Die Masse der Menschen hat es vielleicht nicht gleich gemerkt. Auch die Jünger scheinen noch ihren Fantasien über den baldigen Anbruch eines messianischen Reiches nachzuhängen. Doch wer ein feineres Gespür hat, der empfindet das leise Vibrieren, das auf ein kommendes Beben hindeutet. Und Jesus hat ein sehr feines Gespür, wie es Propheten zu eigen ist und sie früher als andere kommendes Unheil erkennen lässt. Todesahnungen und -drohungen, jemanden mit Gewalt aus dem Weg räumen – das hat es schon immer gegeben und es nimmt leider auch in unserem Land zu. Einem Menschen das Leben nehmen – dazu braucht es erschreckend wenig!

Aber neues Leben aus dem Tod zu schaffen, das ist noch niemandem gelungen. Das übersteigt menschliche Möglichkeiten und selbst die Vorstellungskraft. Nicht einmal die Jünger verstehen, was Jesus ihnen da Ungeheures eröffnet. Aber sie wagen auch nicht, ihn zu fragen. Haben sie Angst, dass Jesus ihnen Dinge sagt, die sie gar nicht hören wollen? Dass Jesus ihnen ihre schönen Zukunftsträume zerstört? Aber wenn man das Dunkle verdrängt, kann man auch das Licht darin nicht sehen, den Funken, der Hoffnung weckt. Und so vermitteln Jesus Worte von der Auferstehung den Jüngern keine Hoffnung.

Durch ihr Schweigen entsteht eine Distanz zu Jesus. Stattdessen reden sie untereinander und übereinander. Das Große, das Jesus ihnen vermitteln will, können sie nicht begreifen. Nun reden sie über weltliche Größe und: geraten dabei in Konkurrenz zueinander. Vielleicht hat Jesus mit halbem Ohr etwas von ihren Gesprächen mitbekommen. Oder hat er ihren Gesichtern die Disharmonie angesehen oder die getrübte Atmosphäre wahrgenommen? Er stellt sie zur Rede: „Was habt ihr auf dem Weg besprochen?“

Und wieder schweigen die Jünger. Ist ihnen das Thema in der Gegenwart des Meisters peinlich? Auch durch Scham entsteht Distanz. Doch Jesus will niemanden beschämen. Durch seine Fragen hilft er dabei, dass unsere tiefsten Nöte ans Licht kommen, damit er sie heilen kann.

Er lädt die zwölf ein in sein Zuhause. Sie setzen sich in einen Kreis. Jesus beginnt zu lehren – wie so oft im Sitzen: „Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“

Wahre Größe hat nicht der, der es schafft, das erste Stück von der Torte zu kriegen. Nicht die, die immer bestimmen darf, was gespielt wird. Nicht der, der sich am erfolgreichsten gegen seine Mitbewerber durchsetzt. Bei dieser Art Größe geht es immer nur um mich. Um meine Bestätigung aus dem Vergleich mit anderen, in dem ich vermeintlich besser abschneide.

Wahre Größe, zeigt Jesus, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Dabei wollen erstaunlicherweise viele gar nicht unbedingt die Ersten sein. Eine leitende Stellung bedeutet in der Regel mehr Arbeit. Wenn es dafür auch mehr Geld gibt, würden heute wohl auch viele den Satz von Jesus bestätigen: Als Erster bist du im Grunde der Letzte. Der Letzte, der abends geht.

Und von manchen Mitarbeitern wirst du dazu noch behandelt, als wärst du das Letzte. Wahre Größe bedeutet nicht unbedingt die Sonnenseite für das Ego. Sondern Dienst im eigentlichen Sinn des Wortes. Diener für andere sein, für sie das Beste suchen, sein Leben geben für sie geben.

Genau das hat Jesus gemacht. Für ihn sind wir alle die Letzten – denen er, der Höchste, mit seinem ganzen Leben gedient hat.

Im nächsten Satz spricht Jesus auch von sich – aber auf eine überraschende Weise. Und er nahm ein Kind, stellte es mitten unter sie und herzte es und sprach zu ihnen: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“

Kinder wurden in Israel geschätzt, aber kleine Kinder galten damals nicht viel. Im Judentum war die Aufzählung geläufig: Taubstumme, Schwachsinnige und Minderjährige. Das bedeutete bis zum 12. oder 13. Lebensjahr. Und nun ruft Jesus, der geschätzte Rabbi, zu dem die Menschen aufblicken, ein kleines Kind in ihre Mitte, beugt sich zu ihm herab und umarmt es. Das ist ein Beispiel für wahre Größe!

Dieses Beispiel hat im Laufe der Geschichte buchstäblich Schule gemacht. Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu haben Waisenkinder aufgenommen, Kinder aus der Sklaverei freigekauft, Schulen ins Leben gerufen, allein geflüchtete Minderjährige in die eigene Familie aufgenommen oder Patenschaften für arme Kinder in aller Welt übernommen. Dabei steht das Kleinkind auch für alle anderen, die gering geschätzt, an den Rand gedrängt und leicht übersehen werden.

Aufnehmen bedeutet Annehmen und Vermitteln: Hier darfst du sein, so wie du bist. Aufnehmen bedeutet Verantwortung für Schwächere zu übernehmen und sich für die Verbesserung ihrer Verhältnisse einsetzen. Als einzelne und mit anderen zusammen. Ihnen von Jesus erzählen. An den Kleinen, an Schwachen und gering Geschätzten wird es nie mangeln, schon gar nicht in schweren Zeiten. Im Dienst und in der Gemeinschaft mit ihnen findet eine Gemeinde und finden Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu zu wahrer Größe.

Jesus hat noch immer das Kind im Arm und dann sagt er wieder etwas Ungeheuerliches: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“

Das Größte, ja der Größte begegnet uns im Kleinsten und scheinbar Geringsten.

Indem wir den scheinbar Geringsten aufnehmen, werden wir selbst mit dem Größten, mit Jesus, und durch ihn mit seinem Vater im Himmel beschenkt

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