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/ Bibel heute

Die Tempelreinigung

Norbert Lurz über Matthäus 21,12-17.

Vorschaubild: Matthäus 21

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Matthäus 21

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Es sind verstörende und befremdliche Bilder, mit denen wir in der heutigen Tageslese konfrontiert werden. Jesus läuft im Vorhof des Tempels durch die Reihen der Händler von Opfertieren, Geldwechslern, Devotionalienverkäufern und Steuereintreibern, gestikuliert, schmeißt Tische und Vogelkäfige um, schreit diese an und treibt sie schließlich alle hinaus, wie Matthäus berichtet.

Ich erinnere mich an entsprechende Szenen aus alten Jesusfilmen. Besonders eindrücklich wird das Geschehen bei den Oberammergauern Passionsspielen dargestellt, wenn hunderte von heimischen Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne einen wilden Tumult mit auffliegenden Tauben nachempfinden. Mittendrin ein wutentbrannter Jesus, der so gar nicht recht in das Bild des mitfühlenden, barmherzigen und die Feinde liebenden Messias passt.
 

Die Ausbeutung von Pilgern

Um das Geschehen besser verstehen zu können, will ich die Zusammenhänge im damaligen Tempelprozedere kurz betrachten. Herodes hatte den Tempel und das gesamte Plateau, auf dem dieser stand, aufschütten, vergrößern und prachtvoll ausstatten lassen. Zur Zeit Jesu war der Tempel folglich nicht nur ein religiöses Zentrum, sondern ein auch von den Römern damals mit Respekt bedachtes monumentales Bauwerk, das hohe gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung hatte.

Wie auch die heidnischen Tempel in dieser Zeit arbeiteten in einem solchen Komplex eine Heerschar von Menschen, Priester, Beamte, Aufsichtspersonal und eben auch Händler. Der jüdische Tempel war ein großes Wirtschaftsunternehmen geworden. Bezahlt werden konnte nur in jüdischer Währung, nicht mit römischer Währung. Wenn fromme Pilgerinnen und Pilger zu Feiertagen Jerusalem und den Tempel besuchten, mussten sie Geld tauschen, um ein Opfertier nach Größe des Geldbeutels kaufen zu können.

Auch wenn dieser nur für ein Paar Tauben reichte, war eine solche Pilgerfahrt mit Unterkunft und Essen gerade für arme Leute ein teures Unterfangen. Profite wurde von vielen Seiten eingestrichen. Die Geldwechsler erhoben ihre Gebühren, Konzessionsgebühren für Geschäfte aller Art mussten von allen Händlern für die Tempelbehörde bezahlt werden. Außerdem war der Tempelverwaltung eine Tempelsteuer zu entrichten. Darüber hinaus wurden Spenden für die kultischen Handlungen durch die Priester erwartet. Die Wallfahrt war also ein erträgliches Geschäft geworden, an dem viele verdienten und damit auch ihr Auskommen sicherten.
 

Geld und Kirche: eine Gratwanderung

Nicht mehr die Wallfahrt als solches, die Begegnung mit Gott, die Feier des Festtages oder die Neuausrichtung auf ein sinnstiftendes Leben standen im Mittelpunkt der religiösen Abläufe im Tempel, sondern insbesondere seitens der Verantwortlichen die Finanztransaktionen zur Erhaltung eines wirtschaftlichen Zentrums.

Das war es, auf das Jesus so heftig reagierte. „Mein Haus soll ein Bethaus heißen; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.“

Mit Religion lassen sich gute Geschäfte machen. Das war nicht nur in biblischen Zeiten eine Versuchung für religiöse Führer. Während der gesamten Kirchengeschichte hatten auch die Kirchen ihre Probleme mit dem lieben Geld.

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ Dieser Werbespruch Johann Tetzel zum Verkauf der Ablassbriefe zur Zeit Martin Luthers sollte für notwendige Einnahmen für Kirchenbauten sorgen. Ein besonders eklatantes Beispiel unter vielen. Heiligt der Zweck  die Mittel? Braucht eine christliche Kirche nicht auch eine ordentliche Verwaltung, die wiederum finanziert werden muss? Das darf nicht in Abrede gestellt werden. Kirchen und Gemeinschaften sollten ihre hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch anständig entlohnen. Und doch bleibt es eine Gratwanderung. Was ist das richtige Maß für die Generierung von kirchlichen Geldern, gerade in unserer Zeit der rasanten Säkularisierung insbesondere in Westeuropa? Haben sich Kirchensteuern und Staatsleistungen zugunsten der großen Volkskirchen nicht überlebt, wenn in Deutschland eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung diesen nicht mehr angehört? Eine sensible Frage.
 

Eine heilige Stille

Dieser Tage habe ich während einer Reise den zerschlissenen Rock des Franz von Assisi sehen können. Die Schlichtheit des in allen christlichen Konfessionen bewunderten Mönchs aus Umbrien ist beschämend. Damals wie heute eine Provokation für eine bequem gewordene Amtskirche. Und doch hat er durch seine Einfachheit den Boden für die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft erneuert. Wäre das ein Rezept für  gelingendes Wachstum unserer Kirchen? Zunächst Ballast abzuwerfen, alte Zöpfe abzuschneiden und den Kurs neu auf Jesus Christus auszurichten?

Eine wichtige Frage. Aber zurück zu unserem Text. Vor dem Hintergrund des vielfach korrupt gewordenen Tempelsystems in Jerusalem wird die Empörung Jesu verständlicher. Jesus statuiert ein Exempel. Die Tempelwache lässt es geschehen, vielleicht aus Angst, es könne ansonsten zu einem Aufruhr kommen.

Als die Händler weg sind, kehrt Ruhe ein. Eine fast heilige Stille. Jesus steht nun im Mittelpunkt. Die Menschen schauen gespannt auf ihn. Was wird er nun tun? Matthäus berichtet, wie Lahme und Blinde geheilt werden. Menschen am Rande der Gesellschaft werden plötzlich wichtig im Tempelgeschehen. Sie hatten kein Geld, um auch nur kleine Opfertiere kaufen zu können. Dann preisen Kinder Jesus als den gekommenen Messias. Das ist des Guten zu viel für die Hohenpriester und Schriftgelehrten. Sie empören sich. Sie machen sich Sorgen, dass das fein ziselierte religiöse Wirtschaftssystem aufgrund der Aktivitäten Jesu ins Wanken geraten könnte. Endgültig erklären sie ihn als ihren Todfeind.
 

Was läuft heute falsch in unseren Kirchen?

Doch einigen wenigen gehen die Augen auf. Die Evangelisten berichten von Nikodemus oder von Josef von Arimathäa, die verstehen, dass dieser Jesus tatsächlich das mitfühlende, barmherzige und liebende Angesicht Gottes ist. Vielleicht gehen ihnen die Augen in dem Augenblick auf, als Jesus mit der Vertreibung der Händler im Tempel die völlig verfehlte Religiosität aufdeckt. Geahnt hatten sie wahrscheinlich schon lange, dass der Tempelbetrieb eine falsche Richtung eingeschlagen hatte.

Liebe Hörerinnen und Hörer, lassen Sie uns den heutigen Bibeltext zum Anlass nehmen, auch uns selbst kritisch unter die Lupe zu nehmen. Dinge zu erkennen, die womöglich falsch laufen und den liebenden Gott bitten, uns die Hilfe für eine Neuausrichtung zu ihm zu schenken.

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