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/ Bibel heute

Der Lohn der Nachfolge

Christian Oelke über Markus 10,28-31.

Da fing Petrus an und sagte zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlässt um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfach empfange: jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen – und in der kommenden Welt das ewige Leben.[...]

Markus 10,28–31

Wenn mich jemand fragen würde, was die geheimnisvollste Aussage Jesu ist, dann würde ich möglicherweise diesen Ausspruch nennen: „Die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten werden die Letzten sein.“
Wer hat es noch nicht erlebt – man steht an einer Kasse schon längere Zeit an, die Schlange wird länger und länger. Eigentlich wäre ich auch demnächst dran. Aber anscheinend muss die Kassiererin gerade noch ein langwieriges Problem beackern. Indes wird eine weitere Kasse geöffnet, und die Schlange hinter mir reduziert sich auf mich. Da meine Einkäufe bereits auf dem Kassenband liegen, kann ich nicht auch einfach hinüberwechseln, wo die junge, dynamische Kassiererin einen Kunden nach dem anderen im Sekundentakt abfertigt. Tja, denke ich mir – die Ersten werden die Letzten sein. Aber ob Jesus diese Erfahrung meinte oder kannte?

Leichter tue ich mich mit dem anderen Gedanken in dem heutigen Bibeltext, nämlich, dass Menschen, die in diesem Leben für das Reich Gottes einiges zurücklassen, reich beschenkt werden. Zurücklassen – für viele von uns ist das nicht so einfach nachzuvollziehen. Schließlich wird in vielen Fällen der Glaube in der Familie weitergegeben. Menschen wachsen in einer Gemeinde auf und haben dort ihre Freunde. Das ist aber nicht selbstverständlich. Denke ich beispielsweise an Menschen, die im Iran zum christlichen Glauben gekommen sind, dann haben sie oft viel zurücklassen müssen, als sie ihre Heimat verlassen haben, um ihren Glauben in einem anderen Land frei ausleben zu können. Gerade in einer Kultur, in der Familie großgeschrieben wird, ist die Aussage Jesu ein wichtiger Zuspruch: das, was du verlässt, das kommt dir auch wieder zu. Und vielleicht auch schon früher als du denkst.

Jesus wünscht sich einmal von den Menschen, die ihm nachfolgen, dass man sie an der Liebe zueinander erkennt. Das ist etwas, was nicht nur viele Menschen von der Botschaft Jesu überzeugt, sondern auch etwas, dass viele Menschen auffängt, denen sonst alles abhandengekommen ist. Wie Jesus eben sagt: Wer um des Himmelreiches willen seine Familie verlässt, wird in diesem Leben mit einer Familie beschenkt werden.

Wer schon einmal die Erfahrung gemacht hat, vollkommen fremde Menschen zu treffen, die auch den Glauben und die Liebe für Jesus in ihrem Herzen tragen, der weiß, dass es um eine besondere Erfahrung geht. Kulturelle Differenzen und auch Sprachbarrieren sind zweitrangig. Man freut sich über die Gemeinsamkeit und die Gemeinschaft im Herrn.

Gerade in meinem letzten Urlaub konnte ich dieselbe Erfahrung machen, als ich einen syrisch-aramäischen Christen am Strand traf. Er war mit einem großen Kreuz auf dem Rücken tätowiert. Ich sprach ihn an und er fragte mich, ob ich an Jesus glaube. Die Begegnung war kurz, aber herzlich. Umso stärker ist das, wenn man Teil einer Gemeinde wird, in der die Liebe Jesu gelebt wird, indem die Menschen aufeinander zugehen, einander helfen und sich selbst nicht zu wichtig nehmen.

Aber – letztendlich sind wir alle nur Menschen.

Ein Freund erzählte mir von einer Erfahrung in seinem Hauskreis. Durch die Gemeinde, die er besuchte, war er mit anderen jungen Familien in einem Hauskreis gelandet. Sie verstanden sich gut, verbrachten freie Zeit miteinander und freundeten sich an.

Eines Tages wechselte die Familie die Gemeinde und war nicht mehr da. Damit war dann auch der Kontakt beendet. Wiederholte Versuche, den Kontakt wieder aufzunehmen, liefen ins Nichts. Schade. Erst war die Beziehung so eng, dann so plötzlich und unvermittelt so fern. Er erzählte mir, dass er so eine Erfahrung noch nie gemacht hatte, und er wunderte sich darüber. Ich kann es mir nur so erklären: Gemeinschaft unter dem Kreuz bietet eine familiäre und freundschaftliche, ja sogar geschwisterliche Atmosphäre. Aber die Gemeinschaft der Christen untereinander ist nicht das Zentrum der Gemeinschaft, nicht der Hauptzweck. Im Zentrum steht Jesus, im Zentrum steht das Kreuz und die Auferstehung. Und untereinander als Menschen machen wir immer wieder die Erfahrung, dass wir diesem Kreuz und diesem Jesus nicht gerecht werden.

Ob wir nun an den kulturellen Differenzen oder sprachlichen Barrieren scheitern, die wir zum Beispiel im Verhältnis zu iranischen Christen haben, oder ob wir an unserem eigenen Ego scheitern, unsere eigenen Erwartungen und Wünsche höher hängen als das, was den anderen bewegt, das ist im Ergebnis ganz ähnlich.

Im Mittelpunkt der Gemeinschaft muss weiter Jesus stehen. Solange wir auf ihn blicken, sind unsere Unzulänglichkeiten, an denen wir immer wieder leiden, zweitrangig. Jesus, sein Kreuz und seine Auferstehung sind es, die uns überhaupt erst in diese Gemeinschaft stellen – in die Gemeinschaft mit Gott, den wir von uns aus nicht erreichen können. Wir haben den Ast, auf dem wir sitzen, sozusagen abgesägt. Er selbst fängt uns auf und bringt uns in Beziehung zu Gott. Und dadurch entsteht die Gemeinde, oder wie es im Glaubensbekenntnis heißt: „Die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.“ Heilig, weil er uns zu sich zieht. Und so verstehe ich letztendlich auch die Aussage von den Ersten und den Letzten: Jesus kommt in die Welt, und indem er mich gerecht spricht, wird aus mir, dem Letzten, ein Erster. Jesus kehrt die Verhältnisse um, macht aus Verlorenen Gerechte und aus fehlbaren Menschen Heilige. Zwei Dinge nehme ich mir mit:

Zum einen: Wenn Menschen mich sehen, dann sehen sie einen Teil von der Gemeinschaft der Heiligen. Ich in meiner Fehlbarkeit kann dem gar nicht gerecht werden, aber indem ich täglich das Kreuz aufsuche und Jesus in den Mittelpunkt rücke, kann ich das tun, was mir anvertraut ist. Denn aus der Gemeinschaft mit ihm wächst die Gemeinschaft der Heiligen. Das andere: Wenn ich mal wieder in der Warteschlange warte, während die anderen schneller fertig werden, dann will ich mich daran erinnern, dass Jesus die Verhältnisse einmal umdrehen wird, dass alle Ungerechtigkeit ein Ende findet, das menschliche Fehlbarkeit einmal endgültig in heilsame Heiligkeit verwandelt wird. Ich will daran denken, was sein Himmelreich für mich bedeutet: Ich werde von Gott zusammen mit seinem erstgeborenen Sohn zu einem Ersten gemacht werden, egal wie oft ich hier Letzter gewesen sein mag.

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