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Ist leicht gleich schön?

/ Wochenration / Lesezeit: ~ 6 min

Ist leicht gleich schön?

Warum sich Anstrengung lohnt.

In einem Kalendertext stand einmal: „Wenn es leicht ist, ist es richtig.“ Aber stimmt das so? Und ersetzen wir mal „richtig“ mit „schön“. Können wir dann sagen, dass das Leben schön ist, wenn es leicht ist?

Ich denke, dass genau diese Einstellung in unserer Gesellschaft vorherrscht. Und auch, dass diese Sichtweise dazu führt, dass viele Menschen ihr Leben nicht als „schön“ betiteln würden. Mit schweren Folgen.

Nährboden für negative Entwicklungen

Ich finde die Aussage, dass etwas richtig sei, wenn es leicht ist, problematisch – sowohl persönlich als auch gesellschaftlich. Einfache, „leichte“ Antworten waren schon immer der Nährboden für Rechtspopulismus in Krisenzeiten. Normalerweise gibt es aber keine einfachen Antworten – jedenfalls nicht, wenn man sich den gedanklichen Hintergrund einer Sache oder den Zusammenhang von Ereignissen anschaut.

Entwicklung durch Herausforderungen

Aber auch persönlich birgt die Annahme, dass „leicht“ gleich „richtig“ ist, viele Gefahren hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung und der Lebensgestaltung. Auch hier muss ich mich fragen: Wie entwickle ich einen starken Charakter? Wie sammle ich Erfahrungen und die damit verbundene Lebensweisheit? Wie entwickle ich Stärke, um trotz verschiedener Umstände weitermachen zu können?

Eben nicht dadurch, dass ich immer die leichte Option wähle. Wenn ich immer nur die 1 kg-Hantel nehme, werden sich meine Muskeln irgendwann nicht mehr weiterentwickeln. Ähnlich verhält es sich mit meinem Charakter, wenn ich mich nicht verschiedenen Lebensaufgaben stelle. Und die sind in der Regel nicht leicht: Eine Beziehung zu führen ist nicht leicht. Keine Beziehung zu haben ist nicht leicht. Kinder zu haben ist nicht leicht. Arbeiten gehen ist nicht leicht. Lernen und studieren ist nicht leicht. Aber all das kann schön sein.

Wenn ich versuche, es mir immer „leicht“ zu machen, endet es meistens nicht schön. Und das macht es nicht leicht. Wenn ich mein Kind vor allem beschützen und alles abnehmen will, damit mein Kind es „leicht“ hat, wird es mein Kind in Zukunft sehr schwer haben.

Unrealistische Vorbilder

Vielleicht kommt der Wunsch nach dem „leichten“ Leben mittlerweile aus der Prägung durch die Film- und Werbeindustrie. Kaufe dies, so wird es leichter. Sei so und so, dann hast du es leichter.

Oder im Film: Da werden Träume verwirklicht, als ob Zeit und Geld keine Rolle spielten. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind meistens konfliktlos, oder Konflikte lösen sich irgendwie in perfekt ausformulierten Klärungsgesprächen mit der plötzlich vom Himmel fallenden Harmonie der Versöhnung auf. Das „wahre“ Leben findet dabei außerhalb der Arbeit statt. Das „wahre“ Leben ist dort in der Leichtigkeit der Entspannung und den aufregenden Freizeitaktivitäten zu finden.

Ja, ich darf das Leben auch genießen. Und es darf auch mal leicht sein und sich auch leicht anfühlen. Und Entspannung ist wichtig und muss sein. Aber liegt in dieser „Leichtigkeit“ die Erfüllung eines schönen Lebens?

Privilegierte Leichtigkeit

Ist dieser Gedanke kulturell nicht ziemlich westlich geprägt? Wird damit nicht ein Ideal einer realitätsfernen, nichtendenden konsumorientierten Wohlstandsgesellschaft bedient? Und spricht man damit Leuten, die es aus unserer Sicht „schwer“ im Leben haben, ein schönes Leben ab?

Was ist mit Menschen aus dem globalen Süden, die sich oft weit mehr anstrengen müssen, um zu überleben? Sprechen wir ihnen ein „schönes“ Leben ab? Oder was ist mit den ärmeren Menschen auch bei uns. Können sie kein schönes Leben haben? Wenn man der Definition „leicht = schön“ folgt, dann nicht.

Stress durch Leichtigkeit?

Diese Vorstellung kann zur Falle werden. Das, was man machen „muss“ (z.B. arbeiten), steht dem „schönen“ Leben plötzlich im Weg. Es zieht mich runter, es fällt mir schwer – und damit fühlt es sich nicht mehr richtig an. Und dann fange ich vielleicht an, mir meine freie Zeit mit Dingen vollzuhauen, die mir das Gefühl des idealen Lebens vermitteln.

Komischerweise kann gerade das voll stressen. Ich möchte doch „leben“ neben den ganzen Sachen, die ich machen „muss“! Vielleicht ist mit ein Grund für den Anstieg psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen die Überlastung, die entsteht, wenn man sich neben seiner Arbeit, der Ausbildung oder dem Studium noch dies und das auflädt, weil man den inneren Stress hat, ein „schönes“ und „erfülltes“ Leben führen zu müssen.

Und das kann man ja nur in selbstgewählten Dingen finden, die einem „leicht“ erscheinen – eben, weil man es eigentlich nicht „muss“. Also macht man dann noch so viele Dinge, die doch eigentlich leicht und schön sind, die eigentlich das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung vermitteln sollten – aber nicht immer ist die Zeit dafür richtig. Dafür geht das, was eigentlich gerade dran ist, darin unter oder wird als Feind des schönen Lebens angesehen. Und so wird das, was nicht als „leicht“ oder „schön“ identifiziert wird, abgelehnt – wenn auch vielleicht unterbewusst. Und das kann zu echter Frustration und Überlastung führen, im schlimmsten Fall zu einem Lebensüberdruss.

Schönheit ist nicht die Abwesenheit von Kontrast

Schönheit ist nicht die Abwesenheit von Kontrast. Die Kunst und die Musik beispielsweise leben von Kontrast. Fehlender Kontrast sorgt für Langeweile. Erfüllung ist nicht nur außerhalb des vorgegebenen Alltags zu finden. Versteh mich nicht falsch: Ich finde auch, dass Ausgleich und Entspannung wichtig sind.

Doch wenn einem Dinge nicht leichtfallen, heißt das nicht, dass es nicht richtig ist. Ich denke, dass Menschen, die sich nur auf den „leichten“ Weg ausgerichtet haben, keine wirkliche Veränderung im Leben erleben. Und dass auch in der Bewältigung von Aufgaben, die einem nicht leichtfallen, Schönheit und Befriedigung erlebt werden kann.

Obama als Vorbild

Vermutlich stehen wir als jüngere Generation vor der Herausforderung, dass so viel möglich ist und wir schon jetzt möglichst viel erleben, erreichen und bewirken möchten. Zu einer 28-jährigen Frau, die frustriert darüber war, noch nicht viel erreicht zu haben, sagte Barack Obama, dass er in ihrem Alter noch studiert und nicht wirklich gewusst habe, was er machen wollte.

Studierst du vielleicht auch noch? Dann achte mal auf deine Einstellung: Steht dir das Studium gefühlt „im Weg“, weil es dir schwerfällt, dafür andere Dinge liegen zu lassen? Hast du deshalb vielleicht keine Lust mehr auf das Studium und bist erschöpft, weil du versuchst, die Zeit, die dir noch bleibt, „sinnvoll“ zu nutzen? Vielleicht hilft da ein Umdenken. Man muss nicht alles auf einmal erleben und machen. Und auch eine schwere Aufgabe, die sich länger hinzieht, ist sinnvoll und kann „schön“ sein, wenn ich sie nicht bekämpfe.

Alles zu seiner Zeit

In der Bibel finden wir die Weisheit eines Menschen, der sich viele Gedanken gemacht hat: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. (…) Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ (Prediger 3,1+10-13)

Vielleicht ertappst du dich ja dabei, dass du eigentlich auch denkst, dass „leicht“ gleich „richtig“ und „schön“ ist. Und dass du beim Versuch, ein „ideales“ Leben zu führen, ziemlich erschöpft wirst und Dinge, die eigentlich gerade dran wären, darunter leiden und dich das noch mehr stresst und deprimiert. Dann hoffe ich, dass dir dieser Gedankenanstoß dabei hilft, deine Einstellung zur Lebensgestaltung und zu anstehenden Aufgaben noch einmal zu überdenken. Gott segne dich dabei.

Dieser Text von Raphael Bellmann wurde zuvor auf www.keineinsamerbaum.org veröffentlicht.

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Kommentare (1)

Matthias H. /

Sehr gut geschrieben: treffend und pointiert

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