21.09.2019 / Wort zum Tag

Wo ist mein Ägypten?

Gott sprach zu Jakob: Ich bin Gott, der Gott deines Vaters; fürchte dich nicht. Ich will mit dir hinab nach Ägypten ziehen und will dich auch wieder heraufführen.

1. Mose 46,3.4

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Lange schon war es still geworden um den alten Jakob. Die Euphorie der frühen Jahre, diese Aufbruchstimmung, die ihn getragen hatte, seine Gottesgewissheit: das alles war Vergangenheit. Seit sein Lieblingssohn Joseph tot war, hatte er alle Lust am Leben verloren. Jetzt wartete er selbst nur noch auf den Tod.

Jakob konnte ja nicht ahnen, dass Gott ihm noch etwas zu bieten hatte. Als er im hohen Alter erfuhr, dass Joseph noch lebte, in Ägypten, da „wurde der Geist Jakobs … lebendig“, lesen wir in der Bibel (1.Mo 45,27). Aus Depression wird Euphorie. Die ganze Familie macht sich auf den weiten Weg, und Gott fängt auf einmal wieder an, zu Jakob zu reden: „Ich bin Gott, der Gott deines Vaters“, sagt er. „Fürchte dich nicht. Ich will mit dir hinab nach Ägypten ziehen und will dich auch wieder heraufführen“ (1. Mose 46,3f).

Wir könnten diesen wenigen Sätzen manche Gedanken für unser Leben heute entnehmen: dass es gut ist zu wissen, wer Gott ist, dem ich mich anvertraue; dass es wichtig ist, das Vertrauen auf Gott der nächsten Generation weiterzugeben; dass Gott uns nicht das Fürchten lehren will, sondern im Gegenteil uns die Furcht vor der Zukunft, vor Veränderungen, vor Unerwartetem und Neuem nehmen. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf diesen letzten Gedanken lenken:

Gott sagt zu Jakob: „Ich will mit dir nach Ägypten ziehen und will dich auch wieder heraufführen.“ Wo ist „mein“ Ägypten? Der neue, fremde Ort, an den ich ziehen muss? Mit fremden Menschen, die ich zunächst gar nicht verstehe? „Mein“ Ägypten muss ja nicht unbedingt ein Land oder eine Stadt sein, die man auf einer Landkarte findet. Es kann auch der Wechsel an einen neuen Arbeitsplatz sein oder der Anschluss an eine Familie, die mir bisher ganz fremd war, die ihre eigene Geschichte hat, ihre eigenen Gewichte, ihre eigenen eingeübten Verhaltensweisen und Traditionen, ihre Selbstverständlichkeiten. Das passiert zum Beispiel, wenn zwei Menschen heiraten: zwei Welten kommen zusammen, beide Partner müssen Vertrautes aufgeben, Neues akzeptieren und zu ihrem Eigenen machen. Das ist nicht einfach! „Ich will mit dir ziehen“, sagt Gott in diese Situation hinein, „ich bin dabei“.

Es kommt zu dieser ersten Ermutigung eine zweite hinzu: „Ich will dich auch wieder heraufführen“, sagt Gott zu Jakob. Das war ja seit drei Generationen der Familienschatz, dass Abrahams Nachkommen im Land Israel ihre Heimat haben sollten. Auf einmal scheint das gefährdet mit diesem Aufbruch nach Ägypten, wo das Leben viel leichter sein sollte, Essen und Trinken in Hülle und Fülle, Arbeit und Brot – aber eben … in Ägypten. Jakob mögen solche Gedanken schon geplagt haben: „Gebe ich das Erbe, die Familientradition, den Segen Gottes auf für ein leichteres Leben?“  Und Gott sagt energisch: „Nein! Ich will dich auch wieder heraufführen.“ Manchmal haben wir den Eindruck, wir seien aus Gottes Plan geflohen. Aber Gott vergisst ihn nicht! Und er führt unser Leben auch von Umwegen, aus Sackgassen und von Abstellgleisen wieder zurück auf seinen Weg. Wir müssen nur auf ihn hören!

Autor/-in: Dekan Dr. Heinz-Werner Neudorfer