12.10.2020 / Andacht

Wo der Riss ist, fließt das Gold

Gott möchte aus unseren Tiefpunkten Glanzpunkte machen.

Ich habe eine Lieblings-Kaffeetasse. Noch aus meiner Studentenzeit. Sie ist blau, schön groß, und ich weiß nicht, wieviel duftenden Kaffee ich aus ihr schon getrunken habe. Allerdings hat sie auch einen Schönheitsfehler. Sie hat mehrere Sprünge, die sich ganz um ihren Bauch herumziehen. Ich spüre richtige kleine Kanten, wenn ich mit den Fingern außen an der Tasse fühle.

Diese kleinen Risse sind entstanden, weil ich eine ziemlich dumme Idee hatte: in meiner Studenten-WG wurde mit Gas gekocht. Und ich dachte: „So eine Keramiktasse ist doch bei großer Hitze gebrannt worden, die kann ich bestimmt direkt auf die Gasflamme stellen“. Gedacht-gemacht. Ich glaube, ich wollte in der Tasse Pudding kochen und habe sie also auf dem Gasherd in die Flamme gestellt, um die Milch zum Kochen zu bringen.

Bis es irgendwann leise krachte und ich erschrocken feststellen musste, dass die Tasse an mehreren Stellen gesprungen war. Da habe ich sie natürlich sofort vom Herd genommen. Ich habe mich über mich selber geärgert und gedacht, schade, diese Tasse wird wohl nicht mehr sehr lange halten. Das ist jetzt 30 Jahre her, und die Tasse steht gerade mit einem duftenden Kakao neben mir.

Wo der Riss ist, fließt das Gold

In Japan gibt es die uralte Tradition, dass zerbrochene Gefäße mit Gold wieder zusammengeflickt werden. Statt der Bruchstellen ziehen sich dann goldene Linien über das wieder hergestellte Gefäß, was wunderschön aussieht, so als sollte es schon immer so sein…

Für mich ist das ein Sinnbild geworden für die Wunden in unserem Leben. Wir alle tragen ja Wunden davon. Wir alle haben neben unseren Stärken auch Schwach-Stellen, Verletzungen, Fehler, Charakterschwächen, Unfähigkeiten oder Unzulänglichkeiten, unter denen wir oftmals selber leiden.

Gott lädt uns ein, mit diesen Wunden und Schwachstellen nicht alleine zu kämpfen, sondern uns an ihn zu wenden. Er hat gesagt: gerade an unseren Schwachstellen kann und will er seine ganze Macht „spielen lassen“. „Meine Gnade ist alles, was Du brauchst, denn meine Kraft kommt in Deiner Schwachheit zur Vollendung“ (nach 2. Korinther 12,9).

Gott lädt uns ein, mit unseren Wunden und Schwachstellen nicht alleine zu kämpfen, sondern uns an ihn zu wenden. Er hat gesagt: gerade an unseren Schwachstellen kann und will er seine ganze Macht „spielen lassen“.

Gott möchte aus unseren Tiefpunkten Glanzpunkte machen

Auch die Wunden aus unserer Lebensgeschichte will Gott verheilen und uns dadurch stärker werden lassen. Er will uns segnen und für andere zum Segen setzen. Dazu müssen wir diese Wunden anschauen, annehmen und Gott erlauben, an uns zu wirken. Manche Erinnerungen tun sicher weh, und wir möchten sie lieber tief vergraben. Aber Gott kann und möchte aus unseren Tiefpunkten Wendepunkte oder gar Glanzpunkte werden lassen.

Wenn wir stark sind, geübt, fähig und gut, strotzen wir zu Recht vor Selbstvertrauen und machen „unser Ding“. Wenn wir schwach sind, verunsichert, verletzt, verwirrt und zögernd, sind wir eher bereit, Gott Raum zu geben, an und durch uns zu wirken. Deshalb ist mit jeder Schwäche, jeder Wunde, jedem Schmerz neu die Einladung verbunden, Gott unsere Wunden behandeln zu lassen. Niemand kann es so gut, wie er. Und am Ende fließt in den Rissen unserer Biografie das Gold der Liebe und Gnade Gottes.

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