25.06.2022 / Wort zum Tag

Wie Gott mir, so ich dir

Jesus spricht: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

Johannes 13,15

Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!

„Jesus spricht: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“

Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße am Abend vor dem Passafest. Darin sind wir in der Regel nicht gut. Viel besser sind wir darin, uns gegenseitig den Kopf zu waschen – will heißen: gehörig die Meinung zu sagen. Denn eigentlich ist Demut nicht wirklich unsere Stärke. Das ist zumindest meine Beobachtung in verschiedenen Dienstbereichen über mehrere Jahrzehnte. Dass Jesus seinen Jüngern - übrigens auch Judas - die Füße gewaschen hat und uns in aller Deutlichkeit auffordert, es ihm nachzutun, ist eine besondere Herausforderung.

Das gilt insbesondere in Zeiten, in denen überall Polarisierungen zu beobachten sind. Positionen zu gesellschaftlichen und politischen Fragen führen oft nicht mehr zu einem aktiven Diskurs, sondern zur Verschanzung in der jeweils eigenen Ecke. Das gilt gleichermaßen für die gesellschaftliche Landschaft, wie auch für die christliche Szene. Es wird mit harten Bandagen gekämpft und oftmals auf völlig sachfremden Schlachtfeldern. Man wäscht sich gegenseitig die Köpfe in Kommentaren, Leserbriefen oder Social-Media-Posts. Demut und Barmherzigkeit sind vielfach auf der Strecke geblieben. Von gegenseitiger „Fußwaschung“ kann keine Rede sein. Im Gegenteil.

Aber genau das ist es, was Jesus selbst hier seligpreist. „Tut, wie ich euch getan habe!“ Dem Nächsten sein, was Gott mir ist! Das wäre doch mal ein Motto! Nicht: Wie du mir, so ich dir! Sondern: Wie Gott mir, so ich dir!

Aber was heißt das denn konkret? Die Fußwaschung zur Zeit Jesu war eine übliche Tätigkeit der Gastfreundschaft, die in der Regel von einem Hausbediensteten verrichtet wurde. Während es für die Diener und Sklaven eine aufgetragene Pflicht war, übernimmt Jesus diese Aufgabe aus freien Stücken. Er erniedrigt sich selbst und dient seinen Leuten ohne jede Angst vor Gesichtsverlust.

Im Matthäusevangelium, Kapitel 11, Vers 29, wird berichtet, dass Jesus bei einer Gelegenheit von sich selbst und zu seinen Jüngern sagte: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Sanftmütig und von Herzen demütig – das ist uns von Haus aus nicht einfach so in Wiege gelegt. In der Regel halten wir das eher für eine Form von Schwäche. Wer was erreichen will, der muss mit Selbstbewusstsein, Stärke, Durchsetzungsfähigkeit und positiver Selbstdarstellung punkten – so wird uns jedenfalls immer gesagt. Der Wille zur Macht, zum Herrschen und Beherrschen von anderen Menschen gehört zum Wesenskern des gefallenen Menschen – jenseits von Eden. Immer wieder wird das in den großen und kleinen Konflikten deutlich, die wir um uns herum beobachten können.

Jesus gibt seinen Leuten hier ein völlig anderes Beispiel. Wahrscheinlich war es noch gar nicht so lange her, dass die Jünger sich gestritten hatten, wer denn der Größte unter ihnen sei. Diese Szene wird uns in drei Evangelien berichtet. Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu in seinem Buch “Gemeinsames Leben”: “Wer diesen Gedanken unter die christliche Gemeinschaft sät, wissen wir. Vielleicht bedenken wir aber nicht genug, dass keine christliche Gemeinschaft zusammenkommen kann, ohne dass schon bald dieser Gedanke auftaucht als Saat der Zwietracht. Kaum dass Menschen beieinander sind, müssen sie anfangen, einander zu beobachten, zu beurteilen, einzuordnen. Damit fängt schon im Entstehen christlicher Gemeinschaft ein unsichtbarer, oft unbewusster (?), furchtbarer Streit auf Leben und Tod an. …  Darum ist es für jede christliche Gemeinschaft lebensnotwendig, dass sie von der ersten Stunde an diesen gefährlichen Feind ins Auge fasst und ausrottet.“

Autor/-in: Bernhard Heyl