19.08.2024 / Andacht

Wenn Kathedralen reden könnten

Über Denkmäler und andere Erinnerungsstützen, die den Blick im Alltag auf Gott richten. Eine Andacht.

Es wird kühl, still und manchmal auch dunkel, wenn ich eine große, alte Kirche betrete. Die Atmosphäre weckt Ehrfurcht in mir. So geht es den meisten Menschen im Inneren eines architektonischen Meisterwerks der Kirchenkunst. Sie schweigen automatisch oder beginnen zu flüstern. Ich könnte mir vorstellen, dass dies vom Erbauer beabsichtigt ist.

Ein historischer Roman von Ken Follett hat mir vor vielen Jahren einen neuen Blick auf die Bedeutung von Kirchengebäuden eröffnet. Der Autor schreibt in seinem Buch „Die Säulen der Erde“ über den Kathedralenbau im England des 12. Jahrhunderts. Die Erzählung beschreibt das Leben derer, die am gigantischen Bauwerk eines Gotteshauses beteiligt sind: Geistliche, Architekten, Steinmetze und viele andere.

Die Motive der Protagonisten in dem Roman sind sehr unterschiedlich. Die einen trieb die Machtgier, andere die künstlerische Vision, Selbstverwirklichung oder die Sehnsucht, etwas von „ewigem“ Wert zu erschaffen. Doch der eigentliche Zweck eines sakralen Bauwerks ist es, auf Gottes Anwesenheit in unserer Welt hinzuweisen. Es dient als Ort der Begegnung mit Gott und als Versammlungsort für Christen. Im Mittelpunkt steht meist eine anschauliche Christusfigur oder ein Kreuz. Durch ein prächtiges Kirchenbauwerk werde ich daran erinnert, wie unendlich groß, bewunderungswürdig und kreativ Gott ist.  

Kirchen als Denkmäler

Inzwischen freue ich mich an Kirchengebäuden, selbst wenn ich sie nur beim Vorbeifahren aus dem Auto entdecke. Sie sind mir zu Denkmälern im wahrsten Sinn des Wortes geworden, weil sie mich an Gottes Präsenz in der Welt erinnern.

Besonders liebe ich jahrhundertealte Kirchen, die ich mir auch von innen ansehen kann. Dann denke ich an die Erbauer und die Besucher, die in dem Gebäude oder in ihrem Alltag Gottes Nähe erfahren haben. So viele Menschen saßen bereits auf den alten Kirchenbänken. Sie haben dort gebetet, geweint oder gedankt. Ich will mich einreihen in die Liste meiner Glaubensvorgänger und nicht vergessen, was Gott in ihrem Leben getan hat. Der Gott, der schon lange vor ihrem menschlichen Leben einen Plan und gute Gedanken für jedes seiner Geschöpfe hatte. 

Greifbar

Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die Erinnerungsstützen braucht. Schon die Menschen zu biblischen Zeiten haben Altäre an besonderen Orten errichtet, an denen Gott ihnen oder ihren Vorfahren begegnet ist. Später hat König Salomo Gott einen glanzvollen Tempel gebaut. Fromme Juden tragen bis heute Symbole zum Anfassen, wie zum Beispiel spezielle Fäden an ihrer Kleidung oder kleine Behälter mit Bibelversen bei sich, die an Gottes Gebote erinnern.

Auch Jesus, Gottes Sohn, wusste, wie wichtig für uns Menschen sichtbare Zeichen seiner Liebe sind. Er hat seinen Nachfolgern eine greifbare Erinnerung geschenkt: das Abendmahl. Das gab er seinen Jüngern weiter, als sie das Passahfest feierten – ein Fest, das an Gottes Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei erinnerte. Von nun an ging es um eine Befreiung durch ihn selbst, die über das Volk Israel weit hinausreicht und eine noch tiefere Bedeutung hat. Nachzulesen in Lukas 22.

Im Gottesdienst habe ich als Einladung zum Abendmahl oft folgenden Bibelvers gehört: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist“ (Psalm 34,9). Während ich ein Stück Brot esse, einen Schluck Wein oder Traubensaft trinke, habe ich eine greifbare Erinnerung, etwas zum Sehen, Fühlen, Schmecken, Hören. Alle meine Sinne werden angesprochen, während ich die Bibelworte und den Gesang höre oder das Mahl ausgeteilt bekomme. Jesus kommt mir nah.

Er will mich an das erinnern, was er aus Liebe für mich getan hat, und wartet auf meine Reaktion: mein dankbares Erinnern an seinen Opfertod am Kreuz und seine Auferstehung. Und dann mein Annehmen oder Erneuern seines Beziehungsangebots und damit die Auslöschung meiner belastenden Schuld.

Weil ich es nicht vergessen will

Auch wenn ich das Abendmahl nicht jeden Tag einnehme und auch nicht jeden Tag eine Kirche besuchen kann, will ich mich doch täglich an Gottes Gegenwart in meinem Leben erinnern. Darum habe ich mir vorgenommen, mir Gewohnheiten und Zeichen zu setzen: eine App auf dem Handy, die mich zu einer Bibellese und einem täglichen Bibelvers führt, ein Kreuz in meiner Wohnung, eine greifbare Bibel, ein Segenswort, bevor meine Kinder morgens aus dem Haus gehen, ein Dankgebet, wenn ich an einer Kirche vorbeikomme, ein Tischgebet vor dem Essen.

Sollte irgendwann eine leere Routine daraus werden, muss ich meine Gewohnheiten überprüfen. Ich will aber nicht aufhören, eine persönliche Erinnerungskultur zu pflegen – nicht unbedingt als einen mahnenden Blick auf vergangene Ereignisse, wie eine Erinnerungskultur normalerweise verstanden wird. Vor allem will ich zuversichtlich in eine Zukunft mit meinem Gott schauen. Im besten Fall mache ich Mitmenschen ebenfalls darauf aufmerksam und helfe dem kollektiven Gedächtnis auf die Sprünge. Denn alle sollen sich daran erinnern: Gott ist jedem von uns nahe – so wie es in Apostelgeschichte 17,27 nachzulesen ist. 

Autor/-in: Sonja Kilian

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