24.06.2023 / Wort zum Tag

Weniger ich, mehr wir

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.

Philipper 2,5

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„Weniger Ich, mehr Wir“ – das wünschen sich manche Leute, wenn sie auf unsere Gesellschaft schauen. Sie sagen: „Viel zu viele Menschen verfolgen nur ihre eigenen Interessen. Sie machen nur das, was ihnen passt und Vorteile bringt. Sie nehmen kaum Rücksicht auf andere. Unsere Gesellschaft hätte es nötig, dass jeder mehr nach dem Grundsatz handelt: ‚Weniger Ich, mehr Wir‘.“

„Weniger Ich, mehr Wir“ – dazu fordert auch Paulus die Christen in der Stadt Philippi auf. Er schreibt ihnen in seinem Brief: „Nicht Eigennutz oder Eitelkeit soll euer Handeln bestimmen. Vielmehr achtet in Demut den anderen höher als euch selbst. Seid nicht auf euren eigenen Vorteil aus, sondern auf den der anderen – und zwar jede und jeden von euch.“ (Philipper 2,3+4, BasisBibel)

Doch das ist gar nicht so einfach: mal nicht auf das Eigene zu sehen, auf das, was einem nützt, sondern von sich selbst abzusehen und sich dem zu widmen, was dem Nächsten nützt. Das setzt eine gewisse persönliche Reife voraus. Und es setzt voraus, keine Angst zu haben um sich selbst, keine Angst, zu kurz zu kommen. Aber diese Angst ist weitverbreitet. Kennen Sie dieses Gefühl von sich? „Ich werde immer wieder benachteiligt und übersehen. Ich muss umso mehr darauf achten, dass ich zu meinem Recht komme. Ich muss meine Interessen gegen andere durchsetzen. Da kann ich nicht mehr auf sie Rücksicht nehmen.“ Die Angst um uns selbst macht uns ich-bezogen – sie blockiert unseren Blick für das, was andere nötig haben. Wer Angst um sich selbst hat, kann nicht selbstlos handeln – und dann hilft auch kein Appell: „Nun denk doch mal an die anderen!“

Vielleicht hat Paulus gespürt, dass seine Appelle allein nicht reichen. Jedenfalls versucht er noch auf andere Weise, die Christen zu selbstlosem Handeln zu bewegen. Er schreibt nämlich weiter: „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft mit Christus Jesus entspricht“ (Philipper 2,5) – das ist der neutestamentliche Vers der Herrnhuter Brüdergemeine für heute. Paulus bringt Christus ins Spiel, ja er stimmt nach diesem Vers ein Christus-Lied an. Er singt von Christus, der vollkommen selbstlos handelte. Der sein Ich losließ, das er als Gottessohn im Himmel hatte. Der aus Liebe zu uns Menschen auf die Erde kam und sich am Kreuz für uns opferte. (Paraphrase von Philipper 2,6-8)

Aus dem Christus-Lied wird deutlich: Seine Selbstlosigkeit kam uns allen zugute. Er hat uns gezeigt, wie wichtig wir ihm sind. Und das gilt für jeden Einzelnen: „Christus hat sich auch für Sie erniedrigt, um Ihnen nahe zu sein. Er hat auch für Sie sein Leben hingegeben. Sie sind wertvoll in seinen Augen. Vertrauen Sie darauf, nehmen Sie das für sich an.“

Und wer das für sich annimmt, wer diese Liebe in sich aufnimmt, der kann die Angst um sich selbst leichter loslassen. Der braucht sich nicht mehr zu sorgen, er würde grundsätzlich zu kurz kommen. Christus, der selbstlos Liebende, kann uns innerlich verwandeln: zu Menschen, die sich geliebt glauben – und die deshalb den Blick frei bekommen für andere.

„Weniger Ich, mehr Wir“ – Paulus schreibt: Der Weg dahin führt über Christus. Je mehr wir Christus vertrauen und uns in seiner Liebe verankern, desto weniger beherrscht uns die Angst um uns selbst. Und desto mehr können wir auf andere schauen und das, was sie brauchen. Mehr Christus führt zu mehr Wir. Und wenn das Wir stark wird, wird in der Gemeinschaft im besten Fall niemand mehr übersehen, wird jeder beachtet und keiner mehr benachteiligt.

Autor/-in: Pastor Martin Knapmeyer