19.08.2023 / Wort zum Tag

Wachstum gefragt

Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.

Epheser 4,15

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In jedem Jahr denke ich beim Anblick der kahlen Äste: was soll oder kann da wachsen? Da ist nichts. An den Bäumen hängen noch ein paar Blätter, die der Wind vergessen hat, sonst recken sie ihre Zweige wie eine Anklage nach allen Seiten. Und jedes Jahr lasse ich mich überraschen, dass plötzlich etwas Neues da ist, Stück für Stück. Bei dem Baum vor meinem Schreibtisch sehe ich dies am deutlichsten, auf alles andere macht mich meine Frau aufmerksam. Ein Wunder, dass da etwas wächst.

Und ehrlich: auch ein Wunder, dass dieses Bild von den Bäumen und Pflanzen auch für uns anwendbar ist, sonst hätten es nicht Jesus und die Apostel so oft gebraucht: uns mit einem Baum vergleichen. Mit anderen Pflanzen, an denen man etwas tun muss, wie der Gärtner. Der Baum, der eigentlich abgehauen werden sollte und von dem Gärtner vor dem Herrn in Schutz genommen wird, dass er noch Arbeit hineinstecken will. Und auch die Lieder unserer Gesangbücher sind voll davon, wie bei Paul Gerhardt: Mach in mir deinem Geiste Raum / dass ich dir werd ein guter Baum / und lass mich Wurzel treiben …“ Ohne Wurzel wird ja nichts daraus – und ohne die Liebe auch nicht, so der Bibelvers aus dem Epheserbrief (4, 15): „Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.“

Im Epheserbrief geht es in diesen Versen um den Gegensatz von Wahrheit und Täuschung. Christus allein ist die Wahrheit, und wir sind immer in der Versuchung, das zu übersehen. Und zweitausend Jahre Kirchengeschichte haben gezeigt, dass es so einfach ist, einer Täuschung zum Opfer zu fallen, dass sich schon das eine oder andere mit Christus vereinbaren lässt. Lässt es nicht. In den vorigen Versen war vom neuen Menschen, vom neuen Leben die Rede, und das geht nur, indem wir mit Christus leben und auf ihn hören, ihm Raum geben, dass er handeln kann, dass wir mit unserem Handeln sein Tun nicht verdecken. Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe. An der Wahrheit bleiben – und das in Liebe bezeugen, weitertragen, eben zeigen, dass uns der oder die andere wichtig ist und wir in Liebe den Herrn bezeugen, von dem wir reden. So kann Gemeinde wachsen, Kirche wachsen, dass es auch andere sehen. Nicht kahle Äste, wo mal etwas war, aber jetzt nichts mehr ist. Nicht die paar Blätter, die noch verzweifelt am Baum hängen, um auf das Leben hinzuweisen, was mal drin war. „Lasst uns wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.“

Nun wächst ein Baum nicht auf etwas „hin“, höchstens dem Himmel entgegen. Wenn ich jemandem entgegenwachse, dann heißt das doch: dass ich ihn im Blick habe. Christus im Blick habe, wie er mich. Dann weiß ich auch, dass er mich befähigt zu wachsen.

Wachsen hört sich so einfach an, ist es aber nicht, wie wir alle wissen. Als Kinder passen wir nicht mehr in unsere Kleidung, wenn wir wachsen. Wachsen hat seine eigenen Gefahren. Schaue ich mir die Obstbäume an, denke ich auch: wieso merken die nicht, dass sie zu viel ansetzen? Die Äste werden brechen. Wachsen hat seine eigenen Gefahren. Aber wir sind keine Obstbäume. Wir wissen: Christus ist das Haupt, er ist der Herr, von ihm kommt die Liebe und auf ihn allein zu vertrauen die Wahrheit, die durchs Leben trägt.

Autor/-in: Pfarrer Dr. Siegfried Meier